Seit 1979 führt Hildegard Steiner-Schwarz (92) die „Büchertruhe“ in Keitum. Rudolf Augstein war Stammkunde. Die Neu-Inhaberin plant Neues – digitale Medien und Möbel spielen dabei eine große Rolle.
Vor einem Jahr wurde die „Büchertruhe“ auf Sylt gerettet. „Sie kam hier rein, es war ein wunderbarer Septembermorgen, die Sonne schien, es war eine unglaubliche Stimmung. Sie fragte: Brauchen Sie eventuell Unterstützung? Hier bin ich“, sagte Steiner-Schwarz, Inhaberin des legendären Buchladens in Keitum. Sie habe sofort zugestimmt. Seit 45 Jahren führt die 92-Jährige ihren Laden nahe am Watt auf der größten deutschen Nordseeinsel.
Rudolf Augstein, Axel Springer, Richard von Weizsäcker und Wolfgang Schäuble zählten zu ihren Stammkunden. Nach einer geeigneten Nachfolgerin hatte Steiner-Schwarz dennoch lange vergeblich gesucht und wollte ihren Laden beinahe aufgeben, denn sie sei „völlig fertig“ gewesen, sagte sie.
Nachfolger für Bücherläden fehlen
„Der häufigste Grund für Schließungen ist die Geschäftsaufgabe aus Altersgründen“, teilte Thomas Koch, Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der dpa mit. Zudem sei es für viele Buchhandlungen herausfordernd, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für ihr Geschäft zu finden. Hinzu kämen außerdem steigender Kostendruck und sinkende Konsumlaune: Weniger Menschen gehen in die Städte und Läden, entsprechend weniger werde vor Ort gekauft.
Die „Büchertruhe“ aber bleibt: Mit Caroline Ditting wird Ende 2024 eine Frau übernehmen, die genauso alt ist wie der Laden selbst. Seit einem Jahr arbeitet die 45 Jahre alte Journalistin und gebürtige Schleswig-Holsteinerin hier mit. Zuletzt hatte sie rund 20 Jahre in München gelebt und dort für verschiedene Medienhäuser und Verlage gearbeitet – und ihren eigenen, kleinen Verlag gegründet. Der ist nach ihrer neun Jahre alten Rauhaardackel-Hündin Elsa benannt. Der kleine Hund ist jetzt jeden Tag im Laden mit dabei.
Nach Sylt-Aufenthalt wollte sie bleiben
„Ich wusste, wenn ich auf Sylt bleiben wollte, müsste ich für mich etwas finden, was meine Rechnungen zahlt und mir eine Daseinsberechtigung gibt. Und das wäre eine besondere Buchhandlung – ich liebe Bücher, das ist in meiner Natur“, sagte Ditting.
Steiner-Schwarz kannte sie schon von Besuchen in deren Laden. Während eines Sylt-Aufenthalts habe sie vor rund einem Jahr der Abschiedsschmerz gepackt und sie wollte länger auf Sylt bleiben. Aus der spontanen Unterstützungs-Idee wurde eine Lebensentscheidung. Dass Steiner-Schwarz ihr das Geschäft anvertraut, sei ein großes Geschenk.
„Ich freue mich, dass Caroline Ditting den Laden als Chefin weiterführt, denn sie hat alles, was sie braucht dafür und kann Kunden fangen, fesseln und auch bewegen“, sagte die studierte Sprach- und Literaturwissenschaftlerin Steiner-Schwarz.
„Büchertruhe“ gilt als Institution – nicht nur auf Sylt
Ihr Laden ist für die 92-Jährige mit den wachen Augen mehr als nur ein Büchergeschäft. Als Tochter eines Journalisten ist sie im Ruhrgebiet mit Literatur groß geworden. Die Idee eines eigenen Geschäfts hatte sich in Dortmund zerschlagen – Hildegard Steiner-Schwarz zog mit ihrem Mann nach Sylt, der Verwandtschaft auf der Insel hatte. 1979 eröffnete sie hier ihre „Büchertruhe“ in Keitum. Inzwischen lebt sie nahe der dänischen Grenze auf dem Festland und pendelt zu ihrem Laden auf die Insel.
