Mit den Mamas & the Papas wurde Cass Elliot weltberühmt. Unser Autor erinnert an die große Sängerin – und räumt mit einer hartnäckigen Legende auf.
„You know who I am
You’ve stared at the sun
Well, I am the one who loves
Changing from nothing to one“
(aus dem Song „You Know Who I Am“ von U2)
Es gibt im Film „Austin Powers – Das Schärfste, was Ihre Majestät zu bieten hat“ (1997) diese Szene, in der Mike Myers, der den Titelhelden spielt, auf dem Sofa sitzt und eine Liste abarbeitet. Sie ist mit „People I Know“ überschrieben, der Name von Jimi Hendrix steht ganz oben. Myers liest ihn vor und streicht ihn anschließend durch, „Gestorben, Drogen“, ergänzt er. Janis Joplin, durchgestrichen. „Gestorben, Alkohol“. Mama Cass, durchgestrichen. „Gestorben, Schinken-Sandwich“. Wie heißt es so schön: Nichts ist so dauerhaft wie ein Provisorium – außer ein gutes Gerücht. Mama Cass, oder besser Cass Elliot, ist zu diesem Zeitpunkt fast ein Vierteljahrhundert tot. Die Mär von der vermeintlichen Todesursache, das Gerücht, sie sei an einem Schinken-Sandwich erstickt, hält sich seither ebenso hartnäckig wie die Liebe zu jenen wunderbaren Liedern, die sie einst sang.Ingo Scheel: „Schlussakkord – wie Musiklegenden für immer verstummten“ Ventil Verlag, 232 Seiten, 24 Euroventil-verlag.de
Cass Elliot erblickt am 19. September 1941 als Ellen Naomi Cohen in Baltimore, Maryland, das Licht der Welt. Den Vornamen borgt sie sich später von einer ihrer Lieblingsschauspielerinnen, Peggy Cass, den Nachnamen von einem verstorbenen Freund. In der Schule spielt sie bereits Theater, tritt danach in Musicals wie „The Music Man“ (1962) auf. Als sich ihre erste Gesangsgruppe Big 3 auflöst, singt sie bei den Mugwumps. Auch diese Formation ist nicht von langer Dauer. Denny Doherty, einer ihrer Mitmusiker, tut sich schließlich mit John und Michelle Phillips zusammen, sie nennen sich The New Journeymen. Doherty möchte seine frühere Bandkollegin dazuholen, doch John Phillips hat seine Zweifel. Ihre Stimmlage sei nicht hoch genug, so ein Kritikpunkt, und schlimmer noch: Sie sei einfach zu dick.
Cass Elliot wollte „eine Mama sein“
Im Urlaub auf den Virgin Islands schließlich, anno 1965, hat Doherty Phillips endlich weichgekocht, Cass Elliot ist in der Band. Zwei Männer, zwei Frauen, ein neuer Name muss her. Die zündende Idee kommt ihnen vor dem Fernseher. Es werden Whiskey, Wein und Brandy getrunken, eine Menge Joints geraucht, ein paar Seconal eingeworfen. Im TV läuft Dick Carsons Talkshow, zu Gast sind die Hells Angels. Angesprochen auf die Rockerbräute, kommt es zum entscheidenden Ausspruch: „Manche Leute meinen, unsere Girls seien billig“, so einer der Angels. „Wir sind da anderer Meinung, wir nennen sie unsere ‚Mamas'“. Cass Elliot fühlt sich sofort angesprochen. „Das ist es“, jubelt sie. „Ich will auch eine Mama sein.“ Michelle stimmt mit ein: „Wir sind die Mamas! Wir sind die Mamas!“ Die Frage nach der anderen Hälfte ist schnell beantwortet. „Dann sind wir die Papas“, sagt John Phillips. So weit, so gut. Dekaden später beschreibt Denny Doherty freimütig, wie es an jenem schicksalhaften Abend weiterging. Als Cass Elliot und John Phillips im Brandy-Nebel auf der Couch eindösen, kommen Doherty und Michelle einander näher, es ist der Auftakt zu einem jener amourösen Ränkespiele, jener intimen Interna, die später auch die Reihen von Fleetwood Mac durchschütteln würden – Seitensprünge, Flirts, und Liaisons. Elliot macht Doherty eines Tages einen Hochzeitsantrag, aus der schönen Vorstellung von zwei Ehepaaren, einer Art amourösen Balance, wird jedoch nichts. Der Legende nach ist Doherty viel zu breit, um zu antworten.
Den ersten Gig mit seiner Punkband spielte er einst dort, wo Regisseur Lars Jessen auch Rocko Schamonis „Dorfpunks“ auftreten ließ: auf der Aula-Bühne des Hans-Geiger-Gymnasiums in Kiel. Bei der Musik ist es für Ingo Scheel, 1964 in der Fördestadt geboren, geblieben – als Sänger, als Drummer und als freischaffender Journalist und Autor. Für das MINT-Magazin ist er in Sachen Vinyl unterwegs, für Visions, Galore, Musikexpress ist er ebenso am Start wie für den stern, ntv.de und ByteFM. Ingo Scheels Plattensammlung, das Drumkit, das er sich mit Tochter Anni teilt, und sein Lieblingssessel stehen in Hamburg. „Schlussakkord“ ist sein erstes Buch.
