Die AfD-Führung muss sich auf dem Parteitag am Wochenende auf knappe Ergebnisse und einen notorisch unberechenbaren Ex-Spitzenkandidaten einstellen. Und auf ein paar andere Sachen.
An diesem Samstag wählt die AfD auf dem Bundesparteitag in der Essener Grugahalle ihren neuen Vorstand – der zumindest an der Spitze wieder der alte sein soll. Trotzdem werden Parteichefin Alice Weidel und ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla vor den Abstimmungen nervös sein.
Denn nach einer Skandalserie, die längst nicht ausgestandenen ist, und einem Europawahlergebnis, das noch vor Monaten als Niederlage gegolten hätte, könnte die AfD im neuen EU-Parlament fraktionslos bleiben. Zudem rumort es nach der Entmachtung des ehemaligen EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah an der Basis.
Zwar hoftt die Parteiführung darauf, dass die im September anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg disziplinierend auf die 600 Delegierten wirken. Doch traditionell vermag niemand den Verlauf von AfD-Parteitagen vorherzusagen. Vielmehr lehrt die Erfahrung, dass jederzeit eine offene Feldschlacht möglich ist. Dies gilt umso mehr an einem Ort wie der Grugahalle, an dem die Partei im Sommer 2015 ihren ersten Vorsitzenden Bernd Lucke schasste.
Kampfkandidaturen gehören zum Pflichtprogramm
Klar ist, wo die Triggerpunkte der Partei liegen. Da ist, erstens, die Vorstandswahl. Jenseits der beiden Vorsitzenden, die wieder kandidieren, ist ein Drittel der Posten neu zu besetzen. Vizechefin Mariana Harder-Kühnel tritt nicht mehr an. Darüber hinaus verzichten offenbar die Beisitzer Christina Baum und Carlo Clemens sowie der stellvertretende Schatzmeister Harald Weyel auf eine erneute Bewerbung. Und auch Krahs Vorstandsposten ist natürlich neu zu besetzen.
Zwar gibt es für die Nachfolge schon Absprachen zwischen den wichtigen Landesverbänden. Mindestens eine Liste kursiert. Doch eigentlich gehören Kampfkandidaturen bei der AfD zum Pflichtprogramm.
Vor zwei Jahren hatten sich sogar Weidel und Chrupalla auf dem Chaos-Parteitag in Riesa gegen Alternativkandidaten durchsetzen müssen – wobei insbesondere Chrupalla mit 53 Prozent nicht wirklich gut aussah. Auch wenn sich diesmal keine Gegenkandidatur abzeichnet, könnten die Delegierten den Co-Vorsitzenden neuerlich abstrafen. Vor allem das völkische Lager nimmt ihm übel, dass er Krah fallen ließ.
AfD will von FPÖ und Rassemblement National lernen
Unabhängig vom Wahlergebnis könnte der Parteitag, zweitens, ein Signal setzen, dass die letzte Amtszeit von Chrupalla begonnen hat. Ein gutes Dutzend Landesverbände wollen ab 2025 die Position des Generalsekretärs einführen – und dies bei gleichzeitiger Abschaffung der bisherigen Doppelspitze.
Hinter dem Satzungsantrag, der die Mehrheit von zwei Dritteln der Delegierten benötigt, steht unter anderem das Netzwerk um Bundestagsfraktionsvize Sebastian Münzenmaier. Allerdings zeigt man sich inzwischen kompromissbereit. Nach Informationen des stern ist bereits ein Änderungsantrag für den Parteitag abgestimmt: Er soll nun auch die Option eines Generalsekretärs mit Doppelspitze beinhalten.
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So oder so bleibt es aber das Ziel des Netzwerks, die Partei nach dem Vorbild der österreichischen FPÖ und des französischen Rassemblement National (RN) zu professionalisieren und bis 2029 im Bund koalitionsfähig zu machen. Allerdings stört bei diesem Plan – Triggerpunkt drei – der skandalfreudige Europaabgeordnete Krah.
