Cristiano Ronaldo ist unter die Youtuber gegangen. Der Superstar verspricht Nähe auf seinem neuen Kanal. Und liefert Selbstbeweihräucherung und Reiseempfehlungen für Saudi-Arabien.
Das erste Video auf dem neuen Youtube-Kanal von Cristiano Ronaldo dauert eine Minute und beginnt mit einer Ankündigung. „This is what everybody has seen“, Das ist, was jeder gesehen hat. Na gut, denkt man, wenn nun etwas folgt, das sowieso alle kennen, warum sollte man dann dranbleiben, aber weil der Clip so kurz ist, schaut man weiter und sieht also, wie der Fußballer von einer Videowand am Times Square grüßt.
Ein Countdown, der Leinwand-Ronaldo zählt runter, mit ihm die wartenden Fans davor, der Spieler ruft sein unvermeidliches „Siuuu“, dann wird eine Ronaldo-Wachsfigur enthüllt. So weit, so unspektakulär, aber im Video heißt es jetzt: „And this is what nobody has seen“, Und das ist, was niemand gesehen hat. Kurz fragt man sich, ob es sich also doch gelohnt hat, noch nicht weitergeklickt zu haben, aber dann sieht man in der nächsten Szene, wie Ronaldo in einem Fotostudio neben seinem Double steht, die Jubelpose nachahmt und seiner Wachsversion über die Wange tätschelt. Das war’s, mehr passiert nicht in dem Video, das damit die erste Woche auf dem derzeit am schnellsten wachsenden Youtube-Kanal ganz gut zusammenfasst.
So künstlich wie die Kulisse wirkt alles auf dem Kanal
Cristiano Ronaldo, inzwischen 39 Jahre alt, unter Vertrag in Saudi-Arabien beim Al Nassar FC, zählt längst nicht mehr zu den besten Spielern. Aber er ist immer noch die größte Marke der Fußballwelt. Auf Instagram folgen ihm 636 Millionen Nutzer, mehr als jedem anderen Menschen. Ronaldo vermarktet sich als CR7, seinen Torjubel kann jedes Kind nachahmen, dabei schießt er kaum noch Tore, die von größerer sportlicher Bedeutung sind. Wie weit sein Superstarstatus und sein sportliches Leistungsvermögen inzwischen auseinanderklaffen, hat zuletzt auch die Europameisterschaft illustriert, als Ronaldo vor allem dann im Mittelpunkt stand, wenn Fans aufs Feld stürmten, um mit ihm Selfies zu schießen.
Ronaldo stemmt sich seit Jahren mit beeindruckender Beharrlichkeit gegen den eigenen Alterungsprozess. Er wirkt wie einer, der unbedingt wichtig bleiben will. Aber auch Ronaldo wird wissen, dass er seinen Ruhm mit 39 kaum noch durch sportliche Großtaten steigern kann. Dabei soll ihm nun Youtube helfen.
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„Mein Kanal wird mir eine noch größere Plattform bieten, um Einblicke in mein Leben, meine Familie und meine Ansichten zu vielen verschiedenen Themen zu geben“, sagt Ronaldo. Er verspricht Nähe, spontan und ungekünstelt sollen die Videos sein. Und in der Theorie klingt das ja auch interessant: Einer der besten Fußballer aller Zeiten öffnet sich, zeigt vielleicht seinen Alltag. Blickt vielleicht zurück auf seine Karriere. Erklärt vielleicht, wie er zu der Figur wurde, die er heute ist.
Es ist nur so, dass Ronaldo auf seinem neuen Kanal ungefähr so authentisch wirkt wie die Wachsfigur, die er im ersten Clip enthüllt.
In vielen Videos sitzt Ronaldo auf einer Ledercouch, hinter ihm hängen Trikots und goldgerahmte Fotos seiner Spielszenen, über einen Fernseher flimmert das Logo des neuen Projekts. Kein wirkliches Wohnzimmer, ein Produktionsstudio, Ronaldo selbst spricht einmal vom „Set“. Und so künstlich wie die Kulisse wirkt nahezu alles auf dem Kanal. Alles scheint inszeniert, jedes Spiel und jede Fragerunde durchgeplant.
„Wenn du über Cristiano Ronaldo sprichst, kommst du auf die Titelseite“, sagt Cristiano Ronaldo
Die 15 Clips aus der ersten Woche, in der mehr als 50 Millionen Nutzer den Kanal abonniert haben, dauern selten länger als eine Minute. Sie versprechen viel und halten wenig. Da ist zum Beispiel ein Video, das den Titel trägt: „This is how I overcome adversity“, So überwinde ich Widrigkeiten. Spannend, könnte man meinen, jetzt erfährt man, wie der portugiesische Superstar tickt.