© Bernd Jonkmanns/laif
Was bei den Herzensangelegenheiten holprig läuft, funktioniert in puncto Kreativität umso besser. Cass Elliot erweist sich als entscheidende Personalie. Standen das Duo Phillips und Doherty zuvor noch knietief im Folk-Duktus der Sixties, bringt Elliot jene Ideen ins Studio, die den Sound der Mamas & Papas auf die entscheidende Bewusstseinsstufe heben: Sie steht auf die Beatles, auf Motown, ihr Herz schlägt für die Großtaten, die man in den Songwriter-Stuben des Brill Buildings ersinnt. Auch in puncto Image kommt ihr eine Schlüsselposition zu. Die Gruppe als solches ist ohnehin ein optischer Gegenpol zum geschniegelten Style anderer Bands: John Phillips mit seinen latent grotesken Mützen, Doherty als psychedelischer Preacherman, Michelle Phillips als Inbegriff des kalifornischen Beachgirls, und dazu die wuchtige Cass Elliot, die Empowerment und Engagement ausstrahlt, zudem mit einer Stimme ausgestattet ist, die ganze Hochhäuser heizen könnte. Hatte John Phillips noch Elliots Erscheinung als Argument gegen eine Zusammenarbeit angeführt, wird sie nun zur Lichtgestalt des Ensembles, zur Identifikationsfigur für eine ganze Generation.
The Mamas & the Papas landen in der Folgezeit reihenweise Hits, mit Songs wie „Monday, Monday“, „Dedicated to the One I Love“ und dem ikonischen „California Dreaming“ installiert sich die Gruppe auf immer und ewig im großen Pop-Almanach. Doch ihre Zeit ist begrenzt, nicht nur der universelle Sommer der Liebe geht zu Ende. Die Manson-Morde erschüttern den Laurel Canyon, das finstere Family-Oberhaupt war mit John Phillips befreundet, wollte unbedingt mit ihm Musik aufnehmen. Überhaupt ist der Erfolg mit einer derartigen Geschwindigkeit über die Band hinweggefegt, dass es im Auge des Hurrikans schwerfällt, karrieretechnisch in der Spur zu bleiben. Die amourösen Verwicklungen tun ihr Übriges. Als John Phillips, hinter den Kulissen der dominante Drahtzieher der Gruppe, seine Frau und Doherty in flagranti erwischt, reagiert er ironisch-kühl. „Du kannst mir alles Mögliche antun“, soll er zu „Mich“, wie er seine Gattin nennt, gesagt haben, „aber du fickst nicht mit meinem Tenor“. Zwischenzeitlich wird Michelle Phillips aufgrund ihrer Affäre mit Gene Clark von den Byrds sogar durch Jill Gibson ersetzt. Summer of Love? Not entirely true. And over much too soon. Der Song „Dream a Little Dream of Me“ wird im Juni 1968 veröffentlicht, gegen den Willen von John Phillips mit dem Interpreten-Vermerk „Mama Cass With The Mamas & The Papas“. Der Evergreen in spe entpuppt sich als Hit und Schlüsselwerk – für The Mamas & the Papas wird es der Sargnagel ihrer Karriere, auch wenn sie aus vertraglichen Verpflichtungen heraus bis 1971 weiterhin gemeinsam Platten veröffentlichen. Für Cass Elliot ist es der Auftakt zum nächsten Kapitel. Ihr Label Dunhill Records bringt den Song ein weiteres Mal heraus, als Titeltrack von Cass Elliots Solodebüt, veröffentlicht im Oktober 1968.
Ihr Engagement in Las Vegas geriet zum Debakel
Zur selben Zeit startet ihr dreiwöchiges Engagement im Caesars Palace in Las Vegas, sie soll zwei Shows pro Abend spielen, das Ganze für eine Wochengage von 40.000 US-Dollar, was heute einem Betrag von 360.000 US-Dollar entsprechen würde. Elliot beginnt schon Monate zuvor mit einem strengen Diätregime, isst nur an drei Tagen die Woche und verliert so um die 50 Kilo – ein Drittel ihres Körpergewichts. Die Proben zur Show finden ohne sie statt. Cass Elliot ist zu geschwächt, sie verbringt die Tage im Bett. Später gesteht sie, dass es nicht nur die Diät war, die so umhaute: Sie soll auch einiges an harten Drogen gekickt haben. Raus mit den Kohlehydraten, rein mit dem Koks, keine unübliche Kombi im Showbiz. Gerüchten zufolge setzt sie sich unmittelbar vor dem ersten Vegas-Konzert einen Schuss. Sie absolviert nur eine Probe. Am Abend des 16. Oktober findet die Premiere statt, im Saal des Circus Maximus, wo sich so illustre Größen wie Jimi Hendrix, Liza Minnelli, Mia Farrow und Joan Baez vor ihr die Ehre gegeben haben. Doch Cass Elliot ist völlig außer Form. Bei der ersten Show – Elliot mit brüchiger Stimme und verkürzter Setlist – gibt es noch wohlwollenden Applaus, bei der zweiten am selben Abend verlässt das genervte Publikum in Teilen den Saal. Das Abenteuer Las Vegas hat gerade begonnen, da ist es bereits wieder vorbei – nach nur einem Abend. „Sink Along With Cass“, so spottet der Kritiker vom „Esquire“-Magazin, die „New York Times“ vergleicht ihren Auftritt gar mit dem Untergang der Titanic.
