Hornist ohne Arme: Wie Sie herausfinden, wofür Sie wirklich brennen

Felix Klieser ist nicht mehr aus der Welt der Klassik wegzudenken, doch es hätte auch anders laufen können. Dem stern hat er erzählt, warum es erst vorbei ist, wenn man aufhört.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass zwei Zufälle ihr Leben geprägt haben. Einmal, ohne Arme geboren zu werden und der Wunsch, unbedingt Horn zu spielen. Das hört sich aber eher nach Schicksal an.
Irgendwie schon, ja. Allein die Geschichte mit dem Horn. Ich werde jedes Mal gefragt, warum ich ausgerechnet dieses ungewöhnliche Instrument spielen wollte. Und ich antworte immer dasselbe: Ich weiß es nicht. Niemand hat in meiner Familie etwas mit Musik zu tun oder ein Instrument gespielt. Es ist wirklich ein komplettes Rätsel, wie ich als Kind darauf gekommen bin. Und als ich zu meinen Eltern gegangen bin und gesagt habe, dass ich gerne Horn spielen möchte, wussten die ehrlich gesagt nicht so genau, was ich damit meine.

Apropos Ihre Eltern, wie haben sie denn auf den Wunsch des vierjährigen Felix reagiert, Profi-Hornist werden zu wollen?
Viele Kinder spielen Fußball, gehen zum Ballett oder machen Musik. Das ist ja einfach ein Hobby. Und so hat es bei mir auch angefangen. Und für meine Eltern war es gut, dass ich Spaß hatte, und wenn ich irgendwann aufgehört hätte, Horn zu spielen, wäre auch das okay gewesen.

Zur Person

Nun läuft es ja beim Musikunterricht normalerweise so ab, dass etwa der Gitarrenlehrer zeigt, wie ein Akkord gegriffen wird, und der Schüler ahmt es nach. Wie hat für Sie der Horn-Unterricht funktioniert? 
Für mich war es eben Realität und meine größte Herausforderung als Kind, dass ich alles sozusagen für mich adaptiere. Eben eine Lösung für Dinge finde, die andere Menschen mit ihren Armen bewerkstelligen. Das bedeutete, ich musste mir jedes Mal irgendwie Gedanken machen: Wie kann ich das für mich so umsetzen, dass es funktioniert? Für mich war das als Kind das Normalste der Welt, dass ich für alles, was ich machen wollte, gucken musste, wie ich das hinkriege. Das empfand ich auch nicht als schlimm oder unangenehm, das war halt meine eigene Realität. Ich habe als Kind dadurch auch die Erfahrung gemacht, dass ich, egal welche Schwierigkeit kommt, dafür eine Lösung finden kann, wenn ich mich mit dem Problem auseinandersetze und verschiedene Dinge ausprobiere. 

Sie haben also viel ausprobiert. Aber Sie sind schon auch ein Autodidakt. 
Ja, ich bin auf jeden Fall ein Autodidakt. Ich konnte mir eben zeigen lassen, wie es prinzipiell funktioniert, und musste es dann für mich umwandeln. Aber manchmal war es auch nicht so einfach: Wer professionell Horn spielen will, muss die Klangfarbe des Instruments anpassen können. Normalerweise übernimmt das die rechte Hand am Schalltrichter des Instruments. Und das konnte ich natürlich nicht. Es war der erste Moment in meinem Leben, wo ich auch nicht verstanden habe, wie es prinzipiell funktioniert. Ich musste wirklich bei null anfangen – überlegen, wie ich es vielleicht mit den Lippen und der Luftführung hinbekomme, diese Klangfarbe zu imitieren.

Sie haben es letztlich gelöst und sind heute Profimusiker. Woher kam der Berufswunsch?
Das ist immer schwer zu sagen. Als ich neun Jahre alt war, hat mir mein Hornlehrer eine CD geschenkt von einer Aufnahme eines Hornisten, der ein Solo in einem Orchester spielt. Da habe ich zum ersten Mal gehört, wie ein Horn klingen kann und wie es mit dem Orchester zusammenspielt. Und da war ich total beeindruckt. Einmal in meinem Leben als Solist mit einem Orchester zu spielen, war von diesem Moment an mein größter Traum. Also habe ich an dem Traum festgehalten und viel geübt, um ein sehr guter Hornist zu werden.