Dessen exzentrischer Chauvinismus und offener Geschichtsrevisionismus sorgen zwar in sozialen Netzwerken wie Tiktok für hohe Klickzahlen. Gleichzeitig führten aber Krahs Eskapaden zu immer neuen Spannungen mit dem RN und anderen europäischen Rechtsparteien – und schließlich zum Rauswurf der AfD aus der EU-Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID).
Um den Bruch zu kitten und den unberechenbaren Abgeordneten kaltzustellen, wurde Krah nach der Europawahl nicht in die neue AfD-Delegation in Brüssel aufgenommen. Im sogenannten Vorfeld der AfD, aber auch in einem Teil der ostdeutschen Landesverbände löste dies maximale Empörung aus.
Der neue Delegationsleiter René Aust wurde im Netz hundertfach des „Verrats“ bezichtigt. Allerdings scheint der Europaabgeordnete, der bisher in Thüringen im Landtag saß, als Stellvertreter des dortigen AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke vor einem Frontalangriff des rechtsextremen Lagers geschützt zu sein.
Ein Antrag als Machtprobe
Gleichwohl hat der bayerische Landesverband einen Antrag eingebracht, in dem es heißt: „Die Alternative für Deutschland versteht, dass auf Lügen und Verdächtigungen basierende Schmutzkampagnen gegen ihre von der Parteibasis gewählten Spitzenkandidaten – aufgrund fehlender Gegenargumente – die einzig verbliebene, demokratiefeindliche Waffe sind, um dem Ruf der gesamten Partei zu schaden und uns innerparteilich zu spalten.“
Krah dürfte diesen Antrag instrumentalisieren, verlautete aus Parteikreisen. Er wolle damit über Bande die Parteispitze nötigen, ihn wieder in die Brüsseler Delegation zu integrieren sowie nebenbei Weidel und Chrupalla zu schwächen. Die Abstimmung über den Antrag – oder den längst vorbereiteten Gegenantrag zur Nichtbefassung – könnte damit zur eigentlichen Machtprobe auf dem Parteitag werden.
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Aust befand sich hinter Krah und dem ebenfalls durch Affären belasteten Petr Bystron auf Platz 3 der EU-Wahlliste. Und er gehört zu Münzenmaiers Netzwerk.
Jetzt soll er – und dies ist Triggerpunkt Nummer 4 – nach der endgültigen Absage durch den RN in Brüssel neue Partner für eine eigene Fraktion finden, was sich als äußerst kompliziert gestaltet. Zwar könnte numerisch die vorgeschriebene Mindestanzahl von 23 Abgeordneten aus sieben Nationen erreicht werden. Aber die Restbestände im rechtsäußeren Bereich erscheinen selbst der AfD-Führung zu extrem.
Dass die Verhandlungen bislang ohne Erfolg blieben, dürfte die Stimmung auf dem Parteitag eintrüben, zumal die Anmeldefrist am 3. Juli abläuft. Entsprechend vorsichtig äußerte sich Weidel am Donnerstag bei RTL und ntv. Sie sei „sehr zuversichtlich“, dass es zu einer Fraktionsbildung komme, sagte sie. „Und falls nicht: Bevor wir hier mit Obskuranten zusammengehen, werden wir sehr selbstbewusst auch alleine bleiben und über die nächsten Jahre dann sondieren.“
Mehrere Protestdemonstrationen angemeldet
Den fünften Triggerpunkt hat die AfD nicht einmal ansatzweise unter Kontrolle. Nachdem die Stadt Essen samt ihrer Messegesellschaft vergeblich versucht hatte, den Parteitag zu verhindern, sind die Gegner der Partei umso entschlossener, Protest zu üben. Mehrere Kundgebungen und Demonstrationen sind angemeldet; sie sollen gemeinsam mit dem „Camp gegen Rassismus“ zehntausende Menschen anziehen.
Ob es zur Konfrontation zwischen Delegierten und Demonstranten kommt, ist völlig ungewiss. Die Polizei will mit bis zu 4000 Beamten dafür sorgen, dass der Parteitag ungestört stattfinden kann. Laut einem Bericht der „WAZ“ sind im Gebiet um die Grugahalle 45 Sperrstellen geplant.