Der befürchtete Rechtsruck ist in Frankreich ausgeblieben. Tausende feierten das Ergebnis, andere zeigten ihren Unmut. Bilder einer emotionalen Nacht.
Vor einer Woche noch gewannen die Rechten bei der Parlementswahl in Frankreich haushoch. Doch nach dem zweiten Durchlauf dürften sich viele überrascht die Augen reiben: Laut dem Wahlergebnis wird voraussichtlich ein Linksbündnis stärkste Kraft. Die Nouveau Front Populaire aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen könnte nach Angaben der Institute Ipsos und Ifop auf 177 bis 192 der 577 Sitze kommen – und sorgte damit für eine große Überraschung. Das Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron und Attal hingegen sackt demnach von zuvor 250 auf nun 152 bis 169 Mandate ab.
Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen dürfte keine der Gruppierungen erreichen, eine regierungsfähige Mehrheit ist deshalb nicht in Sicht, zudem fehlt es den Linken an einer gemeinsamen Führung. Ungewiss ist auch, was das Ergebnis für Deutschland und Europa heißt. In Frankreich zog Premierminister Gabriel Attal derweil erste Konsequenzen und kündiget seinen Rücktritt an.
Siegesfeiern und Ausschreitungen
Eigentlich war mit einem haushohen Sieg des rechtsnationalen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen gerechnet worden. Die Partei und ihre Verbündeten wachsen von zuletzt 88 auf 138 bis 145 Sitze – und dürfte somit nur auf dem dritten Platz landen. Le Pen gab sich nach den ersten Hochrechnungen gelassen: „Die Flut steigt weiter und unser Sieg ist heute nur aufgeschoben.“ Auch RN-Chef Jordan Bardella sagte, seine Partei sei die einzige Alternative zur angeblichen „Einheitspartei“ des linken Lagers und der Mitte-Kräfte.
Regierungsbildung Frankreich 22.54
In Städten im ganzen Land kam es in der Nacht bei Kundgebungen zu Ausschreitungen. In Paris versammelten sich Tausende Menschen auf der Place de la République im Zentrum der Hauptstadt, um den Sieg des Linksbündnisses zu feiern. Dabei geriet ein Teil der Demonstranten nach Medienberichten mit Ordnungskräften aneinander, die daraufhin Tränengas einsetzen. Barrikaden aus Holz wurden in Brand gesetzt. Auch in Lille, Rennes und Nantes kam es zu Auseinandersetzungen.
Bundesregierung erleichtert nach Ergebnissen aus Frankreich
Im Ausland regieren Politiker erleichtert auf den Dämpfer für die Rechtspopulisten in Frankreich. Es überwiege „eine gewisse Erleichterung, dass Dinge, die befürchtet worden sind, nicht eingetreten sind“, sagte der Sprecher der Bundesregierung Steffen Hebestreit am Montag in Berlin. Es müsse nun abgewartet werden, „wie sich da in dieser doch sehr ungewöhnlichen, auch historischen Konstellation jetzt sich eine Regierung herausmendelt“.
Vize-Kanzler Robert Habeck bezeichnete das Wahlergebnis als ermutigend. „Erstmal ist es gut, dass der Nationalismus in Europa nicht immer stärker wird“, sagte der Grünen-Politiker am Montag zu Journalisten in Stuttgart. Trotzdem gebe es weiterhin viele Herausforderungen für Europa als auch das deutsch-französische Verhältnis, so der Wirtschaftsminister.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Michael Roth, sieht dagegen keinen Grund zur Entwarnung. „Der Durchmarsch der Rechts-Nationalisten und Rechtsextremisten ist gestoppt worden. Das ist ein großes Verdienst der Französinnen und Franzosen“, sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspiegel“ (Online-Ausgabe). „Aber es ist noch viel zu früh, um Entwarnung zu geben, denn die nationalistischen Populisten von rechts und links sind so stark wie nie. Die Mitte ist so schwach wie nie. Damit ist Emmanuel Macron krachend gescheitert.“
CDU-Politiker Armin Laschet sieht dagegen Chancen für die anstehenden Wahlen in Deutschland. „Das Gefühl, Frankreich ist eigentlich schon auf dem Weg nach rechts, das ist falsch“, sagte Laschet, der Mitglied im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung ist, am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Die Situation in Frankreich erinnere ihn ein wenig an die anstehenden Wahlen in Deutschland: „Wir tun auch so, als wäre Ostdeutschland quasi schon in der Hand der AfD. Aber auch die haben nur ein Drittel.“ Wenn zwei Drittel wählen gingen und die Wahlbeteiligung hoch sei, „ist die Chance, dass man die AfD heraushalten kann, genauso groß wie in Frankreich“.Frankreich Rolle von Premier und Präsident 11.39
Große Koalition oder Minderheitsregierung?
Wie es in Frankreich nun weitergeht, ist vorerst unklar. Ob die Linken alleine eine Minderheitsregierung auf die Beine stellen können, ist ungewiss. Die anderen Fraktionen könnten eine solche Regierung per Misstrauensvotum stürzen.
Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung übergangsweise die Amtsgeschäfte führen oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und eine Neuwahl sind erst im Juli 2025 wieder möglich.