ZDF-Serie: „Der Schwarm“-Showrunner Frank Doelger: „In Wahrheit sind die Menschen die Monster“

Er war das Gehirn hinter „Game of Thrones“, 2023 hat Frank Doelger den Bestseller „Der Schwarm“ verfilmt. Ein Gespräch über das Drehen auf dem Wasser, rasende Krabben und darüber, was eigentlich genau seine Aufgabe ist. 

Dieses Interview erschien erstmals im Februar 2023 zur Premiere von „Der Schwarm“. Anlässlich der Fernseh-Wiederholung veröffentlichen wir den Text erneut.

Frank Doelger, Sie sind ein mehrfach ausgezeichneter Fernsehproduzent, Sie waren der Macher von „Game of Thrones“, und spricht man über die Serie „Der Schwarm“, die jetzt im Fernsehen zu sehen ist, werden Sie als Showrunner bezeichnet, ein Wort, das in Deutschland nicht so bekannt ist. Was macht eigentlich ein Showrunner?
Bei den großen Serien, die heute produziert und gedreht werden, ist es wichtig, dass jemand von der ersten Idee bis zur fertigen Serie dabei ist. Wir arbeiten bei solchen Projekten, wie auch bei „Game of Thrones“, über viele Folgen und Staffeln mit verschiedenen Regisseuren und an sehr vielen verschiedenen Drehorten. Da ist es der Showrunner, der den Überblick hat, der die Rollen besetzt, die Entwicklung der Figuren der ganzen Serie und die Drehorte genau kennt. Das kann man bei solch großen Projekten nicht allein den Regisseuren überlassen.

Wenn man sich ein bisschen mit Film- und Fernsehdreharbeiten auskennt, weiß man, dass auf, im und unter Wasser zu drehen zu den schwierigsten Angelegenheiten gehört. Sie haben keine Fixpunkte, Wasser macht nie das, was es soll, alles schaukelt und schwankt.
Ja, richtig, es ist anspruchsvoll. Allein schon wegen der Sicherheit für Crew und Darsteller. Wir haben ja sehr viele Szenen in großen Wassertanks in Belgien gedreht, aber jede Szene kostet dennoch dreimal soviel Zeit und dreimal soviel Geld als Szenen auf festem Boden. Hinzu kommt das Licht, das sich im Wasser völlig anders verhält. Es ist ein logistischer Albtraum.STERN PAID 8_23 Der Schwarm TV Meeraufwand, 18.00

Als Frank Schätzings Roman „Der Schwarm“ 2004 erschien und ein Bestseller wurde, galt das Buch bei vielen als unverfilmbar oder war höchstens als Untergangsspektakel von beispielsweise Roland Emmerich denkbar. Warum traut sich ein TV-Konsortium heute daran?
Als Film, von wem auch immer, wäre „Der Schwarm“ ein 90-Minuten Katastrophen-Movie für das Kino geworden, die Katastrophen wären sozusagen die Helden des Films gewesen. Aber das ist ja nicht das Buch, das ist ganz anders. Es lebt von den Charakteren, die mit langen wissenschaftlichen Recherchen diesem „Schwarm“, der die Menschheit bedroht, auf die Schliche kommen. Das ist wichtig, weil Serien im Fernsehen immer figuren- und schauspielergetrieben sind und sein müssen, weil der Zuschauer durch die Figuren die Welt entdeckt und genauso lernt wie sie. Sehen Sie, es ist schon eine Art Monster-Geschichte, die sich dort auftut, aber je näher die Figuren diesem Monster kommen, umso mehr merken sie, dass in Wahrheit wir, die Menschen, die Monster sind.

Also vernichten die Menschen sich selbst?
Nein, so einfach ist das nicht. Für mich gibt schon ziemlich früh eine ganz wichtige Szene, das ist der Moment, als die Wale das Boot mit den Touristen angreifen. Kurz vorher kommt ein Wal an die Wasseroberfläche und schaut den Walforscher Anawak an, der von seinem Boot die Wale beobachtet. Es ist ein Blick wie eine Warnung, aber auch die Botschaft, dass der Wal und die Natur das eigentlich gar nicht wollen, aber nicht anders können, weil sie sich verteidigen müssen. Ich wurde oft gefragt, wie man denn Verständnis oder Sympathie gegenüber einer Macht haben kann, die die Menschheit vernichtet, aber es ist dasselbe Verständnis gegenüber jedem, der sich oder seine Familie vor dem Untergang verteidigen will.