Metakognition: Das Denken über das Denken 13.30

Und was würden Sie sagen, wie die Musik Ihr Leben beeinflusst hat?
Mein Leben funktioniert eigentlich relativ simpel. Das bedeutet, ich habe immer für irgendwas eine Leidenschaft und renne dieser Leidenschaft hinterher. Und meistens habe ich keine Ahnung, was ich damit anfangen soll. Ich habe auch keine Ahnung, wohin das führt. Und die Musik ist immer schon meine Leidenschaft gewesen. Ich wollte in der Lage sein, die tollen Stücke zu spielen – eben als Hornist aufzutreten. Und dafür habe ich mich wirklich eingesetzt. Alles, was ich an Energie, Ressourcen und Zeit hatte, habe ich versucht, in dieses Instrument zu stecken. Heute empfinde ich es als großes Privileg, dass ich mich ausschließlich mit Dingen beschäftigen darf, die mir Freude bereiten und Musik mein Beruf ist.

Welche Hürden gab es auf dem Weg zum Profimusiker?
Es gab unendlich viele Punkte in meinem Leben, an denen ich gedacht habe: Ich glaube, hier ist jetzt wirklich ein Limit. Hier kommst du einfach nicht weiter. Egal, was du machst, du wirst diese Hürde nicht überwinden. Und das, was mich dann doch über diese Hürde gebracht hatte, war, dass ich nicht aufgehört habe. Also sobald man irgendwann sagt: Okay, jetzt ist eine Grenze erreicht und ich entscheide mich dafür, aufzuhören, ist es wirklich vorbei. Ich habe mich immer dafür entschieden, weiterzumachen. Und so hat sich immer eine Chance ergeben.

Dass Sie an Ihr heutiges Ziel kommen, war trotzdem nicht selbstverständlich. 
Nein, es hätte für mich auch anders ausgehen können. Wir sehen in Menschen gerne ihre vermeintlichen Schwächen. Manche Schwächen sind sofort offensichtlich, die sieht man einfach, und es wird diese Schwäche genommen und diese Schwäche wird dann generalisiert: Die Person hat keine Arme, also kann sie nicht intelligent sein. Sie ist also beispielsweise nicht in der Lage, dem Schulstoff zu folgen. Natürlich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun, und jeder, der sich mit dem menschlichen Körper auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Anzahl der Gliedmaßen nichts mit Intelligenz zu tun hat. Trotzdem sehen wir als Gesellschaft Menschen so und kategorisieren sie, und so landen sie auf dem Abstellgleis. Das hätte auch mir passieren können.

Ihr Weg war glücklicherweise ein anderer. Und Sie erzählen Ihre Geschichte, weil Sie anderen Menschen Mut machen wollen, an ihren Träumen festzuhalten. 
Ich habe mich lange und intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie stark wir unser Leben selbst beeinflussen können. Und meine Erfahrung ist es, dass wir einen sehr großen Einfluss auf unser Leben haben, auch wenn das viele selbst nicht so wahrnehmen. Wir schieben den Erfolg von vielen Menschen auf ihr Talent oder natürliche Fähigkeiten. Das ist aber Quatsch. Wir können sehr viele Dinge lernen, müssen uns dafür anstrengen, machen Fehler und erleben Rückschläge. Und lernen am Ende aus Fehlern. Ich finde Fehler immer positiv.

Felix Klieser: „Stell dir vor, es geht nicht, und einer tut es doch“, Econ Verlag, 256 Seiten, 23 Euro
© Econ

Diese Ansicht ist aber selten. 
Keine Fehler machen zu wollen, ist eine sehr verbreitete Denkweise. Schließlich bekommt man in der Schule oder auf der Arbeit Ärger, wenn man Fehler macht. Dabei können wir viel aus Fehlern lernen. 

Unser Denken blockiert uns also …
Ja. Auch andere Sichtweisen blockieren uns in der Gesellschaft. Zum Beispiel zu denken: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ Das ist völliger Unsinn. Es suggeriert, dass ich als erwachsene Person keine neuen Dinge lernen könnte. Vielleicht ist es als Kind einfacher, eine Sprache zu lernen. Aber es ist als Erwachsener trotzdem möglich. Meine Botschaft also: Wer etwa als Rentner noch Klavier lernen will, sollte sich diesen Traum erfüllen und keine Angst davor haben.

Psychohygiene 20.15

Nicht jeder hat so einen klaren Wunsch. Wie finde ich meine Leidenschaft?
Wer sich an die eigene Kindheit zurückerinnert, wird sich an das erinnern, was ihn damals fasziniert hat. Diese Leidenschaften werden dann oft im Alltag des Erwachsenenlebens begraben. Es lohnt sich aber, hier hinzuschauen und herauszufinden, wofür wir uns begeistern können.