Doch so schnell läuft Cass Elliot nicht auf Grund. In den frühen 1970ern versucht sie einen Kurswechsel, orientiert sich Richtung Film und Theater, tritt in zahlreichen Shows und TV Specials auf. Ihr Gewicht bleibt fortwährend ein Thema, ihre Unzufriedenheit mit dem eigenen Image als mütterliche Matrone, als Frau, die von allen „Mama“ genannt wird, ein seelischer Tinnitus. „Don’t Call Me Mama Anymore“ nennt sie ihr Livealbum, das im September 1973 erscheint. Es wird das letzte zu Lebzeiten sein. Doch so erfolgreich die Shows sind, so sehr ihre Rückkehr nach Las Vegas zum Triumphzug wird: die Schallplatten-Aufnahme der Live-Sause stößt nur auf mäßiges Interesse. Zehn Mythen über Love & Peace 40 Jahre Woodstock (1503293)
Im Frühjahr 1974 bricht sie während einer Produktion der „Tonight Show“ mit Johnny Carson unmittelbar vor ihrem Auftritt zusammen, doch sie fängt sich erneut und nimmt den Erfolgsfaden direkt wieder auf. Im Sommer reist sie nach Großbritannien, um ein zweiwöchiges Engagement im London Palladium anzutreten. Die Auftritte sind umjubelt, die Kritiken bestens, am 27. Juli feiert sie den Abschluss der Konzertreihe mit einem ausgiebigen Zug um die Häuser. Zuhause bei Mick Jagger, in der Tite Street im Stadtteil Chelsea, nimmt sie an der Party zu dessen 31. Geburtstag teil, später ist sie Ehrengast bei einem Brunch, zu dem Sängerin und Schauspielerin Georgia Brown geladen hat. Beim US-Autoren Jack Martin leert sie noch ein paar Cocktails, dann ist Bettzeit.
Der Sänger Harry Nilsson, nicht nur ein vorzüglicher Songschreiber, zudem als Mitglied der legendären Hollywood Vampires, in deren Reihen so illustre Partylöwen wie Alice Cooper, John Lennon und Elton John, auch ein Promille-erprobtes Feierbiest, hat ihr ein Gästebett in seiner Bude am Curzon Place in Mayfair zur Verfügung gestellt. Am nächsten Morgen sind einige Freunde zu Besuch, wollen die vermeintlich Schlafende jedoch nicht stören und sehen davon ab, an ihre Zimmertür zu klopfen. Erst als Dot McLeod, ihre Sekretärin, sie auch nach zahlreichen Versuchen nicht ans Telefon bekommt, öffnet man die Tür – und findet Cass Elliots Leichnam. Noch bevor Professor Keith Simpson vom Londoner Guy’s Hospital die Obduktion durchführt, gibt Elliots Privatarzt, Dr. Anthony Greenburgh, ein Interview, das in die Annalen eingeht: „Ich denke, die pathologische Untersuchung wird wohl zeigen, dass sie sich an einem Sandwich verschluckt hat, während sie im Bett lag, und anschließend an ihrem Erbrochenen erstickt ist. Sie ist eine gewichtige Lady, daher ist die Möglichkeit einer Herzattacke nicht auszuschließen.“ Patientengeheimnis my ass, Wer solche Ärzte hat, braucht keinen Druckverband mehr. Damit ist das Gerücht in der Welt – und bleibt dort für immer. Die Tatsache, dass vom besagten Schinkensandwich, das auf ihrem Nachttisch lag, nicht einmal abgebissen wurde, scheint irrelevant. Doktor Greenbaum kümmert es jedenfalls wenig. Austin Powers ebenso.
Mama Cass, gestorben. Schinken-Sandwich.
Cass Elliots offizielles Todesdatum: 29. Juli 1974. Die wahre Todesursache: Herzversagen. Der sich von der linken Herzkammer auf den gesamten Herzmuskel ausbreitende Infarkt war wohl auch eine Folge ihrer strapaziösen Diäten.
Etwas mehr als vier Jahre später, am 7. September 1978, liegt erneut ein Toter im Bett von Harry Nilssons Mayfair-Apartment. Wiederum ein bekannter Musiker, am Ende einer Partynacht, diesmal nicht mit Mick Jagger, sondern mit Paul McCartney. Das Alter des Toten ist dasselbe wie das von Cass Elliot: 32 Jahre. Sein Name: Keith Moon.
Der Text stammt aus „Schlussakkord – wie Musiklegenden für immer verstummten“ von Ingo Scheel. Das Buch ist im Ventil Verlag erschienen und kostet 24 Euro. Mehr Infos unter ventil-verlag.de