Warum das Filmfestival von Venedig mit herausquellenden Eingeweiden startet – und das nicht nur den exzentrischen „Beetlejuice“-Regiseur Tim Burton freut.
Er kann auf Kommando die Eingeweide aus seinem Bauch herausquellen lassen und den Kopf kreiseln wie ein Karussell. Stören ihn Leute, näht er ihnen kurzerhand den Mund zu. Seine Ex-Frau saugt Seelen aus, versucht bereits in der Hochzeitsnacht, ihn zu vergiften und muss ihren später von ihm verstümmelten Körper eigenhändig zusammentackern. Klack, klack, klack.
Venedig, das älteste Filmfestival der Welt, beginnt zwar wie gewohnt im schwülen August, auf der Leinwand leuchten jedoch schon die Kürbisse und das Personal spielt Halloween: blutige Gags, abgeschlagene Gliedmaßen, schaurige Kostüme, ab und zu ein wenig Süßes.
Geld ist ihm egal, flunkert Tim Burton
Für den Eröffnungsfilm der 81. Ausgabe kehrt Regisseur Tim Burton („Edward mit den Scherenhänden“, „Sweeney Todd“) zurück an den Lido und frönt seiner Liebe zu Leichen und morbider Stimmung. 36 Jahre hat es gedauert, bis er dem Horror-Clown „Beetlejuice“ eine Fortsetzung auf den drallen Leib geschrieben hat. Für den roten Teppich hat Burton neben dem vertrauten Personal aus Michael Keaton, Catherine O’Hara und Winona Ryder noch Neuzugänge wie Willem Dafoe, Justin Theroux und Monica Bellucci mitgebracht.
Die „Beetlejuice“-Familie auf dem roten Teppich in Venedig: Jenny Ortega, Winona Ryder, Tim Burton, Monica Belluci, Michael Keaton und Willem Dafoe (v. l.)
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Es ginge ihm nicht ums Geldverdienen, flunkert Burton, inzwischen seit 66 Jahren unter den Lebenden, charmant auf der Pressekonferenz. Auch weil er nie wirklich verstanden habe, warum der erste Teil so gut angekommen sei. Er wirkt inzwischen fast wie ein Alter Ego von „Beetlejuice“ und könnte mit seinem verschmitzten Humor und den dunklen Augenringen locker selbst für tragende Rolle in seinen Werken besetzt werden. „Ich habe mich in den vergangenen Jahren etwas verloren gefühlt“, fuhr Burton fort, für einen schrulligen Querdenker wie ihn sei in Hollywood wohl kein Platz mehr. Doch nun habe er die Begeisterung für seinen Beruf neu entdeckt. „Egal, wie gut der Film am Ende ankommt: Ich habe es einfach genossen und geliebt, ihn mit all diesen Menschen zu machen“, sagt er und strahlt.
Horror: Hier sind Frauen noch „Puss“
Die Handlung knüpft locker an den Vorgänger an. Der Teenager, der Gespenster sehen kann, ist inzwischen zur Frau (Winona Ryder) gereift, die als paranormales Medium für eine TV-Show arbeitet. Als ihr Vater stirbt, kehrt sie mit Stiefmutter, Freund und Tochter zurück zum Spukhaus ihrer Jugend. Doch unter die Trauergäste mischt sich bald ein Geist aus ihrer Vergangenheit: Der Dämon „Beetlejuice“, der auch im Jahr 2024 Frauen als „Puss“ bezeichnet und irre Hochzeitspläne schmiedet. Zudem gibt es ein Wiedersehen mit alten Bekannten wie dem doppelköpfigen Sandwurm und gleich einer ganzen Schar von Anzugträgern mit Schrumpfköpfen.
Spinnweben und Kürbisse bei den Filmfestspielen Venedig
Das Original hat treue Fans, darunter erstaunlich viele, die die 80er Jahre nur von Motto-Partys kennen dürften. Rund um den Palazzo del Cinema tummelten sich bereits Stunden vor der offiziellen Eröffnungsfeier mit Jury-Präsidentin Isabelle Huppert und Ehrenpreisträgerin Sigourney Weaver vornehmlich junge Frauen in Beetlejuice-T-Shirts, rüschigen Kniestrümpfen mit Spinnen-Motiven oder gleich im schwarz-weiß gestreiften Hosenanzug, dem Markenzeichen des Titelhelden.
Trotz dieser Referenz an die 80er warteten die meisten jedoch auf einen Star Jahrgang 2002. Die Kalifornierin Jenny Ortega hat sich in den vergangenen Jahren als eine der angesagtesten neuen „Scream Queens“ etabliert, mit Auftritten in zwei „Scream“-Filmen und der Netflix-Serie „Wednesday“. Nun spielt sie die Tochter von Winona Ryder, kann wie ihre Mutter Geister sehen und muss sich in einer Zwischenwelt der Lebenden und der Toten behaupten. Ohne zu viel zu verraten: Von Jungs mit komischen Eltern sollte man die Finger lassen, mögen sie auch noch so süß sein.
Beetlejuice – willkommen zur Beerdigung!
Für ihren ersten Auftritt vor der Presse hat sich Ortega für einen blutroten Smoking entschieden, Ryder erschien in einem rabenschwarzen Kleid, das sogar auf einer Beerdigung als overdressed gelten würde. Tim Burton kenne sie bereits seit der gemeinsamen Arbeit an „Wednesday“, sagte Ortega, außerdem sei sie „ein riesiger Fan“ des ersten Teils und vertraue ihm voll und ganz. Das Treffen mit Ortega habe ihn immens inspiriert, gab Burton das Kompliment zurück an seinen jungen Star. Vor dem Roten Teppich hält derweil eine Mädchengruppe ein selbst geschriebenes Plakat in die Kameras: „Ich bin Stunden gefahren, nur um Jenny lächeln zu sehen.“
„Beetlejuice Beetlejuice“ startet bei uns bereits am 12. September. Ob er ein ähnlich schauriger Hit werden könnte wie das Original – bei einem Budget von gerade mal 15 Millionen Dollar verdiente es 75 Millionen Dollar an den Kassen – ist fragwürdig. Die Freude am Schabernack, an selbst gebastelten Spezialeffekten und gut aufgelegten Schauspielern wecken jedoch Lust auf die altmodische Grusel- und Amüsiermaschine Kino. Ein ganz schöner Schreck für den Start eines Filmfestivals.