Nun ist das Buch „Der Schwarm“ eine sehr gut recherchierte wissenschaftliche Herleitung zu einer Geschichte, in der sich die Natur und eine geheimnisvolle Kraft zur Verteidigung verabreden, was ja eher Science-Fiction ist.
Bei „Game of Thrones“ war es so, dass wir ganze Teile in einer „realen“ Welt hatten und Teile in einer Fantasy-Welt, was in der Serie auch sichtbar war. Im „Schwarm“ haben wir darauf geachtet, alles in einem realen Setting zu lassen…

Es gibt eine Szene, in der todbringende Krabben zu tausenden über Strände ins Land stürmen, eine Szene, die täuschend ähnlich den Bildern gleicht, auf denen Krabben zum Eierlegen in Massen an die Küste strömen.
Ja, sehen Sie, vieles, was Schätzing im Buch geschrieben hat und was wir auch zeigen, gibt es bereits, wenn auch nicht so unheilbringend. Wir hatten sehr gute Berater, die uns immer wieder erklärten, was schon realistisch ist und was nicht, oder noch nicht. Natürlich kann in einer solchen Serie nicht die ganze wissenschaftliche Komplexität, wie sie im Buch aufgeschrieben ist, wiedergegeben werden. Wir mussten einiges ändern und sehr verkürzen, haben dabei aber sehr darauf geachtet, dass die Vereinfachung nicht ins Lächerliche abrutscht. Das gilt auch für die Figuren, die in der Serie jünger und anders sind als im Buch. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Figuren in einer Serie zu Helden werden und es nicht schon sind. Sie stellen sich dieselben Fragen, die sich auch der Zuschauer stellt, und der Zuschauer forscht sozusagen mit ihnen. Als das Buch 2004 erschien, waren, zumindest in den USA, Lehrstühle und wissenschaftliche Gremien noch fast ausschließlich von weißen Männern besetzt. Das ist heute, fast 20 Jahre später, völlig anders. Da finden Sie Forscher, Männer wie Frauen, aus vielen Ländern und Ethnien, die viel mehr international vernetzt sind als damals. Und das wollten wir abbilden.Korallenriff vergängliche Schönheit 16.20

Wer das Buch von Frank Schätzing kennt, wird sich in der Serie über das Ende wundern, das deutlich anders und deutlich weniger kriegerisch ist.
Ja, wir haben kein US-Kriegsschiff mit 2000 Mann Besatzung mehr, sondern ein Forschungsschiff mit einer Mission und nicht mit einem Kriegseinsatz. Es sollte, wie die ganze Serie, von den Figuren und deren Neugier und deren Wissen über „yrr“, dieser geheimnisvollen Kraft, getrieben sein.

„Yrr“, die geheimnisvolle Intelligenz, die unter Wasser die Zerstörung der Menschheit steuert. Das ist dann doch richtige Science-fiction, oder?
Kommt darauf an, was Sie glauben. Wohnt Gott in jedem von uns? Oder kommt, wie die Wissenschaft sagt, alles Leben ursprünglich aus dem Meer? Gibt es irgendwo eine helle Kraft, die uns alle betreibt und sich auch gegen uns wenden könnte? Man braucht doch nur die Nachrichten der vergangenen Monate, um zu sehen, dass die Natur uns Menschen zerstören kann, das erleben wir doch zur Zeit dauernd.

In „Der Schwarm“ wird diese unterseeische Macht als Bedrohung geschildert. Vor 34 Jahren drehte James Cameron „Abyss“, einen Science-Fiction-Film, in dem eine unterseeische Kraft wie eine geheimnisvolle Mutter Menschen das Leben rettet. So rum geht es auch.
Ich will hier nicht das Ende von „Der Schwarm“ verraten, aber wir spielen da auch ein bisschen mit genau dem Gedanken.