Nachhaltigkeitswoche: Eingeschleppte Arten gefährden die Vielfalt: Schiffs-Experte entwickelt Lösungen

Zebramuscheln, Rippenquallen, Wollhandkrabben: Invasive Arten können ganze Ökosysteme umkrempeln. Oft reisen sie per Schiff. Der Biologe Stephan Gollasch berät Unternehmen, die die Seefahrt umweltfreundlicher machen wollen.

Herr Gollasch, laut Bericht des Internationalen Biodiversitätsrates spielen eingeschleppte invasive Tiere und Pflanzen eine viel größere Rolle als gedacht beim Niedergang der Artenvielfalt. Welchen Anteil haben Schiffe daran?

Schiffe transportieren unbeabsichtigt jede Menge Organismen von Küsten zu Küste: Muscheln und andere festsitzende Tiere reisen als Aufwuchs an der Schiffswand, andere Lebewesen schwimmen in den großen Ballastwassertanks.

Wo nehmen Schiffe dieses Wasser auf oder lassen es ab?
Im Hafen, beim Be- oder Entladen. Sie können ein Schiff nicht einfach beladen, sonst bekommt es Schlagseite. Also pumpt man zum Ausbalancieren Wasser in große Tanks im Rumpf und beim Beladen pumpt man es wieder ab – und alles, was darin lebt gleich mit.

PAID Invasive Arten Bericht16.30

Warum sind verschleppte Arten im Ballastwasser so ein großes Problem?

Weil sie im Einzelfall ganze Ökosysteme umkrempeln können oder große wirtschaftliche Schäden verursachen. Das krasseste Beispiel ist die Zebramuschel, eine gestreifte Süßwassermuschel, die mit dem Ballastwasser von Schiffen in die Great Lakes zwischen den USA und Kanada kam. Die setzte sich überall drauf, überwucherte heimische Muscheln und vermehrte sich so stark, dass sogar Wasserleitungen von Kraftwerken verstopften. Zum Teil mussten sogar Kraftwerke heruntergefahren und von Tauchern gereinigt werden. Die Schäden durch diese Muschel kamen auf mehrere Billionen Dollar.Nachhaltigkeitswoche 2024 Kasten

Und der ökologische Schaden?

Die Muscheln haben so effektiv Plankton aus den Seen filtriert, dass das Wasser immer klarer wurde. Das war leider nicht so positiv, wie es klingt, weil dadurch mehr Algen wuchsen, die nun mehr Licht bekamen, aber dafür planktonfressenden Arten die Nahrung fehlte.

Dass Fischpopulationen um bis zu 90 Prozent eingebrochen sind, kam durchaus vor.

Sind dadurch Arten ausgestorben?

Anders als an Land ist meines Wissens weltweit noch keine einheimische Art in Küstengewässern oder Seen durch eingeschleppte Arten komplett ausgestorben. Aber dass Fischpopulationen um bis zu 90 Prozent eingebrochen sind, kam durchaus vor, etwa nachdem Rippenquallen das Schwarze Meer erobert hatten. Und wenn man Pech hat, haben neue Arten auch noch Parasiten im Gepäck, die dann heimische Arten oder Zuchttiere befallen. Davor fürchten sich Norwegens Lachszüchter mit ihren riesigen Aquakulturen im Meer schon lange.

Dagegen klingt das Auftauchen der Chinesischen Wollhandkrabbe an unseren Küsten fast harmlos…

Ja, die ist eher optisch spektakulär, weil sie in Gruppen auftritt, sehr wanderfreudig ist und zum Beispiel auch Deiche überwindet oder die Flüsse hinaufzieht. Dabei macht sie sich manchmal unbeliebt, wenn sie Reusen zerstört oder in Fischteiche einwandert. In Hamburg wurden sogar mal welche in Niendorf in der Fußgängerzone gesichtet. Aber mit dem Schaden durch die Zebramuschel ist das nicht zu vergleichen.

