Nach dem Angriff auf Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey beginnt der Prozess. Die Politikerin wird als erste Zeugin gehört. Und der Beschuldigte nennt seine Motive für die Tat.
Berlins Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey ist in einer Bibliothek ins Gespräch vertieft, als sie der Schlag von hinten im Nacken trifft. Rund vier Monate später sitzt die SPD-Politikerin dem Mann im Gerichtssaal gegenüber, der ihr damals nach eigenen Worten einen „Denkzettel“ verpassen wollte. „Ich dachte zunächst, dass etwas von oben gefallen ist“, sagt Giffey im Saal 500 des Berliner Kriminalgerichts. Genau eine Stunde ist die 46-Jährige im Zeugenstand. Eine Premiere, wie Giffey hinterher berichtet.
Vor dem Berliner Landgericht wird einem 74-Jährigen der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm gefährliche Körperverletzung vor. Der Mann soll Giffey am 7. Mai in der Gertrud-Haß-Bibliothek in Berlin-Rudow zielgerichtet gegen den Kopf- und Nackenbereich geschlagen haben. Auch eine andere Frau sei am Arm getroffen worden.
74-Jähriger gesteht den Angriff
Die Staatsanwaltschaft strebt in einem sogenannten Sicherungsverfahren eine dauerhafte Unterbringung des Mannes in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Er leide unter einer wahnhaften Störung, so Staatsanwalt Tobias Dettmer. Es bestehe die Gefahr, dass der Beschuldigte weitere erhebliche Straftaten begehe. Das Gericht hat bislang vier Verhandlungstage bis zum 15. Oktober geplant.
Der 74-Jähriger hat die Tat gestanden. Er habe der SPD-Politikerin einen „Denkzettel“ verpassen wollen, sagte er zu Prozessbeginn. Giffey habe 20 Jahre lang nicht auf Schreiben von ihm reagiert. Als die Senatorin die Bibliothek besucht habe, sei er auf sie zugegangen und habe ihr in seinem Frust seinen Einkaufsbeutel, in dem Zeitungen waren, „um die Ohren“ gehauen.
Beschuldigter bereits vorläufig untergebracht
Der Berliner verlas ein mehrseitiges Pamphlet mit 28 Punkten, in dem er immer wieder Behörden, Politikern und der Justiz Versagen vorwarf und mehrfach von „Nazi-Knast“ oder „Verbrecher-Justiz“ sprach. Sich selbst bezeichnete der deutsche Mann vor Gericht als „Widerständler“ ohne Staatsangehörigkeit.
Der 74-Jährige wurde kurze Zeit nach dem Angriff auf Giffey gefasst und ist seitdem vorläufig in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. Er ist den Ermittlungsbehörden durch zahlreiche Strafverfahren unter anderem wegen Beleidigung bekannt, die wegen Schuldunfähigkeit eingestellt wurden.
Gericht hört Giffey als erste Zeugin an
Als erste Zeugin im Prozess beschrieb Giffey die Atmosphäre in der Einrichtung als zunächst völlig normal. Sie sei zu dem Informationstermin ohne Personenschutz gegangen. „Ich habe die Situation mit Null Auffälligkeiten erlebt“, sagte die Senatorin. Dann habe sie ein harter Schlag von hinten im Nacken getroffen. „Für einen Moment habe ich die Wahrnehmung verloren“, so Giffey.
Die Bibliotheksleiterin habe den Angreifer, der wegrannte, gekannt. Als die Frau den Namen des Mannes genannt habe, sei ihr dieser aufgrund einer Masse von Mails bekannt gewesen. Von dem Beschuldigten seien regelmäßig „Hass-, Droh- und Beleidigungsmails“ bei ihr eingegangen. Teils habe ihr Büro deswegen Anzeige erstattet. Giffey ging davon aus, dass es sich um eine spontane Tat handelte, als der 74-Jährige ihre Anwesenheit bemerkt habe. „Eigentlich konnte er nicht wissen, dass ich da bin“, so die Senatorin.
Nach ihrer Schilderung hat sie wenige Tage unter Schmerzen gelitten. Eigentlich habe sie kein großes Aufsehen um die Tat machen wollen, so Giffey. Doch Polizei und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) rieten ihr unter anderem wegen der Beweissicherung dazu, ein Krankenhaus aufzusuchen.
Giffey über „zunehmende Freiwildkultur“ besorgt
„Ich hatte keine schwerwiegenden Verletzungen“, sagte Giffey. „Es hätte viel Schlimmeres passieren können.“ Was ihr Sorgen bereite, sei eine „zunehmende Freiwildkultur“ gegenüber Politikerinnen und Politikern. Die Attacken auf ihren Kabinettskollegen, Kultursenator Joe Chialo seien jüngste Beispiele dafür. „Das ist etwas, was mich belastet“, so die Senatorin.
Auf das Wohnhaus des CDU-Politikers haben Unbekannte einen Farbangriff verübt. Vor knapp zwei Wochen war Chialo in Berlin bei einer Veranstaltung von propalästinensische Aktivisten in Berlin bedrängt und beleidigt worden.