Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft einen Blick in den neuen stern. Über den Ärztemangel und warum er nicht so leicht zu lösen ist.
Ich bin mit Halbgöttern in Weiß groß geworden, ich stamme aus einer Arztfamilie. Zum Glück haben meine Eltern über Dünkel im Kittel aber immer laut gelacht. Doch in einer Sache verstanden sie keinen Spaß: Für sie war der Arztberuf die schönste Aufgabe der Welt. Dass meine Schwester und ich, anders als nahezu alle Sprösslinge unserer Freundesfamilien, nicht auch Ärzte wurden, nahmen unsere Eltern erstaunlich locker auf. Mehr betrübt sie heute, dass sich mittlerweile viele so entscheiden und das Berufsansehen offenbar Schaden genommen hat, zumindest das des niedergelassenen Mediziners.
Knappe Budgets, Überlastung, überbordende Bürokratie: Bis zum Jahr 2040 könnten bis zu 50.000 Ärztinnen und Ärzte in Deutschland fehlen. Die Folgen sind dramatisch, hat unsere Autorin Nicole Heißmann recherchiert: „Wie kann es sein, dass man in einem der teuersten Gesundheitssysteme der Welt – 2022 lagen die Ausgaben bei 498 Milliarden Euro – Wochen oder Monate auf Arzttermine wartet? Dass Lebenserwartung und Fitness der Deutschen im internationalen Vergleich eher Mittelmaß sind?“ Heißmann schreibt aber auch: „Brauchen wir mehr Menschen, die Medizin studieren, und das Problem wäre gelöst? Es ist komplizierter.“STERN PAID 32_24 Titel Ärztemangel
Den Numerus clausus abschaffen und jeden studieren lassen? Mehr künstliche Intelligenz einsetzen und die Patienten stärker in die Pflicht nehmen? Unser medizinisch geschultes Wissens-Team hat wie immer kundige Antworten parat.
Vereinte Nation – auf welcher Basis?
Apropos künstliche Intelligenz: Titelbilder kann die mittlerweile auch. Das Bild auf dem Cover, das Sie in der Hand halten, ist das erste in der stern-Geschichte, das optisch komplett von KI generiert wurde. Ein Trost für uns Menschen: Die KI brauchte mehrere Anläufe, bis sie die obligatorischen Arztturnschuhe richtig hinbekam.
Ich durfte gerade einige Tage in meiner langjährigen Heimat USA verbringen, an Ost- wie Westküste, für interessante Gespräche und stern-Interviews. Danach war mein Befund wieder klar: Das Land ist durchaus geeint – allerdings nur darin, hemmungslos parteiisch und gleichzeitig hemmungslos unbarmherzig gegenüber dem politischen Feind zu sein. Die Demokraten berauschen sich an Kamala Harris, obwohl sie bis vor Kurzem niemand in der Partei so richtig toll fand. Die Republikaner wiederum feiern umso trotziger den Heiland Trump, auch weil der angeblich beleidigt sein soll, dass Harris derzeit für mehr Schlagzeilen sorgt. Und die Medien überschlagen sich hektisch, all das nachzuliefern, was sie lange versäumt haben, nämlich Berichte über Joe Bidens wahren Gesundheitszustand und Trumps tatsächliche Pläne abseits des Klamauks. Unterdessen brummt die Wirtschaft, denn dem Land geht es ja blendend, insbesondere der IT-Branche. Die buhlt politisch um beide Lager, auch aus Angst vor mehr Regulierung.
Dabei brauchte es die vielleicht, damit Amerika nicht noch weiter zerfällt. Stuart Russell, Informatikprofessor in Berkeley, vergleicht den verheerenden Einfluss sozialer Netzwerke mit dem von Atombomben. Und er warnt, wir begingen denselben Fehler wie einst bei der Schöpfung von Facebook und Co. – wir überließen Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz profitgetriebenen „kids“, die keine Ahnung hätten, was sie da gerade wirklich anrichteten. Vielleicht sollten wir darüber auch mal reden. Und nicht nur über Umfragewerte.