Wie oft kommen neue Arten durch Schiffe an unsere Küsten?

Wir entdecken im Schnitt pro Jahr ein oder zwei neue eingeschleppte Arten, seltener sind es fünf oder zehn. Etwa die Hälfte kommt mit Ballastwasser, die andere mit dem Aufwuchs an Schiffen. 2022 wurde auf Helgoland eine neue Meerassel gefunden, Ianiropsis serricaudis, die wohl mit dem Ballastwasser aus Asien kam.

Wie kann man Ballastwasser so behandeln, dass es sicher ist?

Es gibt diverse Technologien, die meist hinten am Heck im Maschinenraum eingebaut werden, wo das Schiff sein Ballastwasser einsaugt und abgibt: Die am meisten eingesetzte Methode ist Filtration mit sehr feinen Filtern, um erst mal größere Lebewesen herauszufiltern. Nachgeschaltet wird dann eine Bestrahlung mit UV-Licht, um Kleinstorganismen abzutöten. Eine weitere Methode ist Filtration plus Elektrolyse des Meerwassers im Tank. Dabei wird Strom angelegt, um Meersalz in giftige Chemikalien aufzuspalten, etwa Chlor, das Organismen abtötet. Dann müssen Sie das Wasser aber noch neutralisieren, bevor sie es im Hafen ablassen.

Stephan Gollasch (hier mit Wollhandkrabbe) ist Meeresbiologe und gilt als Pionier der Ballastwasser-Forschung: 1992 schrieb er für das Umweltbundesamt die erste deutsche Doktorarbeit zur Einschleppung fremder Arten über die Wassertanks und Außenwände von Schiffen. Heute berät er mit seiner Hamburger Firma GoConsult Unternehmen, die Ballastwasser-Reinigungsanlagen in Schiffe einbauen. Er arbeitet in EU-Forschungsprojekten zu eingeschleppten Arten in Küstengewässern und vertritt Deutschland zu solchen Themen auch im Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) und in der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) der Vereinten Nationen.
© Stephan Gollasch

Wie sicher wirken diese Methoden?

Wie gut das global wirkt, wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Im Moment sind solche Anlagen noch nicht auf allen Schiffen installiert. Nur schätzungsweise ein Viertel ist damit ausgerüstet.

So wenig? Es gibt doch seit 2004 ein Internationales Ballastwasser-Übereinkommen der Weltschifffahrtsorganisation.

Ja, aber bindend für alle wird es erst im September 2024. Dann muss das gesamte Ballastwasser der Frachtschifffahrt behandelt sein.

Gilt das dann für alle Schiffe?

Es gilt für die Schiffe aller Länder, die das Übereinkommen unterzeichnet haben – das sind zurzeit 95.

Im Hamburger Hafen geht auch mal die Wasserschutzpolizei zur Inspektion an Bord

Die anderen dürfen ihr Wasser weiter unbehandelt im Hafen ablassen?

Nein. Wenn sie Deutschland oder ein anderes Unterzeichnerland anlaufen, müssen sie die Standards erfüllen, die dort gelten. Im Hamburger Hafen geht auch mal die Wasserschutzpolizei zur Inspektion an Bord, guckt sich die Pumpenräume und das Ballastwasser-Logbuch an oder nimmt im Zweifel Wasserproben aus den Tanks.

Hat sich durch die Ballastwasserbehandlung schon irgendetwas verbessert?

Für die Großen Seen in Nordamerika zeigen Studien, dass dort seit kurzem nicht mehr so viele Arten neu auftreten. Vorletztes Jahr haben sie mal wieder eine gefunden, aber davor viele Jahre nicht. Das können erste Erfolge der Ballastwasser-Behandlung sein.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst im September 2023. Im Rahmen der Nachhaltigkeitswoche von RTL Deutschland „Für mehr Leben“ bieten wir ihn erneut an.