Integration und Fachkräftemangel: So wollen SAP, DHL und andere Firmen mehr Geflüchtete in Arbeit bringen

Die Nichtregierungsorganisation Tent bringt Geflüchtete und Unternehmen zusammen. Bekannte Namen wie Eintracht Frankfurt, Deutsche Post, SAP und Otto sind dabei. Worauf es bei den Programmen ankommt. 

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Anastasiia Vitrik war in ihrer Heimat in der Ukraine Sportjournalistin. Kurz nach Kriegsbeginn nahm sie einen Notfallzug von Kiew nach Polen, von dort brachte sie ein Freiwilliger des Roten Kreuzes nach Frankfurt am Main. Die Hotelkette Mariott bot Ukrainern dort fast drei Monate lang kostenlose Unterkunft und Verpflegung an, wofür Vitrik sich in einer E-Mail bedankte. Darin fragte sie auch, ob sie Jobs für Ukrainer anbieten. 

„Ich kam ohne jegliche Deutschkenntnisse hierher, nur mit ein bisschen Englisch, aber sie luden mich sofort zu einem Vorstellungsgespräch ein“, erzählt Vitrik. „Von diesem ersten Treffen an war ich so motiviert und wollte für sie arbeiten, dass ich das Angebot gleich am Tag nach Erhalt unterschrieben habe.“

Heute arbeitet sie im Restaurant als Juniorköchin und kann danach Deutschkurse besuchen. Sie erzählt all das bei einer Veranstaltung des deutschen Bündnisses der Tent Partnership for Refugees. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) setzt sich seit 2016 dafür ein, dass Geflüchtete und Unternehmen zusammenfinden und wurde in diesem Jahr vom „Time Magazine“ als eines der 100 einflussreichsten Unternehmen ausgezeichnet. 

Mittlerweile gehören mehr als 400 große Unternehmen in zwölf Märkten in Nord- und Südamerika und in Europa dazu, unter anderem Fedex, Coca Cola, Amazon und Unilever. 250.000 Geflüchtete hat die NGO nach eigenen Angaben schon in Arbeit gebracht. Jetzt ist auch in Deutschland ein Bündnis von 66 Unternehmen gestartet. Dabei sind unter anderem Barilla, Deutsche Post DHL, Eintracht Frankfurt, Otto Group, Mariott und SAP. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fach- und Arbeitskräftemangels scheint Unternehmen die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt wichtiger zu werden. 

So viele Menschen auf der Flucht wie noch nie

Im Laufe der vergangenen vier Jahre hat sich die Anzahl der offenen Stellen in Deutschland in etwa verdoppelt, gleichzeitig wird die Gesellschaft älter und es ist klar, dass Deutschland auf die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte angewiesen ist. Doch während Eingewanderte aus anderen EU-Staaten zum Großteil schon nach wenigen Jahren erwerbstätig sind, ist die Quote bei Einwanderern von außerhalb der EU geringer und ein längerer Prozess.

Laut dem neuesten Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR waren im vergangenen Jahr mit 117 Millionen Menschen so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie. Die meisten Geflüchteten kamen demnach 2023 aus Afghanistan, Syrien, Venezuela und der Ukraine.

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Oft sind es Geflüchtete mit lückenhaften Lebensläufen oder nicht anerkannten Zertifikaten, die hier keine Arbeit finden – obwohl sie dringend gebraucht werden. Bei der Vermittlung will Tent helfen. „Wir sind das Bindeglied zwischen Unternehmen und Implementierungspartnern“, sagt Tent-Deutschlandchef Christian Schmidt im Gespräch mit Capital. Damit meint er Partner wie „Jobs for Refugees“ oder die „Redi School of Digital Integration“, aber auch klassische Personalvermittler wie Adecco und Manpower, mit denen Tent zusammenarbeitet. 

