Drogen: Chefs auf Koks: „Manche bleiben unentdeckt, bis sie im Unternehmen zusammenbrechen“

Sie wollen mehr leisten und selbstbewusster sein: Manche Chefs nutzen dafür Kokain. Das sei nicht nur ein Problem in der Banken-Branche, sagt Expertin Johanna Dahm.

Wie erkenne ich, ob mein Chef Drogen nimmt, Frau Dahm?
Das ist eine schwierige Frage. Oftmals bleiben die Damen und Herren über Jahrzehnte unentdeckt. Das betriebliche Gesundheitsmanagement oder die HR-Abteilung sind aber darauf geschult, Suchtverhalten zu erkennen. Worauf sie achten, sind erweiterte Pupillen, das Arbeitsgedächtnis des Chefs, wie er die Realität einschätzt oder ob er an einem Tag motiviert ist und am nächsten Tag nicht mehr.

Johanna Dahm Zur Person

Wie macht sich der Konsum von zum Beispiel Kokain noch bemerkbar?
Ein Hinweis kann sein, dass sich der Chef nicht mehr erinnert, was er am Vortag gesagt oder zugesagt hat. Oder auch, wenn er stark risikoaffines Verhalten an den Tag legt. Oft ist es aber schwer, einen Konsum zu erkennen. Das bestätigen mir auch Chefs, mit denen ich selbst sprechen konnte. Manche von ihnen blieben über Jahre oder gar Jahrzehnte unentdeckt, bis es zu einem solch groben Fehler kam, dass sie im Unternehmen zusammengebrochen sind.

Was sollte ich tun, wenn ich den Verdacht habe, dass mein Chef Drogen nimmt?
Was ich tun sollte und was dann tatsächlich passiert, sind oftmals zwei Paar Schuhe. Ich sollte mich natürlich immer an eine Vertrauensperson im Unternehmen wenden. Das kann die Personalabteilung sein, das kann der Vorgesetzte des Vorgesetzten sein. Ich kann auch den Vorgesetzten direkt ansprechen und ihn einfach mal fragen, ob er vielleicht gesundheitliche Probleme hat, ob es ihm nicht so gut geht.

Das wird für viele Arbeitnehmer unmöglich klingen.
So zu reagieren, ist gewiss sehr schwierig. Als Mitarbeiter muss ich auch immer Sorge haben: „Kommt das gut an?“, „Vergreife ich mich da nicht im Ton?“, „Geht mich das eigentlich was an?“ Oftmals ist es auch so, dass der Vorgesetzte zum gemeinsamen Konsum von Alkohol, Cannabis oder Kokain animiert, zum Beispiel bei Außendiensttagungen, auf dem Bau oder in bestimmten Branchen.

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Ganz nach dem Motto „Work hard, play hard“.
Das habe ich auch schon gehört (lacht). Vor allem aus den Branchen, in denen längere Zeit unter Druck gearbeitet wird wie in der Beratungsindustrie oder der Tourismusbranche. Bei Langstreckenflügen zum Beispiel sind die Erholungszeiten extrem kurz. Wenn man 17, 18 Stunden wach bleiben muss, braucht man schon ein Aufputschmittel, muss sich dann aber auf Knopfdruck wieder erholen. Da nimmt man dann Kokain oder Speed in der Luft und beruhigende Substanzen wie Cannabis oder Tabletten nach der Landung. Das ist ein offenes Geheimnis.

Sie haben gerade auch die Finanzindustrie genannt. Wie ist es dort?
Ich lebe ja in Frankfurt, und da hört man so einiges. So sind zum Beispiel bestimmte Firmen der Finanzbranche in manchen Restaurants nicht mehr gern gesehen, weil sie dort offen Lines ziehen und sich danebenbenehmen. Deswegen mieten sie dauerhaft Hotelsuiten an, um dort Kunden zu treffen und auch Frauen und den Drogenkurier hinzubestellen, weil der Kunde das ja so möchte.

Gibt es noch eine Branche, wo besonders viele Chefs Drogen nehmen?
Man sollte nicht annehmen, dass nur bestimmte Branchen wie die Finanz- oder Tourismusindustrie aufputschende Mittel verwenden. Tatsächlich findet man überall einen hohen Leistungsdruck, besonders in Branchen, die gerade schwierige Phasen durchlaufen und verzweifelt nach Lösungen suchen, während die Angst um Arbeitsplätze wächst – zum Beispiel in der Automobil- oder Modeindustrie. Wir haben ja immer noch dieses Dogma im Kopf: Wer am längsten arbeitet, wer die meiste Leistung zeigt, der ist dann auch derjenige, der seinen Arbeitsplatz sicher hat. Sie können davon ausgehen, dass überall dort, wo man um den eigenen Job bangt, jetzt auch gerade unglaublich viel gepuscht wird.

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Zurück zu den koksenden Chefs: Wie viele Vorgesetzte nehmen denn nun Drogen?
Sechs von zehn Managern geben eine Schlafstörung an. Die Gründe sind da vor allem Stress und Druck auf der Arbeit. Um runterzukommen, greift ein Teil dieser Gruppe zu Alkohol, Cannabis oder Schlafmitteln. Zu einem Drogenkonsum bekennen sie sich absurderweise aber nicht. Um am nächsten Tag wieder leisten zu können, nimmt man dann aufputschende Mittel wie Kokain und Speed. Meinen Recherchen nach bekennen sich etwas 20 Prozent der deutschen Chefs zu einem Drogenkonsum, der dann oft ein sogenannter Multikonsum ist. Das bedeutet, dass zwei oder mehr Suchtmittel gleichzeitig konsumiert werden.

Warum sind Sucht und Arbeit so eng miteinander verbunden?
Es beginnt schon mit alltäglichen Dingen wie Kaffee – viele können ohne ihren Morgenkaffee kein Meeting halten. Ich erinnere mich an eine Person in einem Unternehmen, die ständig mit einer großen Flasche Cola-Light herumlief, weil sie ohne diese nicht arbeiten konnte. Jeder hat quasi seine „Droge“, ohne die er glaubt, nicht funktionieren zu können. Oft ist das aber nur eine Kopfsache. Mit Drogen versuchen wir aus dem Kreislauf des Stress auszubrechen, tatsächlich verstärken wir ihn aber nur damit.

Wie sähe ein Ansatz aus, diese Kultur aufzubrechen?
Ich denke, wir müssen eine humane Leistungskultur entwickeln. Meiner Meinung nach haben wir in Deutschland zurzeit keine wirkliche Leistungskultur, sondern vielmehr eine Arbeiterkultur – wer viel tut, gilt als leistungsstark. Aber um auf diesem Niveau zu arbeiten, greifen Menschen dann zur Unterstützung zu „Drogen“. Tatsächlich erbringen wir jedoch nicht so viel Leistung, wie wir glauben – das zeigt sich daran, dass unser Bruttoinlandsprodukt hinter dem anderer Länder zurückbleibt und unsere Produkte nicht mehr innovativ sind. Wir müssen neu definieren, was Leistung bedeutet, und die Menschen mit den Kompetenzen und dem Innovationsgeist ausstatten, die sie benötigen, um die Leistungen zu erbringen, die heute und in der Zukunft gefordert sind. Ich bezweifle stark, dass wir dafür „Drogen“ brauchen. Was wir stattdessen brauchen, ist eine andere Art von Kultur: eine, die auf Zusammenarbeit basiert und Experimente zulässt. Derzeit haben viele Menschen Angst vor Fehlern und nehmen deshalb „Drogen“.