US-Wahl: Gespaltene USA haben die Wahl: Trump oder Harris?

Monolog in Michigan, Party in Pennsylvania: Am Ende eines beispiellosen US-Wahlkampfes werben Harris und Trump in den wichtigsten Bundesstaaten um Stimmen – auf ihre jeweils ganz eigene Weise.

Im Kampf um die Macht gehen Kamala Harris und Donald Trump mit grundverschiedenen Visionen für die USA in den historischen Wahltag. Nach einem monatelangen Wahlkampf mit scharfen gegenseitigen Angriffen und teils düsterer Rhetorik liegen beide Anwärter auf das Weiße Haus in den letzten Umfragen gleichauf – der Ausgang der weltweit mit Spannung erwarteten Abstimmung ist völlig unklar und die Sorge vor Ausschreitungen hoch.

„Optimismus, Energie und Freude“

In einer minuziös durchgeplanten und mit Stars besetzten Kundgebung an berühmter Stätte in Philadelphia im „Swing State“ Pennsylvania gab Harris sich bei ihrer letzten Rede siegessicher. Vor den Stufen des Philadelphia Museum of Art, der Kulisse aus dem Kultfilm „Rocky“, sagte Harris: „Heute Abend beenden wir es so, wie wir es begonnen haben, mit Optimismus, mit Energie und mit Freude.“ 

Die Demokratin freute sich bei ihrer Abschlusskundgebung am Abend (Ortszeit) vor der US-Präsidentenwahl über die Unterstützung diverser Superstars wie Lady Gaga oder Oprah Winfrey. Harris rief die Menschen, die ihre Stimme noch nicht abgegeben haben, eindringlich dazu auf, dies noch zu tun. „Das Rennen ist noch nicht vorbei.“ Es könne eines der engsten Rennen der Geschichte werden. „Jede einzelne Stimme zählt“, so Harris. Trumps Namen erwähnte sie nicht – ihre Rede dauerte nicht mal eine halbe Stunde.

Wütender Monolog von Trump

Nur wenig später nutzte Trump seine wohl letzte Chance, unentschiedene Wählerinnen und Wähler zu überzeugen, für einen länglichen Monolog mit zahlreichen Angriffen auf seine politischen Gegner vor einer aufgepeitschten Menge in Grand Rapids im „Swing State“ Michigan: „Sie hat einen sehr niedrigen IQ, und wir brauchen keine Person mit niedrigem IQ. Das haben wir seit vier Jahren. Und unser Land geht den Bach runter“, sagte der 78-Jährige über seine Kontrahentin.

Den Wünschen seiner Berater, sich mehr an seine Redemanuskripte zu halten, folgte er nicht. Harris sei „eine linksradikale Verrückte“, schimpfte er. Trump hatte seine Wahlkämpfe auch schon 2016 und 2020 in Grand Rapids beendet. Der Ex-Präsident begann seine Rede kurz nach Mitternacht (Ortszeit) direkt im Anschluss an Harris‘ Auftritt – und hatte so das letzte Wort. Zuvor hatte Trump einen Erfolg eingefahren, als der populäre Podcaster Joe Rogan sich für ihn als nächsten US-Präsidenten aussprach.

Erste Wahlergebnisse: Gleichstand im Dorf Dixville Notch

Noch während der Abschlusskundgebungen fiel die erste Entscheidung der Wahl: In dem kleinen Örtchen Dixville Notch im Bundesstaat New Hampshire erzielten Harris und Trump mit 3 zu 3 Stimmen ein Unentschieden, wie dort kurz nach Mitternacht (Ortszeit) auf einer handgeschriebenen Tafel verkündet wurde. Weil es in dem Skiort nahe der Grenze zu Kanada nur sechs registrierte Wähler gibt, sind Stimmabgabe und Auszählung schnell abgewickelt. Das Wahllokal in Dixville Notch öffnet seit 1960 am Wahltag bereits um Mitternacht. 

Grundverschiedene Botschaften

Trump zeichnet standardmäßig in langen Reden mit düsterer Rhetorik das Bild von einer Nation im Niedergang, die nur er retten könne. Harris dagegen fasst sich kurz, spricht gezielt Wählergruppen wie die GenZ, also die Unter-30-Jährigen, Latinos und Menschen mit arabischen Wurzeln an. 

Es war die letzte Chance der Kandidaten, eine Botschaft an ihre Wähler zu richten, bevor final über das Präsidentenamt und die künftigen Machtverhältnisse im US-Parlament entschieden wird. Auch für Deutschland und Europa ist es eine Schicksalswahl.

Bei der Abstimmung steht viel auf dem Spiel. Es geht nicht nur um die innenpolitische Stabilität des Landes, sondern auch um die zukünftige Rolle der USA in internationalen Bündnissen, die transatlantische Zusammenarbeit und den Umgang mit dem Machtstreben Russlands und Chinas – so muss die Ukraine bei einem Sieg Trumps um die wichtige Unterstützung der USA im Krieg gegen Russland bangen. Die Verflechtungen Deutschlands und Europas mit den Vereinigten Staaten sind im wirtschaftlichen Bereich riesig und haben im Verteidigungsbereich sogar existenzielle Dimensionen.

