Cordula Stratmann ist nicht nur Komikerin, sondern auch Therapeutin. Das ist einer der Gründe, warum wichtige Männer der Fernsehwelt bei ihr nie Eindruck schinden konnten.
Eine helle Praxis im Süden von Köln. Drei dunkelblaue Sessel stehen sich gegenüber, dazwischen ein kleiner Tisch mit Gebäck und Keksen. Hier begrüßt Cordula Stratmann, 60, regelmäßig vor allem Mütter, Väter oder Paare, die ihr von familiären Problemen berichten. Seit 2019 arbeitet die in Düsseldorf geborene Komikerin und Autorin parallel zu TV-Auftritten und Shows auch wieder in ihrem gelernten Beruf als systemische Familientherapeutin.
Bekannt geworden ist Stratmann als eine der wenigen weiblichen Komikerinnen, die es früh im Fernsehen geschafft haben, auch dank ihrer Improvisationskunst in der Serie „Schillerstraße“ und der Rolle als Annemie Hülchrath in „Zimmer frei!“. 2023 war Stratmann in der Erfolgsserie „LOL“ zu sehen, jetzt hat sie das Buch „Wo war ich stehen geblieben?“ geschrieben. Darin sind humorvolle Alltagsbeobachtungen versammelt – und überraschende Erkenntnisse.
Frau Stratmann, Sie sind Komikerin und Familientherapeutin. Wie vielen Menschen aus der Fernsehbranche haben Sie schon geraten, zur Therapie zu gehen?
Ich sehe des Öfteren Leute, bei denen ich mir denke, es wäre gut, wenn sie sich Hilfe suchten. Ein Problem ist: Viele Menschen sind gestört, haben aber keine Fragen.
Wie meinen Sie das?
Viele denken nur in Aussagen. So knattern wir mit unseren Birnen aneinander. Es wäre gut, wenn wir alle mehr fragen würden, statt zu meinen. Deshalb versuche ich mir auch in meinem neuen Buch „Wo war ich stehen geblieben?“ immer wieder Fragen zu stellen – über den Alltag, Angewohnheiten und die Menschen um mich herum.
Schon bevor Sie fürs Fernsehen entdeckt wurden, hatten Sie in der Familienberatungsstelle des Jugendamts Pulheim gearbeitet. Was hat der Beruf der Therapeutin mit dem der Komikerin gemeinsam?
Für mich ist das eins. Beides gehört zu mir. Ohne Humor ist für mich kein gesundes Leben möglich. Auch während ich ausschließlich als Komikerin arbeitete, hielt ich den Kontakt zu meinen Therapeuten-Kolleginnen und -Kollegen und begleitete einzelne Prozesse, wenn sie mich darum baten. Eigentlich war ich schon als Kind Therapeutin und Komikerin.
Wie das?
Ich verstand früh die Beziehungsdynamik meiner Eltern und wusste immer, wie es jedem in meiner Familie geht, weil ich sie beobachtete. Dabei hat mich der Humor oft gerettet. STERN PAID 42_23 Hape Kerkeling IV 13.04
Wovor mussten Sie sich retten?
Man muss sich nicht wundern, was in Familien los ist, wenn wir die Biografien in unserem Land zurückverfolgen. Meine Eltern waren zwei Kriegsteilnehmende und trugen viel Grauen in sich, womit sie nichts anstellten – außer zu versuchen, ihr Leben zu bewerkstelligen. Daraus erfolgt zwangsläufig mancher Mangel. Ich begann früh, unterhaltsame Beobachtungen zu sammeln, kleine Dinge oder Angewohnheiten von Menschen, die mich amüsierten. Dadurch fühlte ich mich weniger verloren und stattdessen verbunden mit der Welt. So beschreibe ich es heute, als Kind war mir noch nicht so bewusst, warum ich das tat. Damals merkte ich nur, dass mich andere Familien interessierten. Ich fragte mich: Sind die alle glücklich? Oder sind die auch so komisch wie wir?
Warum komisch?
Das Komische ist das Normale. Es ist normal, dass ich mich in einer Familie auch mal einsam, missverstanden und unzufrieden fühle. Wir versuchen ständig, einen Glückszustand herzustellen, das halte ich für falsch. Manches Unglückliche muss man selbst verändern, häufig muss man aber Unglück ins Leben integrieren. Unter dem Titel „Selfcare“ ist eine große, irreführende Glücksindustrie entstanden.
Macht es zufriedener, sich mit dem Unglück anderer als mit dem eigenen Glück zu befassen?
Bitte was? Das hoffe ich nicht, das wäre ja furchtbar!
Nicht im Sinne von Schadenfreude. Aber indem man jemand anderem hilft.
Natürlich befriedigt es uns selbst, wenn wir uns um jemand anderen kümmern und andersherum zulassen, dass jemand für uns sorgt. Vermutlich macht das sogar glücklicher als Selfcare. Es liegt in unserer Eigenverantwortung, dafür zu sorgen, dass es uns gut geht. Als reines Ego-Projekt geht das mit dem Wohlfühlen aber in die Hose.
Was machen Sie, wenn Sie sich Zeit für sich nehmen?
Ich tue mir etwas Gutes, indem ich mich nicht so ernst nehme oder mal etwas anderes ins Auge fasse als mich. Es gibt so viele Alternativen: jemanden anrufen, etwas schreiben, etwas kochen.
Sie lenken sich also ab.
Nein, es geht nicht um Ablenkung. Es geht darum, nicht immer Ich-fixierter zu werden. Ohne den anderen, ohne ein Gefühl für das Wir kommen wir weder mit uns selbst noch in einer Gesellschaft ans Ziel.
