Vor einem Jahr hat CDU-Chef Friedrich Merz seinen Generalsekretär hinausgeworfen. Seither hat Mario Czaja dazu geschwiegen. In einem Buch präsentiert er nun vor allem einen Blick nach vorne.
Ex-CDU-Generalsekretär Mario Czaja fordert angesichts stagnierender Umfragewerte für seine Partei eine stärkere Einbindung ostdeutscher Erfahrungen. „In vielen Fragen kann Ostdeutschland eine Vorbildfunktion bei den in ganz Deutschland anstehenden Transformationsprozessen einnehmen“, schreibt der Bundestagsabgeordnete ein Jahr nach seinem Rauswurf durch Parteichef Friedrich Merz in einem Buch mit dem Titel „Wie der Osten Deutschland rettet. Lösungen für ein neues Miteinander“. Es erscheint am 12. August.
Czaja will das Buch ausdrücklich nicht als Abrechnung verstanden sehen, sondern als Bestandsaufnahme und einen Blick nach vorne mit konkreten Lösungsansätzen, wie die Kluft zwischen Ost und West überwunden werden kann. „Für eine Abrechnung bestand und besteht kein Anlass“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Merz hatte Czaja im Juli 2023 nach rund eineinhalb Jahren gegen den Bundestagsabgeordneten und Wirtschaftsexperten Carsten Linnemann ausgewechselt. In der Partei hatte es damals Unzufriedenheit mit Czaja gegeben. Die CDU liegt in Umfragen seit langem bei etwas über 30 Prozent. In der Partei gibt es Stimmen, die diesen Wert angesichts des desolaten Zustands der Ampel-Regierung für zu niedrig halten.
„Der Osten kann Deutschland retten“
„Der Osten kann Deutschland retten“, schreibt Czaja. In einem Jahr mit Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, „in dem der Osten wieder Gefahr läuft, in der Öffentlichkeit einseitig als Problemzone der chronisch Undankbaren, Aufmüpfigen und latent Rechtsradikalen gespiegelt zu werden“, wolle er kritisch, aber selbstbewusst nach vorne schauen. „Wir haben mehr zu bieten als nur den „grünen Pfeil“ an der Ampel“, betont er.
Für eine Revision des Unvereinbarkeitsbeschlusses zur Linkspartei
Inhaltlich fordert Czaja etwa eine Revision des Unvereinbarkeitsbeschlusses seiner Partei, nach dem eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei genauso wie mit der AfD ausgeschlossen wird. „Ich habe den Unvereinbarkeitsbeschluss, der AfD und Linkspartei gleichsetzt, immer für falsch gehalten“, sagte Czaja der dpa. „Die Linkspartei ist im Osten Deutschlands eine in großen Teilen ostdeutsch geprägte Sozialdemokratie“, fügte er hinzu. Wer beide Parteien gleichsetze, verharmlose die AfD.
Dem „Focus“ sagte Czaja, es sei aus seiner Sicht falsch gewesen, dass die CDU in Thüringen nach der vergangenen Landtagswahl nicht mit der Linkspartei über Formen der Zusammenarbeit gesprochen habe. „Es hätte ja nicht zwingend eine Koalition sein müssen. Damals gab es zum Beispiel die Idee, ein Expertenkabinett aus überparteilichen Köpfen zu bilden“, sagte Czaja dem Magazin. Er sei kein Anwalt der Linken, aber „die Linkspartei hat sich mit ihrer Verantwortung für Mauer und Stacheldraht intensiv beschäftigt, stärker als die Blockparteien übrigens.“
Zurückhaltend zum BSW von Wagenknecht
Mit Blick auf eine mögliche Zusammenarbeit seiner Partei mit dem „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) äußert sich Czaja im Buch zurückhaltend. Es sei noch deutlich zu früh, das BSW zu bewerten. Eine Zusammenarbeit auf kommunaler oder landespolitischer Ebene müsse anhand der Programmatik und den handelnden Personen festgemacht werden. In Thüringen und Sachsen sind am 1. September Landtagswahlen, in Brandenburg drei Wochen später. Mit zweistelligen Umfragewerten in den drei Ländern könnte das BSW zum Machtfaktor bei der Regierungsbildung werden.
