Während der Europameisterschaft sprechen Politiker gern Fußballdeutsch. Klingt originell, ist aber ziemlich altbacken, findet zumindest unser Autor.
Neulich saß ich mit einigen anderen Journalisten bei Markus Söder. Es war der Morgen, nachdem die Koalition einen Haushalt zusammengefrickelt hatte. Der CSU-Vorsitzende, bayerische Ministerpräsident und Vielleicht-doch-noch-Kanzlerkandidat hatte zu einem Pressegespräch eingeladen. Als er zu reden begann, traute ich meinen Ohren nicht. Das kommt häufiger vor, wenn ich Söder zuhöre. Aber diesmal hatte es nicht mit Politik zu tun.
Der Morgen nach dem Haushalt war bekanntlich auch der Morgen vor dem Viertelfinalspiel Deutschland gegen Spanien. Ein Land im Fußballfieber zählte die Stunden runter – und was tat Söder? Er sagte: „Die Koalition scheint offenbar den Matchball des Niedergangs abgewendet zu haben.“ Und ein paar Sätze später: „Der K.o. ist nur verschoben worden.“
Söder redet an der Befindlichkeit der Deutschen vorbei
Matchbälle gibt es bekanntlich beim Tennis oder beim Volleyball, aber in aller Regel nicht beim Fußball, allenfalls im Elfmeterschießen. Und zum K.o. kommt es beim Boxen. Markus Söder, der sich als CSU-Chef schon qua Amt viel darauf einbildet, nah an den Menschen zu sein, redete an diesem Tag – man muss es so hart sagen – an der Befindlichkeit der Deutschen vorbei. Könnte man so einen Mann das Land regieren lassen?
Dabei haben sie doch fast alle zuletzt in so schönen Fußballbildern gesprochen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil sagte nach dem Treffen der Länderchefs mit Olaf Scholz: „In Zeiten der Europameisterschaft darf man an den alten Grundsatz erinnern: Wichtig ist auf dem Platz!“ Alexander Dobrindt zeigte beim Sommerfest der Unionsfraktion auf das gegenüberliegende Kanzleramt und rief: „Da drüben ist der falsche Trainer, und hier steht der richtige Trainer.“ Er meinte Friedrich Merz, was ein Hinweis darauf gewesen sein könnte, dass der CSU-Landesgruppenchef meine Zweifel an Söder teilt.
Fußball ist gerade überall – auch im Vokabular
Von einem Trainergespann redete Alice Weidel auf dem AfD-Parteitag mit Blick auf sich und ihren Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla. Den Spitzenkandidaten bei der Europawahl, Maximilian Krah, habe man fallen lassen, so Weidel weiter, weil es in schwierigen Lagen besser sein könne, „jemanden zeitweise vom Feld zu nehmen“. Es ist ein beliebter Irrtum unter Leuten, die sich nur bei großen Turnieren für Fußball interessieren, dass man ausgewechselte Spieler wieder einwechseln darf.
Vizekanzler Robert Habeck beschrieb Deutschlands wirtschaftliche Führungsrolle in Europa so: „Quasi aus der zweiten Reihe organisiert, also Rückennummer 10, Toni Kroos, hängende Spitze und dann nach vorne spielen.“ Sämtliche fußballerischen Fehler in diesem Satz aufzulisten würde den Rahmen der Kolumne sprengen.
Markus Söder – a Hund is er scho
Was lehrt uns das alles? Es gibt in Zeiten großer Turniere den unbändigen Drang von Politikern, in Fußballmetaphern zu sprechen. Doch was ihnen besonders volksnah und originell erscheint, ist in Wahrheit nur ein Aufplustern im Alltäglichen. Fußballsprache ist überall. „Da hat er ein Eigentor geschossen“ ist so geläufig wie „Halt man den Ball flach“. Unter Fussballlinguistik.de findet man nicht nur unzählige Beispiele, sondern für die Rubrik „Was man wirklich wissen sollte“ auch die Tatsache, dass schon am 4. September 1985, also vor fast 40 Jahren, erstmals das Bild von der „roten Karte“ im Bundestag verwendet wurde – von der Sozialdemokratin Herta Däubler-Gmelin.
Womöglich hat Markus Söder sogar bewusst auf einen Fußballvergleich verzichtet, um seine Einzigartigkeit herauszustellen. Das wäre natürlich schlau gewesen. Oder wie man in Bayern sagt: A Hund is er scho.