Einzelhandel: Zunahme bei Ladendiebstählen – „Wendepunkt erreicht“

Statistisch gesehen passiert jeder 200. Einkaufswagen die Kasse ohne Bezahlung. In den Geschäften wurde deutlich mehr geklaut. Die Händler bauen ihre Sicherheitsmaßnahmen aus.

Der Einzelhandel in Deutschland rüstet sich gegen Ladendiebstahl. Die Ausweitung der Sicherheitsmaßnahmen gehöre in diesem Jahr für viele Händler zu den priorisierten Projekten, sagt der Experte des Handelsforschungsinstituts EHI, Frank Horst. Grund dafür sind Zahlen, die die Branche beunruhigen: Kundinnen und Kunden haben im vergangenen Jahr laut einer am Dienstag veröffentlichten EHI-Studie Waren im Wert von 2,8 Milliarden Euro geklaut. Der Schaden, der den Händlern damit entstanden ist, liegt damit 15 Prozent höher als im Vorjahr. „Es ist ein Wendepunkt erreicht, an dem die Zunahme der Ladendiebstähle eine besondere Dimension annimmt und besondere Aufmerksamkeit erfordert“, sagt Studienautor Horst.

Einen Anstieg gibt es demnach im Lebensmittel- und Bekleidungshandel als auch bei Drogeriemärkten. Horst sieht dafür mehrere Gründe. „Durch die Preissteigerungen sind einige Menschen in finanzielle Nöte geraten und haben häufiger geklaut.“ Ein weiteres Problem sei der Fachkräftemangel im Einzelhandel. „In vielen Geschäften ist heute weniger Personal im Einsatz. Dadurch haben Diebe leichteres Spiel. Personal verhindert durch Präsenz indirekt Diebstähle“, so Horst. Bereits 2022 waren die Zahlen gestiegen. Experten sahen darin eine Rückkehr zur „Normalität“ der Vor-Corona-Zeit.

Zu den bei Dieben besonders beliebten Warengruppen in Supermärkten und Discountern zählen Spirituosen, Tabakwaren, Kosmetikprodukte, Rasierklingen, Energydrinks sowie Babynahrung und Kaffee. Fleisch, Wurst und Käse werden ebenfalls häufiger genannt. Meist handelt es sich um Gelegenheitstäter, bei mindestens einem Viertel sind professionelle Täter verantwortlich, die bandenmäßig agieren. Eine Umfrage des EHI zeigt: Viele Einzelhändler erwarten einen weiteren Anstieg der Diebstähle.

Staat entstand Schaden von 560 Millionen Euro

Insgesamt sind die Inventurdifferenzen 2023 um 5 Prozent auf 4,8 Milliarden Euro gestiegen. In der Zahl enthalten sind die Verluste durch Diebstahl von Kunden, Mitarbeitern und Personal von Lieferanten und Servicefirmen, die sich auf 4,1 Milliarden Euro summieren. Die restlichen 0,7 Milliarden Euro gehen auf organisatorische Mängel wie falsche Preisauszeichnungen zurück. Nach Angaben von Horst passiert damit insgesamt jeder 200. Einkaufswagen unbezahlt die Kasse. Auch dem deutschen Staat entsteht dadurch ein Schaden. So entgehen ihm Umsatzsteuereinnahmen in Höhe von etwa 560 Millionen Euro.

„Wir haben Märkte, bei denen es einen Anstieg der Inventurdifferenzen gibt, aber auch sehr viele, die stabil sind“, sagte Rewe-Chef Lionel Souque. Die Supermarktkette hat nach eigenen Angaben verschiedene Maßnahmen ergriffen. „Vor zehn Jahren haben wir bei Rewe alle Eingänge geöffnet und Schleusen entfernt, sodass Kunden direkt reingehen können. Das haben wir in einzelnen Märkten zurückgebaut“, so Souque. An einigen Standorten gebe es mehr Sicherheitspersonal und Detektive.

Handelsverband: Zu oft bleiben Strafen aus

Auch andere Unternehmen sind wachsam. „Wir sehen bei Ikea Deutschland ebenfalls eine veränderte Situation“, sagte eine Sprecherin des Möbelhändlers. Man arbeite eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen, um Diebstähle zu verhindern und aufzuklären. Aldi Nord, Edeka und Lidl wollten zu dem Thema auf Nachfrage keine näheren Angaben machen.

Handelsverbands-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth fordert ein härteres Durchgreifen. „Die Handelsunternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass der Staat mit seinen Behörden die Achtung und den Schutz des Eigentums zuverlässig und effizient sicherstellt.“ Eine wirkungsvolle Abschreckung sei wichtig. Aber zu oft blieben Strafen aus, würden Verfahren eingestellt. „Insbesondere auch der bandenmäßig organisierte Ladendiebstahl muss gründlicher bekämpft werden“, so Genth. 

Viele Unternehmen haben ihre Kameraüberwachung bereits ausgebaut und ihr Personal geschult, wie aus der EHI-Studie hervorgeht. Die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen im Einzelhandel in Deutschland sind im Jahr 2023 auf 1,55 Milliarden Euro gestiegen, die gesamten Kosten für Inventurdifferenzen und deren Vermeidung belaufen sich sogar auf mehr als 6,3 Milliarden Euro. Die internen Personalkosten für alle Tätigkeiten, die aufgrund des Diebstahlrisikos anfallen, – wie das Anbringen von Warensicherungen, Schulungen und Diebstahlsanzeigen – sind hier noch nicht enthalten.