Aber dann folgt ein Schnipsel einer alten Pressekonferenz, auf der Ronaldo sagt, er habe eine schwächere Phase in seiner Karriere erlebt, für die er dankbar sei, denn „auf dem Gipfel des Berges sieht man nicht, was unten ist“. Noch rätselhafter ist, dass der Satz mit einer Szene von der EM unterlegt wird, in der Ronaldo von einem französischen Verteidiger sanft gerempelt wird, hinfällt und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf fasst. Nach 45 Sekunden ist das Video vorbei und man fragt sich: Dieses Foul soll die große Widrigkeit im Leben des Cristiano Ronaldo sein?
Wenn es stimmt, dass es ein erstes Anzeichen für Realitätsverlust ist, wenn Menschen in der dritten Person von sich sprechen, gibt Ronaldos Youtube-Kanal Anlass zur Sorge. Ein Video heißt: „This is how I manage the pressure of being Cristiano“, So bewältige ich den Druck, Cristiano zu sein. „Wenn du über Cristiano Ronaldo sprichst, kommst du auf die Titelseite“, sagt Cristiano Ronaldo in einem anderen Video.
Es geht auch um Saudi-Arabien
Wenig überraschend geht es auf dem Kanal von Cristiano Ronaldo vor allem um Cristiano Ronaldo. Hin und wieder tauchen in der ersten Woche aber auch Mitglieder seiner Familie in den Videos auf. Er misst sich mit seinem Sohn Cristiano Ronaldo Junior im Padel-Tennis und Freistoßschießen und lässt den 13-Jährigen nicht gewinnen, vielleicht der Moment, der in diesen sieben Tagen am wenigsten inszeniert wirkt.
Auch Ronaldos Freundin Georgina Rodriguez hat ihren Auftritt. In einem Video, dessen Titel verspricht, dass man darin „ALLES“ über die beiden erfährt, erfährt man letztlich, dass Ronaldo keinen Lieblingssong hat, wohingegen Rodriguez dachte, der Lieblingssong ihres Partners würde jeden Sommer wechseln. In einem weiteren Clip bewertet sie frühere Outfits von Ronaldo, der über ihre kritischeren Ausführungen nur wenig lachen kann. Aber seine Freundin hat auch Sätze vorbereitet, die Ronaldo gefallen. „Ich denke, es ist ein vielversprechendes Projekt mit garantiertem Erfolg, wie alles, was du tust“, sagt sie auf seinem Youtube-Kanal über seinen Youtube-Kanal. „Mit deinem Engagement, deiner Anziehungskraft, dieser Neugier, die du bei Fans auf der ganzen Welt weckst, ist der Erfolg garantiert, daran habe ich keinen Zweifel.“
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Wer nun denkt, es geht auf dem Youtube-Kanal allein darum, wie großartig Cristiano Ronaldo ist, liegt falsch. Es geht auch darum, wie großartig Saudi-Arabien ist. Ein Video heißt: „This is how I felt when I discovered paradise“, So fühlte ich mich, als ich das Paradies entdeckte.
Man sieht Ronaldo und seine Freundin über einen weißen Sandstrand schlendern, das Wasser schimmert türkis. Es folgen Aufnahmen von Korallenriffen, Wüstenoasen, Luxusresorts. Ronaldo sagt, er bliebe an keinem Ort der Welt unerkannt, das sei unmöglich. Am Roten Meer in Saudi-Arabien aber habe er seine Ruhe. Dort könnten er und seine Familie für sich sein. Das genieße er. Und deswegen wolle er nun der ganzen Welt empfehlen, die Region zu besuchen. Ronaldo setzt ein schiefes Lächeln auf, als würde er selbst merken, dass das Gesagte keinen Sinn ergibt.
Ronaldo hat das Video nicht als Werbung gekennzeichnet. Es muss also, natürlich, was auch sonst, aus voller Überzeugung entstanden sein.
Die Nahbarkeit, die Ronaldo auf seinem Youtube-Kanal verspricht, bleibt in der ersten Woche bloß eine Behauptung. Da unterscheidet er sich nicht von den meisten anderen Influencern, die ja auch nur eine Illusion von Nähe verkaufen. Nur sind die oft noch besser darin, Authentizität vorzuspielen. Aber das kann ja noch werden. Ronaldo steht nun, da sich seine große Laufbahn als Spieler langsam dem Ende zuneigt, schließlich erst am Anfang seiner Zeit als Youtuber.