Mit nur 31 Jahren ist One-Direction-Superstar Liam Payne gestorben. Fans und Weggefährten trauern. Aber der Tod des jungen Mannes sollte vor allem ein Umdenken bewirken.
Es fühlt sich an, als habe man die Geschichte von Liam Payne schon oft gehört. Ein junger Popstar, dem gefühlt die Welt zu Füßen liegt, verliert sich in Drogen, Alkohol und endet in einer Negativspirale, die zum tragischen Tod führt. Beispiele gibt es genug. Amy Winehouse, Kurt Cobain, Aaron Carter, Ian Curtis – die Liste ist lang. Um zu verhindern, dass die Liste länger wird, dass es noch mehr Opfer gibt, muss ein Umdenken stattfinden. Dringend.
Liam Payne: Robbie Williams verabschiedet sich von seinem Weggefährten
Auch Robbie Williams‘ Leben stand zeitweise auf der Kippe, wie der Superstar selbst zuletzt in seiner Netflix-Dokumentation erzählte. Williams‘ Karriere verlief ähnlich wie die von Liam Payne. Auch er wurde in jungen Jahren als Teil einer britischen Boyband berühmt. Auf bescheidene Anfänge folgte Fangeschrei. Um damit umzugehen, griff Williams auf Drogen zurück. Auf Instagram erinnert sich der Musiker an die Zeit, als er so alt war wie der verstorbene Payne, und wie es ihm damals erging. „Mit 31 hatte ich immer noch meine Dämonen. Ich wurde rückfällig. Ich hatte Schmerzen. Ich hatte Schmerzen, weil ich rückfällig wurde. Ich wurde aus einer Vielzahl von schmerzhaften Gründen rückfällig. Ich erinnere mich an den Tod von Heath Ledger und dachte: ‚Ich bin der Nächste‘. Durch die Gnade Gottes und/oder dummes Glück bin ich immer noch hier“, schreibt Williams in einer Widmung an Payne.
Waren (junge) Popstars gefühlt schon immer näher am Absturz als andere Menschen, kommt heute eine Komponente hinzu, die das Leben in der Öffentlichkeit um einiges schwerer macht: Social Media und das Internet. Payne wurde beides in seinen letzten Jahren zum Verhängnis. Mit einigen fragwürdigen Aussagen zu seiner Zeit als One-Direction-Bandmitglied schoss sich der Musiker regelmäßig selbst ins Abseits. So prahlte er, der erfolgreichste Solo-Künstler aus der Gruppe zu sein. Eine Aussage, die schlichtweg falsch ist, immerhin konkurriert er um diesen Titel mit Harry Styles. Payne fiel außerdem mit merkwürdigen Social-Media-Beiträgen auf und mit flapsigen und sexistischen Aussagen seiner Freundin gegenüber. Die Shitstorms gehörten in den vergangenen Monaten zu seinem Leben wie das Geschrei der Fans zu One Directions erfolgreichsten Zeiten.
So unsinnig Paynes Aussagen teilweise gewirkt haben, so unverhältnismäßig war die Reaktion im Netz. Der junge Musiker, der oft darüber gesprochen hat, unter Depressionen zu leiden, wurde zur Lachnummer. Aus seinen Gesprächsschnipseln wurden Memes gebastelt, in Videos wurde sich über Paynes vermeintlichen Größenwahn lustig gemacht. Er galt als „cringe“, als peinlich. Und so wurde draufgehauen, immer und immer wieder. Alles in Ordnung, dachten sich wohl die Hater, hier handelt es sich schließlich um einen Superstar. Der wird das schon abkönnen. Aber kann man sich so wirklich rausreden? Wie viel muss ein Mensch (in der Öffentlichkeit) ertragen, bevor er sagt: genug. Ich kann nicht mehr. Hört auf. Und wenn er es ehrlich sagte, würde irgendwer zuhören? Und aufhören?
„Bevor du etwas ins Internet schreibst, solltest du darüber nachdenken, ob du das wirklich veröffentlichen musst, denn genau das tust du. Du veröffentlichst deine Gedanken, sodass sie jeder lesen kann. Selbst wenn du nicht wirklich glaubst, dass Prominente oder ihre Familien existieren. Sie existieren, verdammt noch mal. Haut und Knochen und ungeheuer sensibel“, so Robbie Williams in seinem Posting. Er appelliert an jeden seiner Fans, sensibler zu sein. Netter.
Selbst wenn sie es wollen, können Popstars der Öffentlichkeit heute kaum noch entkommen. Während sie früher mit Fanmengen konfrontiert wurden, sich dann aber selbst abschotten konnten, ist das heute dank Social Media nicht mehr möglich. Es reichen ein paar Interview-Snippets wie im Fall Liam Payne, um das Internet monate- oder jahrelang zu unterhalten. Jeder weiß, wie der Ablauf ist. Man sieht ein Meme, vielleicht zwei oder drei, und der Algorithmus stellt sicher, dass man weiter versorgt wird. Noch heute ist das Internet voll mit Memes, die teilweise älter sind als ein Jahrzehnt. Man möge sich nur mal vorstellen, wie es sich anfühlt, jeden Tag mit Postings konfrontiert zu werden, in denen man als Lachnummer dargestellt wird. Die Auswirkungen auf eine ohnehin schon empfindliche Psyche sind immens.
Niemand im Internet ist schuld an dem Tod dieses jungen Mannes. Aber kein Promi lebt nunmal in einem Vakuum. Auch die berühmtesten Popstars unserer Zeit sind beeinflussbar von Dingen, die um sie herum geschehen. Hass und Gelächter im Netz haben Auswirkungen, konkrete und womöglich gefährliche Folgen. Wir wissen schlichtweg nicht, wie es im Inneren eines Menschen aussieht. Prominenz gaukelt eine Nähe zum Fan vor, die nicht existiert. Keiner seiner noch so leidenschaftlichen Anhänger dürfte genau gewusst haben, wie Liam Payne die jüngsten Kontroversen in seinem Leben erlebt hat und welche Gefühle sie bei ihm auslösten. „Auch berühmte Fremde brauchen euer Mitgefühl“, bringt Robbie Williams es auf den Punkt. Es wird Zeit, dass wir alle, die im Netz unterwegs sind, auch so handeln.
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