Unternehmen teilen Jobprofile mit Tent

Auch mit den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit steht die NGO im Austausch. „Zunächst teilen die Unternehmen ein paar Jobprofile mit uns und wir begrenzen uns auf bestimmte Regionen bundesweit“, so Schmidt. „Im Anschluss analysieren wir, welcher Implementierungspartner am besten zu den gewünschten Profilen passt und setzen gemeinsam einen Fahrplan mit dem Unternehmen auf für die nächsten drei bis sechs Monate.“

Hamdi Ulukaya gründete Tent im Jahr 2016
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Tent schult Unternehmen unter anderem darin, wie sie mit lückenhaften Lebensläufen umgehen und sorgt für einen Austausch unter den Mitgliedsunternehmen. Letztere kostet all das nichts, der Gründer Hamid Ulukaya finanziert die Arbeit der Organisation mit rund 60 Mitarbeitenden. Er selbst stamm aus der Türkei, studierte dort und wanderte 1994 in die USA ein. Mit einem Kredit kaufte er eine alte Jogurtfabrik, entwickelte ein von seiner Herkunft inspiriertes Rezept und gründete Chobani – heute eine der beliebtesten Jogurtmarken der USA. Laut dem „Forbes-Magazine“ beläuft sich sein Vermögen auf 2,3 Mrd. US-Dollar, man nennt ihn auch den „Jogurt-König“.

IT-Fachkräfte gesucht

Manche Unternehmen wollen laut Tent Geflüchtete direkt einstellen, andere sich mit berufsvorbereitenden Maßnahmen engagieren, sagt Schmidt. Gesucht seien sowohl Fach- als auch Arbeitskräfte, besonders in der Produktion. Am herausforderndsten sei es derzeit, IT-Fachkräfte zu finden. 

Dabei sind viele Geflüchtete hoch qualifiziert, die Zertifikate aus ihren Ursprungsländern werden hier aber häufig nicht direkt anerkannt. Das müsse man zusammen mit Institutionen noch beschleunigen, auch im Sinne der Unternehmen, sagt der Tent-Deutschlandchef. „Wir haben in Deutschland 1,7 Millionen offene Stellen und über zwei Millionen Geflüchtete, von denen allein 500.000 trotz Arbeitserlaubnis noch nicht im Job sind“, sagt Schmidt. „Die wirtschaftliche Integration von geflüchteten Menschen voranzutreiben, ist alternativlos.“

Zahlen des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2022 zeigen, dass es oft einige Jahre dauert, bis Geflüchtete aus diesen Regionen erwerbstätig sind. Nach weniger als fünf Jahren sind 21 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer aus dem Nahen und Mittleren Osten erwerbstätig, aus Afrika sind es 36 Prozent der Frauen und 72 Prozent der Männer. Nach zehn bis 15 Jahren liegt die Erwerbstätigenquote bei fast allen schon rund 20 Prozent höher.

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Erwerbstätige mit Einwanderungsgeschichte arbeiten außerdem häufiger in gering qualifizierten Berufen als Erwerbstätige ohne. Am deutlichsten zeigt das laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Hilfsarbeitskräfte: bei Erwerbstätigen mit Einwanderungsgeschichte lag der Anteil 2022 bei 15,6 Prozent, bei denen ohne nur bei 4,7 Prozent. Bei akademischen Berufen sind es 17,4 Prozent gegenüber 24 Prozent. 

Dass sich etwas tut, zeigt aber der Anteil ausländischer Beschäftigter seit 2010: Er hat sich mehr als verdoppelt auf mehr als 15 Prozent im Jahr 2023. Allein von 2017 bis 2023 ist die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Ausländerinnen und Ausländer der Bundesregierung zufolge um 56 Prozent gestiegen. Fast drei Viertel der neu geschaffenen Beschäftigung entfiel demnach in den vergangenen sechs Jahren auf ausländische Beschäftigte. Mit dem deutschen Bündnis hofft Tent, zu weiter steigenden Zahlen beizutragen.