Die Zahl der antisemitischen Straftaten im Nordosten hat einen Höchststand erreicht. Nun reagiert der Landtag – und setzt ein Zeichen.
Als Reaktion auf den Terrorangriff der islamistischen Hamas und die Zunahme judenfeindlicher Delikte in Mecklenburg-Vorpommern plant der Landtag, den Schutz jüdischen Lebens und jüdischer Kultur zum Staatsziel zu erklären. Dazu haben die Regierungsfraktionen von SPD und Linke gemeinsam mit den Oppositionsparteien CDU, Grüne und FDP einen Antrag zur Änderung der Landesverfassung eingebracht. Darüber soll auf der Novembersitzung des Landesparlaments beraten werden. Verfassungsänderungen erfordern eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die mit der parteiübergreifenden Initiative gegeben wäre.
Zwei Änderungen an Artikel 18
Dem Antrag zufolge soll dem Verfassungsartikel 18a, der Friedensverpflichtung und Gewaltfreiheit als Staatsziele verankert, ein dritter Absatz hinzugefügt werden, der lautet: „Im Bewusstsein der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands schützt und fördert das Land Mecklenburg-Vorpommern das jüdische Leben und die jüdische Kultur.“
Zudem soll Absatz zwei um die Begriffe „antisemitisch, rassistisch“ und einen konkreten Handlungsauftrag erweitert werden. Dort soll es somit künftig heißen: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören, und insbesondere darauf gerichtet sind, nationalsozialistisches, antisemitisches, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig. Es ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes und jeder Einzelnen, diesen entschieden entgegenzutreten.“
Die Änderungen dienten dazu, die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu stärken, „um dem Staatsziel der Zurückdrängung rassistischer, antisemitischer und nationalsozialistischer Bestrebungen Ausdruck zu verleihen, sowie diese um das Staatsziel des Schutzes und der Förderung des jüdischen Lebens und der jüdischen Kultur zu ergänzen“, heißt es in der Begründung. Zudem ergehe an alle Träger öffentlicher Verwaltung der Handlungsauftrag, aktiv gegen Handlungen vorzugehen, die das friedliche Zusammenleben in Mecklenburg-Vorpommerns stören.
Parteien wollen Signal aussenden
Nach den Worten von SPD-Fraktionschef Julian Barlen wird mit dem gemeinsamen Antrag der fünf Fraktionen ein klares Signal gegen Antisemitismus in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen ausgesendet. Ein diskriminierungsfreies und friedliches Miteinander bleibe unverhandelbar, erklärte die Chefin der Linksfraktion, Jeannine Rösler.
CDU-Fraktionschef Daniel Peters sprach von besorgniserregenden antisemitischen Tendenzen, die entschlossenes Gegensteuern erforderten. Seine Amtskollegin von den Grünen, Constanze Oehlrich, erinnerte an die historische Verantwortung Deutschlands gegenüber den von den Nationalsozialisten verfolgten und getöteten Juden. Nationalsozialistisches und antisemitisches Gedankengut dürfe in Mecklenburg-Vorpommern keinen Platz haben. Freiheit, Akzeptanz, Respekt und friedliches Miteinander seien Grundlagen der liberalen Gesellschaft, betonte FDP-Fraktionschef René Domke.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende Nikolaus Kramer erklärte unter Hinweis auf grundsätzliche Formulierungen zu Würde und Freiheit des Menschen in der Präambel der Landesverfassung, dass seine Fraktion die Initiative nicht mittrage. „Wir erachten die Änderung als überflüssig, da sie redundant ist“, sagte er.
Zunahme antisemitischer Straftaten in MV
Nach Angaben des Innenministeriums hatte die Zahl antisemitischer Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern 2023 mit 115 Fällen einen neuen Höchstwert erreicht. Die Taten seien zum Großteil von Rechtsextremen und von Menschen begangen worden, die den Terroranschlag der Hamas gegen Israel im Oktober 2023 und den folgenden Krieg in Nahost als Anlass für Hetze gegen Juden im Allgemeinen genommen hätten, hatte Innenminister Christian Pegel (SPD) im Frühjahr bei der Vorlage der Polizeistatistik erklärt. Von 2021 zu 2022 hatte es bereits einen Anstieg antisemitischer Straftaten von 72 auf 79 gegeben.
Mit dem Zuzug von Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion kehrte nach dem Mauerfall auch wieder jüdisches Leben nach Mecklenburg-Vorpommern zurück. In Rostock und Schwerin entstanden jüdische Gemeinden, die nach eigenen Angaben heute etwa 1100 Mitglieder zählen. Als Beauftragter der Landesregierung für das jüdische Leben und gegen Antisemitismus in MV steht der frühere Sozialstaatssekretär Nikolaus Voss in regelmäßigem Austausch mit den Gemeindeleitungen und dem Landesrabbiner Yuriy Kadnykov.