Angst vor Gewalt

Es ist kein Zufall, dass Harris und Trump am Tag ihre finalen Kundgebungen in Pennsylvania und Michigan abhalten. Pennsylvania gilt als potenziell wahlentscheidend – hier gibt es 19 Stimmen von Wahlleuten zu holen, mehr als in jedem anderen „Swing State“. Da in den weitaus meisten Bundesstaaten absehbar ist, welche Partei sich dort den Sieg sichern wird, konzentrierten sich Demokraten und Republikaner im Wahlkampf vor allem auf sieben Schlüsselstaaten mit noch offenem Ausgang.

Der Wahltag wird nicht nur mit Spannung, sondern auch mit großer Sorge und teilweise Angst vor Ausschreitungen oder Gewalt erwartet. Trump säte einmal mehr Zweifel an der Integrität der Wahl und beschuldigte die Demokraten und Anhänger von Harris, dass diese „betrügen“ wollten. Auch seine Wahlniederlage 2020 gegen Joe Biden hatte er nie eingeräumt. Er baut bereits für eine mögliche Wahlniederlage vor und behauptet, nur Betrug könne ihn um den Sieg bringen.

Trump schürte auch erneut falsche Erwartungen an die Auszählung der Stimmen. „Wir wollen die Antwort heute Nacht“, sagte der 78-Jährige in Grand Rapids. Es gilt als unwahrscheinlich, dass das Ergebnis der Wahl innerhalb weniger Stunden nach Schließung der Wahllokale feststehen wird. Besonders die Briefwahlstimmen verzögern den Auszählungsprozess in einigen Staaten. Nach der Präsidentschaftswahl 2020 erklärte sich Trump noch in der Wahlnacht zum Sieger – und forderte einen Stopp der Stimmauszählung, als er vorübergehend vor Biden lag. Seine Wahlniederlage erkennt er bis heute nicht an. In den USA wird befürchtet, dass Trump diese Strategie wiederholen könnte. 

Vorsichtshalber wurden in zahlreichen Wahllokalen im ganzen Land die Sicherheitsvorkehrungen erhöht – in einigen gibt es nun Panikknöpfe für die Wahlhelfer. Mancherorts wird auch mit Scharfschützen auf angrenzenden Dächern und Überwachungsdrohnen geplant, um zu verhindern, dass es rund um die Abstimmung zu Gewalt kommt. Auch in der Hauptstadt Washington wurden die Sicherheitsmaßnahmen sichtbar erhöht. Absperrungen gab es rund um das Kapitol und das Weiße Haus. Einige Geschäfte haben ihre Schaufenster verrammelt. 

Die Bundespolizei FBI hat rund um die Wahl eine Art Kommandozentrum eingerichtet. In Washington D.C. und einigen Bundesstaaten wurde die Nationalgarde aktiviert, um Polizei und Feuerwehr am Tag der Wahl und danach bei Bedarf unterstützen zu können. Das Pentagon betonte, dass dies bei Großereignissen wie der Präsidentschaftswahl und der Vereidigung des Präsidenten üblich sei. Derweil warnten Geheimdienste vor einer andauernden und möglicherweise steigenden Wahlbeeinflussung durch Russland.

Ergebnis möglicherweise erst nach Tagen

Die ersten üblichen Wahllokale an der Ostküste der USA schließen um Mitternacht deutscher Zeit. Anders als in Deutschland gibt es dann keine Prognose zum Wahlsieger. Und die Auszählung kann lange dauern, nicht nur wegen der vielen Zeitzonen des Landes, sondern auch wegen vieler Briefwahlstimmen.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass es in der Wahlnacht noch keinen Sieger geben wird – ausgeschlossen ist das aber nicht. 2020 wurde Biden erst am Samstag zum Sieger erklärt, also an Tag vier nach dem Wahldatum. Von Trumps Sieg 2016 hatten viele US-Amerikaner dagegen schon beim Aufstehen am Morgen nach der Wahl erfahren. 

Der Wahlkampf nahm sich diesmal denkwürdig turbulent aus: Ursprünglich wollte Biden erneut antreten, doch nach dem großen TV-Duell mit Trump überließ er Harris nach massivem Druck das Feld.

Die magische Zahl 270

Der US-Präsident wird indirekt vom Volk gewählt. Die Stimmen der Wählerinnen und Wähler entscheiden über die Zusammensetzung des Wahlkollegiums, das den Präsidenten im Dezember stellvertretend für sie wählt. Jeder Bundesstaat hat eine bestimmte Stimmenanzahl, die sich in etwa nach der Einwohnerzahl richtet.

Bei der Wahl gilt in fast allen Bundesstaaten das Prinzip „the winner takes it all“: Der Kandidat, der dort gewinnt, erhält die Stimmen aller Wahlleute des Bundesstaats. Für den Einzug ins Weiße Haus braucht ein Kandidat letztlich also nicht die meisten Stimmen des Volkes („popular vote“), sondern die Mehrheit der 538 Wahlleute („electoral vote“)- also mindestens 270.