In den 45 Jahren auf Sylt hat sie sich und ihr Buchgeschäft zu einer Größe auf der Insel gemacht. Bekannt ist Steiner-Schwarz aber nicht nur durch ihr Bücher-Fachwissen, sondern auch für ihren extravaganten und häufig farbstarken Kleidungsstil.
Erfolgsgründe des Ladens auf Sylt
„Frau Steiner-Schwarz ist eine Institution und hat allen Stürmen getrotzt. Sie hat einen solch besonderen Buchladen geschaffen“, sagte Ditting. Das sei ein Grund, warum die „Büchertruhe“ heute noch da ist. Kunden aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz rufen an und lassen sich von der Expertin beraten.
Bücher, die bis 17 Uhr bestellt werden, sind demnach am nächsten Morgen im Laden auf der Insel. In den Regalen stehen Bücher, die man andernorts oft nicht findet. Der Fokus liegt dabei auf „hochwertiger“ Literatur und Sachthemen wie Geschichte, Philosophie und Politik.
Die zahlreichen Stammkunden – darunter viele Wissenschaftler – sind ein weiterer Grund, aus dem der Laden bis heute überlebt hat, sagte die 45-Jährige. „Buchhandlungen sterben leider, weil großer Druck auf dem Markt herrscht. Auch wir haben großen Druck, aber schauen, dass wir die Kunden, die etwas Besonderes suchen, glücklich machen und zufriedenstellen.“
Zahl der Buchläden in Deutschland sinkt
In Deutschland gibt es laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels aktuell rund 4.500 Buchhandlungen – inklusive Filialen sowie Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel. 2015 waren es noch rund 5.300 Buchhandlungen. Der größte Teil des Umsatzes in der Buchbranche werde im Buchhandel vor Ort gemacht, teilte der Sprecher mit.
Besonders erfolgreich sind laut Börsenverein diejenigen Buchhandlungen, die sich als „kultureller und gesellschaftlicher Treffpunkt“ positionieren. Aber auch Buchläden, die die Vorteile des Online-Services – also Online-Shop, Rund-um-die Uhr-Beratung und -bestellung, E-Books, Social Media – mit denen des stationären Einkaufs, also Beratungskompetenz und persönlicher Kontakt, verbinden, bieten etwas, das der Online-Markt nicht leisten kann, teilte Koch mit.
Gerüchte über Schließung auf Sylt
Caroline Ditting bringe als junge Frau neuen Wind ins Haus – zum Beispiel auch durch digitale Medien, Online-Buchbestellungen und Instagram, sagte Steiner-Schwarz. „Die Neuzeit ist durch Caroline in diese gestandene Büchertruhe eingezogen.“
Rund um die Büchertruhe hatte es zuletzt immer wieder Gerüchte über eine mögliche Schließung gegeben. Um diesen Stimmen entgegenzuwirken, sind die beiden Frauen seit einem halben Jahr auf Instagram aktiv: „Wir wollten zeigen, dass wir noch da sind“, sagt Ditting. Auf ihrem Account geben sie Buchtipps und posten witzige Fotos – zum Beispiel aus dem Zug auf dem Weg über den Hindenburgdamm und Alltags-Szenen aus dem Laden. Fast 1.000 Follower haben sie damit inzwischen erreicht.
Übergabe mit Ehekrach?
Die 92-Jährige möchte nach der Übergabe weiter im Laden mitarbeiten. Zu 98 Prozent haben sie nach eigenen Angaben zum Glück den gleichen Büchergeschmack. Und beide verkaufen nur das, was ihnen wirklich gut gefällt. Das Bücher-Sortiment soll gleich bleiben.
Aber das Setting will die neue Inhaberin verändern: Die Wände sollen neu gestrichen werden und es wird renoviert. Der Laden bleibt dann zum Jahresbeginn für mehrere Wochen dicht. „Als Erstes werde ich diesen Hocker rausschmeißen“, sagte Ditting und lacht – dabei dreht sie sich auf dem hölzernen Klavierhocker hinter einem modernen Computer-Monitor.
Aus der Geschäftsbeziehung ist innerhalb eines Jahres Freundschaft geworden: „Bekannte von mir haben neulich bei einem Sylt-Besuch gesagt, dass es ein Schauspiel sei, bei uns in den Laden zu kommen, wir wären wie ein altes Sitcom-Ehepaar“, sagte Ditting.