Vor zehn Jahren wurden Tausende jesidische Frauen im Nordirak von Terroristen versklavt, ihre Männer ermordet. Nun macht Schleswig-Holstein einen Vorstoß. Und findet Unterstützung beim Vizekanzler.
Seltene Einigkeit: Schleswig-Holsteins Landtag macht sich geschlossen für ein Aufenthaltsrecht hier lebender Jesidinnen und Jesiden stark. Irakische Jesiden müssten in Deutschland neuerdings mit Abschiebung rechnen, sagte SSW-Fraktionschef Lars Harms. „Das ist nicht zumutbar. Hier werden Menschen zehn Jahre nach einem Völkermord ins Land der Täter geschickt.“ Syrische Mitglieder der jesidischen Gemeinschaft hätten dagegen nach wie vor eine hohe Anerkennungsquote.
Der SSW hatte das Thema auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt, Schwarz-Grün sich der Problematik angenommen. Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne) berichtete im Parlament, sie habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) um Unterstützung für eine Landesaufnahmeanordnung für die nachweislich bis zum 16. Oktober in Schleswig-Holstein lebenden Jesidinnen und Jesiden gebeten.
„Darüber hinaus werden wir auch auf das Bundesinnenministerium zugehen, denn wir wollen auch einen zeitlich befristeten Abschiebestopp erwirken. Beides können wir als Land nur mit Zustimmung des Bundesinnenministeriums tun.“
Seit zehn Jahren stünden Jesidinnen und Jesiden im Fokus der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), sagte Touré. „Sie werden systematisch vertrieben, verfolgt, versklavt und getötet. Auch heute ist es besonders für diese Bevölkerungsgruppe im Irak weiter unsicher.“ Das Land könne einen Abschiebestopp immer nur für drei Monate aussprechen. „Es geht nicht nur um die Frage, wie und welche Menschen in Schleswig-Holstein Schutz bekommen, sondern auch um die Frage, wie sie Teil unserer Gesellschaft werden können.“
Regierung und Opposition einig
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Serpil Midyatli forderte über den schwarz-grünen Vorstoß hinaus ein Aufnahmeprogramm für 500 Frauen, Mädchen und vulnerable Gruppen. „Gerade Frauen und Mädchen wird bis heute unvorstellbares Leid angetan.“ Abschiebungen von Jesiden nach Syrien fänden zwar nicht statt, in den Nordirak aber sehr wohl.
Auch der FDP-Innenpolitiker Bernd Buchholz unterstützte den Antrag. Die Menschen seien schon so lange hier, dass sie besser bleiben sollten. Ähnlich wie Midyatli kritisierte er jedoch, dass die von Touré angekündigten Integrationsbemühungen nur eine Aufzählung dessen sein, was das Land bereits mache.
Die CDU-Abgeordnete Seyran Papo forderte, den Jesiden nicht nur Schutz, sondern auch Sicherheit vor Abschiebung ins Ungewisse zu geben, sofern sie nicht straffällig geworden seien. „Denn die Bedrohung ist noch nicht vorbei.“
Vizekanzler unterstützt Vorstoß
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur, „bei aller Diskussionen über Steuerung und Begrenzung von illegaler Migration: Wir müssen in der Migrationspolitik den Kompass für Menschlichkeit behalten“. Seit Jahren verübe der IS an Jesidinnen und Jesiden einen systematischen Völkermord. „Diejenigen, denen die Flucht nach Deutschland gelungen ist, benötigen unsere feste Schutzzusage.“
„Deshalb unterstütze ich das schwarz-grüne Vorhaben in Schleswig-Holstein für eine Landesaufnahmeanordnung für Jesidinnen und Jesiden ausdrücklich“, sagte Habeck. Es sei wichtig, für diese Menschen, denen in der Heimat schwerste Verfolgungen bis hin zum Tode drohten, hier einen sicheren Aufenthaltsstatus zu gewährleisten.
Aufnahmeprogramm
Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hatten im August 2014 im Nordirak mehr als 10.000 Jesiden im Sindschar-Gebirge eingekesselt. Tausende Frauen und Kinder der religiösen Minderheit waren gefangen genommen und versklavt worden, Tausende Männer wurden getötet.
Daraufhin hatte Baden-Württemberg 2015 ein Aufnahmeprogramm für besonders Schutzbedürftige aus dem Nordirak gestartet und darüber insgesamt mehr als 1.000 von IS-Terroristen bedrohte jesidische Frauen und Kinder in den Südwesten geholt. „Schleswig-Holstein nahm damals 32 von ihnen auf“, sagte Touré.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte nach der Vertreibungswelle 2014 eine Gruppenverfolgung angenommen. Nach der weitgehenden Niederlage des IS unter Verlust seiner Territorien Ende 2017 besteht diese Bewertung nach Angaben des Integrationsministeriums aktuell nicht mehr.
Jeder irakische Staatsangehörige, auch jesidischen Glaubens, müsse aktuell individuelle Verfolgung vortragen, um Schutz zu erhalten. Diese Einzelfallprüfungen würden mit einer Aufnahmeanordnung entfallen.