Die Linke will ihre Krise überwinden und stellt sich neu auf. Zum Abschied redet sich die Vorsitzende Wissler noch einmal in Rage. Welchen Kurs schlägt die Partei ein?
Nach einer Serie von Wahlniederlagen will die Linke mit sozialer Sicherheit bei Löhnen, Rente und Mieten sowie mit Offenheit für Migration beim Wähler punkten. Die scheidende Linken-Vorsitzende Janine Wissler warf den übrigen Parteien und der Regierung vor, die Migrationspolitik der AfD zu übernehmen.
„Die aktuelle Debatte fühlt sich an wie ein AfD-Look-a-like-contest (ein AfD-Doppelgänger-Wettbewerb)“, sagte Wissler in ihrer Abschiedsrede beim Bundesparteitag in Halle. „Grenzkontrollen, Inhaftierung von Geflüchteten, Abschiebungen im großen Stil, wie der Kanzler sagt, sogar nach Afghanistan – der feuchte Traum eines jeden AfDlers ist Regierungshandeln geworden.“
Wissler kritisiert das BSW
Wissler griff auch das Bündnis Sahra Wagenknecht an, das sich vor einem Jahr von der Linken abgespalten hatte. „Wenn ich heute Reden vom BSW höre, in denen mehr Abschiebungen gefordert werden, wenn offen über gemeinsame Anträge mit der AfD diskutiert und schärfere Sanktionen beim Bürgergeld gefordert werden, dann kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind“, sagte sie.
„Eine linke Partei darf sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und darf niemals nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist“, so Wissler. Die Delegierten feierten Wissler nach ihrer kämpferisch vorgetragenen Rede.
Ihr Co-Vorsitzender Martin Schirdewan sagte, vom Parteitag solle ein „starkes und kraftvolles Signal“ ausgehen. „Diese Linke wird in diesem Land gebraucht“, sagte Schirdewan am Rande des Parteitags.
Schwierige Debatte zu Nahostkonflikt erwartet
Wissler und Schirdewan kandidieren bei der Neuwahl des Vorstands am Samstag nicht erneut. Die Publizistin Ines Schwerdtner und der frühere Bundestagsabgeordnete Jan van Aken wollen die Nachfolge übernehmen.
Für den Abend wurde eine schwierige Debatte zum Nahostkonflikt und zu Antisemitismus in Deutschland erwartet. Ein Landesparteitag in Berlin hatte vor einigen Tagen wegen dieser Themen im Eklat geendet. Seit Tagen wurde hinter den Kulissen ein Kompromissantrag verhandelt, um einen offenen Bruch zu vermeiden. „Ich bin zuversichtlich, dass das auch so durchkommt“, sagte Wissler. Was im Antrag steht, war zunächst nicht bekannt.
Gegen Waffenlieferungen an Israel
In ihrer Rede verurteilte Wissler den Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 scharf, übte aber auch Kritik am Gegenschlag Israels im Gazastreifen und im Libanon. „Wir setzen uns ein für ein sicheres Israel und einen anerkannten, sicheren Staat Palästina“, sagte sie. „Nötig ist ein sofortiger Waffenstillstand in Gaza, humanitäre Hilfe und die Waffenlieferungen nach Israel müssen sofort gestoppt werden.“
Statt Milliarden in die Rüstung zu pumpen, brauche man Milliarden für Soziales, Klimaschutz und Infrastruktur, so Wissler. Aufrüstung und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato machten die Welt nicht friedlicher. Auch führe die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an die Ukraine nicht zu einem schnellen Ende des Krieges, sagte Wissler.
Ramelow geht Selbstbeschäftigung „auf die Ketten“
Wissler rief die Mitglieder auf, die innerparteiliche Kultur zu verbessern. Auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte seine Partei eindringlich zum Neuanfang auf. „Mir geht es auf die Ketten, wie wir uns selber beschäftigen mit uns selber“, sagte er. „Ich habe keine Lust mehr, für jeden Deppen, der auf X unterwegs ist, den Kopf hinzuhalten“, fügte Ramelow hinzu. Der Vorstand der Partei müsse auch einmal deutliche Worte finden können, ohne sofort dafür angegriffen zu werden.
In einer stundenlangen Aussprache debattierten die Mitglieder über den künftigen Kurs. Ein Schwerpunkt war die Forderung nach bezahlbaren Mieten. Der bayerische Landessprecher Martin Bauhof sagte, die Linke sei die Partei, die sich für Mieterinnen und Mieter einsetze.
10.000 neue Mitglieder in einem Jahr
Die Linke hat bei den vergangenen Wahlen schlecht abgeschnitten. Zuletzt verlor sie bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg stark. In Brandenburg flog sie erstmals seit der Deutschen Einheit 1990 aus einem ostdeutschen Parlament.
Zuversicht schöpft die Linke aus den vielen neuen Mitgliedern, die in den vergangenen Monaten beigetreten sind. Nach Angaben von Wissler waren es seit Oktober 2023 mehr als 10.000. Allerdings waren vorher auch Scharen von Mitgliedern ausgetreten. Nach Parteiangaben gehören der Linken derzeit gut 52.600 Mitglieder an. Erklärtes Ziel der Partei ist, nach der nächsten Wahl wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen. Derzeit liegt sie bundesweit in Umfragen bei drei bis vier Prozent.
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