Czaja über Merz
Ausführlich schildert Czaja seinen Rauswurf, von dem er überrascht worden sei. Die ursprünglich von Merz vorgesehene Sprachregelung dazu sei für ihn eine Provokation gewesen. „Kein Satz über das Erreichte. Weitgehend Lob für die Entscheidung von ihm, jetzt den Wechsel zu vollziehen.“ Dies habe er Merz gegenüber klar kritisiert. „Es war schon fast skurril, als er erwiderte, dass er meinen Unmut verstehen könne und dieser Text nicht von ihm, sondern seiner Beratungsagentur komme. Ich solle ihn doch einfach korrigieren und anpassen. Ein weiterer Affront, wie ich fand.“ Merz habe sich keine Zeit genommen, den gemeinsamen Weg noch mal zu bewerten.
Merz habe „offensichtlich auf Basis stark subjektiv gefärbter Bewertungen“ entschieden. So sei der Vorsitzende enttäuscht gewesen, „dass er, obwohl er die liberalen Kräfte in der Parteiführung eingebunden hatte und beispielsweise mit der Zustimmung zur Frauenquote auch deren Positionierungen bei der Neuausrichtung der Partei berücksichtigte, von dort weiteren Gegenwind erhielt“. Merz habe zunehmend die Enttäuschung der konservativen Kräfte in der Partei gespürt, „aus deren Sicht er zu wenig von dem lieferte, was sie sich eigentlich von ihm als Parteivorsitzenden erwarteten“.
Hinzu gekommen seien „seine mageren Zustimmungswerte in der Öffentlichkeit und speziell bei den Frauen“, schreibt Czaja. Diese schlechten Werte hätten deutlich gemacht, „dass er im konservativen Spektrum nicht glaubwürdig genug und bei den liberalen Wählern politisch nicht ausgewogen und attraktiv genug erschien“. Merz habe sich aus dem Dilemma „mit einer Fokussierung auf seinen Markenkern – als erfahrener Europapolitiker, Wirtschaftsfachmann und Konservativer“ lösen wollen.
Russland nicht auf ewig aus dem „Haus Europa“ verbannen
Czaja fordert eine emanzipierte Außen- und Sicherheitspolitik. Der Begriff vom „Haus Europa“, in dem der damalige Kanzler und CDU-Chef Helmut Kohl stets auch Russland gesehen habe, solle „nicht für alle Ewigkeit in die Archive verbannt werden“. Auch die „Sehnsucht nach Frieden und Stabilität in Europa, die in Ostdeutschland parteiübergreifend stark ausgeprägt ist, sollte bei allen taktischen Überlegungen endlich stärker in die bundesdeutsche Außenpolitik einfließen“. Bei aller großen Schuld, die „das Putin-Regime“ durch den Ukraine-Krieg auf sich geladen habe, werde es auch eine Zeit danach geben.
Sonderförderzonen, Kinderstartkapital, DIN Ost und Ostquote
Czaja fordert, die „über Generationen gelernte gesunde Skepsis vieler Ostdeutscher gegenüber „der Obrigkeit““ als Seismograf zu nutzen. Die Ost-CDU müsse sich aus der „westdeutschen Umklammerung lösen und eigenständige Entscheidungen“ treffen können. Mehr als bisher müsse in Strukturen für Forschung und Entwicklung investiert werden, um dem in Ostdeutschland wesentlich kleinteiligeren und vom Kapital her deutlich schwächer aufgestellten Mittelstand eine Teilhabe am technologischen Fortschritt zu ermöglichen.
Mit Sonderförderzonen solle die ostdeutsche Wirtschaft auf die Überholspur gebracht werden. Dafür sei mehr Unterstützung bei der frühkindlichen und schulischen Bildung nötig. Czaja fordert angesichts der ungleichen Verteilung von Vermögen ein „Kinderstartkapital“ – einen Grundstock von 10.000 Euro für jedes Kind, das in Deutschland groß wird. Zudem sei eine Ostquote gestaffelt nach Bund und Ländern nötig. 20 Prozent der zu besetzenden Führungspositionen in den Bundesministerien müssten mit Ostdeutschen besetzt werden.