Kunstprojekt auf Spiekeroog: Regisseurin macht Nordseestrand zur Theaterbühne

Am Badestrand der Nordseeinsel Spiekeroog weht seit Kurzem ein riesiger, dreiseitiger Vorhang im Wind. Hinter der Installation steckt ein ungewöhnliches Theaterprojekt.

Klappstühle stehen im Sand, in Hörweite rauschen die Nordseewellen an den Strand von Spiekeroog – und davor ein übergroßer, vier Meter hoher Theatervorhang. Es gebe keinen besseren Ort für ihre Performance als den Strand der Urlaubsinsel, sagt die rumänische Theaterregisseurin Iulia Grigoriu. Die 30-Jährige, die in Berlin wohnt, ist in diesem Sommer die Gewinnerin der 10. Spiekerooger Zeltplatzresidenz, einem Stipendium für Kunstprojekte im öffentlichen Raum, das die ostfriesische Insel jährlich vergibt.

Der dreieckige Vorhang mit den großen roten Tüchern zu allen Seiten weckt seit Kurzem das Interesse von Insulanern und Badegästen. „Der Vorhang ist ein starkes Symbol“, sagte Grigoriu der Deutschen Presse-Agentur. Wie ein Portal stehe es auf dem Strand, das einen Weg zur Flucht aus der Realität bietet, sagte Grigoriu. Der weiße Nordseestrand selbst ist die Trennlinie: Auf der einen Seite liegt das Inseldorf. Blickt man durch den Vorhang hindurch, ist die Nordsee zu sehen. Das Unbekannte, sagte die Künstlerin.

Auf einem kleinen Schild neben dem Vorhang steht „Für Ungelöstes“, was auch auf das experimentelle Theaterstück der Künstlerin hindeutet, das zu dem Vorhang gehört. „Ich wollte mich inspirieren lassen von den Geschichten der Insulaner“, sagte Grigoriu. Dazu führte sie viele Gespräche und Interviews. Bald habe sich abgezeichnet: Viele Menschen seien auf die Insel gekommen wegen ungelöster, zwischenmenschlicher Ereignisse in ihrer Vergangenheit, erzählt die Künstlerin – aus Reuegefühlen oder wegen eines Verlusts. 

Zusammen mit freiwilligen Schauspielerinnen und Schauspielern von der Insel hat Grigoriu eine Performance mit dem Titel „RED EXIT!“ (deutsch: „roter Ausgang“) inszeniert, bei dem die Figuren schwere Koffer tragen. Sie versuchen, ihre Lasten im Sand zu vergraben und erkennen am Ende doch: Vor etwas wegzulaufen an einen abgeschiedenen Ort wie etwa den Strand von Spiekeroog, mache kaum etwas besser, sagte Grigoriu. „Weil du dir selbst überallhin folgst.“ Vielmehr sei es leichter, in Gemeinschaft auch die Lasten anderer zu tragen, da es nicht die eigene sei.

Bei der Zeltplatzresidenz werden Kunstprojekte gefördert, die sich mit sozialen oder ökologischen Belangen auseinandersetzen. Eine kleine Jury aus Insulanern, Künstlern und Wissenschaftlern wählt aus den anonymisierten Einreichungen, etwa 80 sind es pro Jahr, einen Gewinner. Während des Stipendiums lebt die Künstlerin oder der Künstler in einem Zelt in den Dünen, auf dem Zeltplatz rund drei Kilometer vom Inseldorf entfernt. Der Ort soll auch als Rückzugs- und Inspirationsort dienen. 

Ihr Skript habe sich während des Aufenthaltes immer wieder verändert, sagte Grigoriu. „Was ich auch am Experimentieren mag ist, dass man auch mal scheitert. Das ist okay. In unserem Alltag lassen wir es selten zu, auch mal scheitern zu können“, sagte die Theaterregisseurin. „Aber es ist wichtig, denn dadurch bietet sich die Chance, etwas Neues zu entdecken.“ 

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