„Sie führen öfter Selbstgespräche“ – „Sie etwa nicht?“
Sie haben mal gesagt, Sie seien froh, mit 42 noch einen Sohn bekommen zu haben, sonst wären Sie „ein um sich selbst kreisendes Arschloch“ geworden. Waren Sie so schlimm?
Nein, ich war ein normaler Mensch. Wären die Leute ehrlich, würden sich sehr, sehr viele als um sich selbst kreisende Arschlöcher bezeichnen müssen. Wir sind alle fehlerhaft, das ist einfach Teil unseres Daseins. Es geht darum, mit den Fehlern, die wir haben, bewusst umzugehen und dafür Verantwortung zu übernehmen.
Mit welchen Ihrer Fehler wollen Sie bewusst umgehen?
Mein Temperament schießt manchmal über. Ich bin sehr meinungsstark. Das ist im Moment zwar sehr angesagt, wir sind eine Gesellschaft von Meinungsstarken geworden, die zu allem ihr Statement abgeben. Aber ich bin darauf nicht stolz. Herummeinen ist in meinen Augen eher ein reflexhafter Ordnungsversuch. Stattdessen sollte man lieber versuchen, in den Dialog zu treten.
Sie führen auch öfter Selbstgespräche, haben Sie gesagt.
Sie etwa nicht?
Doch. Muss ich mir Sorgen machen?
Nein, bleiben Sie ruhig. Wir sind alle komisch.
stern-Redakteurin Amelie Graen (l.) und Cordula Stratmann beim Interview in deren Kölner Praxis
© Jann Höfer für STERN
Welche Erkenntnis, die Sie in all den Jahren als Familientherapeutin gewonnen haben, war die wichtigste?
Die Menschen unterschätzen das Glück von Verantwortung. Viele denken dabei sofort an eine Belastung, an Zumutung. Dabei ist Verantwortung eine Lösung, sie führt in die Freiheit.
Inwiefern?
Wer für sein eigenes Handeln und sein Leben die Verantwortung übernimmt, befreit sich aus der Opferhaltung und hört auf, die anderen zu Tätern zu machen. Das musste auch ich erst lernen. Es gab eine Zeit, in der ich das Leben als zu anstrengend empfand. Zu viele Gegner. Bis ich mir von klugen Menschen helfen ließ und verstand: Ich bin selbst verantwortlich für mein Leben, und Verantwortung ist etwas Gutes. Es bedeutet, dass wir nicht Opfer sind, sondern unser Sein gestalten, jeder an seinem Platz. Wir alle haben im Alltag die ganze Zeit über Verantwortung.
Wo denn, fernab von Familie und Beruf?
Überall! Für meine Freunde, für die Menschen um mich herum. Ich habe auch Verantwortung dafür, dass sich die Bäckereifachverkäuferin nach meinem Brötchenkauf nicht schlechter fühlt als vorher.
Und was ist die wichtigste Erkenntnis, die Sie als in der Öffentlichkeit stehende Komikerin gelernt haben?
Ich bin nach der Preisverleihung dieselbe wie vorher, kein bisschen anders. Einen Preis zu bekommen macht mich nicht richtiger, und ihn nicht zu bekommen macht mich nicht falscher auf diesem Planeten.
Sie seien froh, haben Sie mal gesagt, erst mit 30 Jahren in der Fernsehbranche mit den vermeintlich „wichtigen Personen“ gelandet zu sein.
Oh ja. Mich hat Gott sei Dank keiner der Entscheider in dieser Branche beeindruckt. Hier muss ich gar nicht erst gendern, denn es waren überwiegend Männer, die alle sehr wichtig waren.
Warum konnten diese Männer keinen Eindruck bei Ihnen schinden?
Weil ich in meiner Arbeit als Familientherapeutin natürlich auch solche Menschen in einer Krise vor mir hatte. Ich saß also vor entsprechenden wichtigen Männerfiguren und dachte: Du sitzt da hinter einem wirklich beeindruckenden Schreibtisch – aber ich weiß, wie du aussiehst, wenn du heulst.
Den Männern dürfte Ihre Einstellung aufgefallen sein.
Sagen wir es mal so: Ich habe mir vermutlich den einen oder anderen Job selbst wegorganisiert, weil ich mit einem wichtigen Mann gesprochen habe wie mit einem normalen Menschen.
„Wo war ich stehen geblieben?“ von Cordula Stratmann erscheint am 5. September. dtv, 240 Seiten, 22 Euro.
© dtv
Comedians und Comedy-Autoren sind immer noch hauptsächlich männlich.
Ich habe auch den Eindruck, dass die männlichen Kollegen immer noch sehr schnell zufrieden sind mit sich und dem, was sie da auf die Bühne bringen. Währenddessen sieht man eine Frau nicht, weil die noch zu Hause sitzt und denkt: Ach, die Idee ist es noch nicht. Das Problem scheinen Männer nicht zu haben. Manche finden es schon ausreichend, wenn sie zu sehen sind.
Wie gehen Sie als Fernsehgesicht mit dem Altwerden um?
Erstens finde ich das eine unverschämte Frage! Eine 20-Jährige altert in einer Stunde genauso viel wie ich. Es ist kein Verdienst, jung zu sein. Zweitens finde ich das eine super Frage, weil es ein wichtiges Thema ist, das die Alten mit den Jungen, das wir alle gemeinsam haben. Es wäre schön, wenn sich die Jungen dafür interessierten, was die Alten in ihrem Fundus haben, und die Alten zugeben könnten, dass sie häufig an Ignoranz leiden und manchmal neidisch sind, weil jemand noch richtig durchstarten kann. Was könnte Tolles entstehen, wenn wir gemeinsam nachdenken und die neue Welt gestalten würden.
Und was würden Sie Ihrem 30-jährigen Ich raten?
Gute Idee, Cordula! Kannste so machen.