Prozessbeginn: Totschlag im Altenheim – Beschuldigter erinnert sich nicht

Ein dementer, alter Mann bekommt in einem Altenheim in Oberbayern einen Mitbewohner. Weil ihm das nicht gefiel, soll er ihn umgebracht haben. Nun beginnt der Prozess.

Der 93-Jährige kann sich nicht an den Mann erinnern, den er getötet haben soll. „Nein“, sagt er nach langem Schweigen auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob er einen Mann mit dem Namen des Opfers kenne. Erst als Fotos des Toten am Tatort gezeigt werden, sagt er plötzlich und unvermittelt: „Das sagt mir was.“ Aber wer der Mann sei, das wisse er nicht. 

Vor dem Landgericht Traunstein hat der Prozess gegen einen dementen Altenheimbewohner begonnen, der seinen Zimmergenossen umgebracht haben soll, weil er ein Einzelzimmer wollte. 

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 93-Jährigen, der als schuldunfähig eingestuft wird, Totschlag vor. Er soll – nur zwei Tage nach dessen Einzug und einen Tag, bevor er selbst umziehen sollte – so massiv auf den Kopf des 84 Jahre alten Mitbewohners eingewirkt und seine Nase und seinen Mund zugedrückt haben, dass der Mann starb.

„Aufgrund des Geisteszustandes würde ich von weiteren Fragen absehen“

Das Gericht bricht die Vernehmung des alten Mannes nach kurzer Zeit ab, weil es dem Österreicher kaum möglich ist, auf Fragen zu antworten. Wo er denn sei, will der Richter von ihm wissen. Antwort: „In einem großen Saal.“ Mehr nicht. „Aufgrund des Geisteszustandes würde ich von weiteren Fragen absehen“, entscheidet der Vorsitzende Richter. 

Eine psychiatrische Gutachterin, die vor Beginn des Prozesses zweimal mit dem Beschuldigten gesprochen hatte, gibt an, er habe sich damals noch rudimentär erinnern und wenige Angaben zur Tat machen können – unter anderem habe der 93-Jährige über seinen Zimmergenossen gesagt: „Der Mann hätte sich breit gemacht und so getan, als würde ihm alles gehören.“

„Es war ein ganz ruhiger Tag“

Nichts habe an jenem Tag, dem 22. Januar dieses Jahres, darauf hingedeutet, dass es in dem Altenheim im oberbayerischen Wasserburg am Inn zu einer solchen Tat kommen könnte, sagte eine Krankenschwester, die zur Tatzeit Dienst hatte und den Rettungsdienst alarmierte, als sie den leblosen Mann entdeckte: „Es war alles in Ordnung, es war ein ganz ruhiger Tag.“

Bis 2040 werden voraussichtlich allein in Bayern 380.000 Demenzkranke leben

Gewalt im Altenheim ist kein Einzelfall. Im Mai 2021 verurteilte das Landgericht München II einen damals 88 Jahre alten Alzheimer-Patienten zur Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie, weil er eine alte und ebenfalls demenzkranke Frau, die ebenfalls in dem Altenheim wohnte, so brutal vergewaltigt und attackiert hatte, dass sie an den Folgen starb. 

Und Sicherheit in Pflegeheimen und der Schutz von und auch vor dementen Menschen dürfte in den kommenden Jahren ein noch größeres Thema werden. In Bayern leben nach Angaben von Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) derzeit rund 270.000 Menschen mit Demenz. Die Zahl werde bis zum Jahr 2030 voraussichtlich auf 300.000 steigen und bis 2040 auf 380.000.

Brysch: „Träger und Gesellschaft schauen viel zu sehr weg“

„Pflegeheime sind weder Orte der permanenten Glückseligkeit, des Grauens oder rechtsfreie Räume. Auch leben hier Menschen, die nicht nur körperliche, sondern oft kognitive Einschränkungen haben“, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, der Deutschen Presse-Agentur. Rund 80 Prozent der Heimbewohner in Deutschland leiden seinen Angaben zufolge unter Demenz. 

„An die Beschäftigten stellt das hohe Ansprüche“, sagte er. „Auch müssen sie Konflikte erkennen, ebenso eigene Frustrationen bewältigen.“ Eine „Kultur des Hinschauens“ müsse trainiert werden. „Offenheit im Umgang mit Defiziten gehört dazu. Ergänzt durch Supervision.“ Er kritisierte: „Träger und Gesellschaft schauen viel zu sehr weg. Politisch ist das ein heißes Eisen, denn die Pflegeversicherung finanziert eine Mangelverwaltung. Eine bundesweite einheitliche Statistik zu Gewalt in der Pflege wäre hilfreich.“

Im Traunsteiner Verfahren hat das Gericht insgesamt vier Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil könnte demnach am 10. September fallen.