Auf Sylt löcherte die Letzte Generation einen Golfrasen und zerstörten einen Privatjet. Dafür stehen sechs Aktivisten nun vor Gericht. So lief der Prozessauftakt.
Michael Winter und Katharina Hack stehen an einem Zaun. Ratlos blicken sie nach links und rechts. Hinter dem Maschendraht am Ende einer großen Rasenfläche ragt ein grauer Gebäudekomplex in den gleichfarbigen Novemberhimmel. Genau dort müssen sie hin, denn dort wartet ein Gerichtstermin. Es geht um Randale auf der Urlaubsinsel Sylt, Insel der Reichen und Schönen.
Sechs Klimaaktivisten im Alter 20 bis 62 Jahren hatten sich im Juni auf das Gelände des Inselflughafens geschlichen, einen Privatjet mit oranger Farbe beschmiert, dabei die Triebwerke beschädigt und sich anschließend auf dem Rollfeld festgeklebt. Wenige Tage später gruben sie Löcher auf einem Golfplatz und pflanzten dort Blumen und Bäume. Der heute 62-jährige Winter und die 28-jährige Hack waren dabei. Jetzt müssen sie dafür vor Gericht geradestehen. Die Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein wirft ihnen unter anderem Sachbeschädigung vor. Gesamtschaden: mehr als eine Million Euro.Globaler Klimastreik FFF in Hamburg 20.00
Es ist einer von vielen Prozessen, mit denen die Justiz versucht, die Protestaktionen der Letzten Generation juristisch aufzuarbeiten. Zehn Urteile gegen Klimaaktivisten zählte das Bundesinnenministerium im Mai 2024. In drei Tagen gibt es ein weiteres. Ob es zugunsten der Klimaaktivisten ausfallen wird, vollkommen ungewiss. Im besten Fall winkt ein Freispruch. Wenn es nicht so gut läuft, dann droht eine Geldstrafe. Und wer das Geld dann nicht aufbringen kann, muss ersatzweise ins Gefängnis.
„Ich kann nicht mehr zusehen, wie ihr auf unsere Lebensgrundlage scheißt“
Regina Stefan, 22, und Lilly Gomez, 24, heute ebenfalls auf der Anklagebank in Itzehoe, saßen schon wegen früherer Klimaprotestaktionenein und wissen: „Das war scheiße.“ Deshalb tun sie heute vor Gericht alles, um dieser Strafe zu entgehen und um dem Klimaschutz einen Sieg zu bescheren. Der Prozess findet in der Lagerhalle der China Logistic Center GmbH (CLC) in Itzehoe statt. Dort wurden bereits Schwerverbrecher verurteilt, etwa der Messerstecher von Brokstedt. Die Justiz nutzt die Räumlichkeiten für Verhandlungen mit vielen Teilnehmern oder besonderen Sicherheitsvorkehrungen. Die Zahl der Angeklagten hätte den Platz im Amtsgericht Niebüll gesprengt, deshalb findet der Klima-Sylt-Prozess nun hier statt.
Noch im Laufe des ersten Verhandlungstages fragt man sich, wer da eigentlich auf der Anklagebank sitzt – die Klimaaktivisten oder doch die Bundesregierung? „Ich kann nicht mehr zusehen, wie die Regierung auf unsere Lebensgrundlage scheißt“ oder „Was habt ihr in den letzten 40 Jahren eigentlich gemacht?!“, hallen die Beschwerden von der Anklagebank durch den Gerichtssaal.
Angeklagte räumen Taten auf Sylt ein
Zwar bekennen sich fast alle Angeklagten zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Fragen dazu, wer genau die Privatjets beschmiert habe, wo die Farbe herkam und wer die Ideen hatte, bleiben unbeantwortet. Nur so viel: Es sei keine Lack-, sondern Wandfarbe gewesen, die man mit etwas mehr Einsatz rechtzeitig hätte beseitigen können, stichelt Gomez auf eine Frage des Staatsanwalts.Kommentar 1,5-Grad-Ziel KLImaschutz 9.55
Ansonsten hagelt es weiter Vorwürfe Richtung Bundesregierung und die Richterin gibt den Aktivisten alle Zeit dazu. Medizinstudentin Regina Stefan fühlt sich belogen und hintergangen von den Versprechen aus Berlin und der Elterngeneration. „Ich möchte Patienten behandeln und nicht Hitzetote zählen. Ich möchte mit meiner Familie im Sommer durch die Berge wandern und mit 84 strickend auf meinem Balkon sitzen und meinen Enkeln von früher erzählen“, sagt sie unter Tränen.
Doch wo bleibt Platz für solche Träume, wenn die Welt abwechselnd in Flammen oder unter Wasser steht, jeder Monat einen neuen Temperaturrekord aufstellt und nicht nur Jahrzehnte zu früh an der 1,5-Grad-Marke von Paris kratzt, sondern sie gar überschreitet. Aktuelle wissenschaftliche Berechnungen weisen darauf hin, dass die Erderwärmung ungebremst bis Ende des Jahrhunderts ein Plus von drei Grad erreichen könnte. Und eine politische Lösung ist nicht in Sicht.
Keiner wartet mehr auf ein Klimawunder
Von den Klimaverhandlungen in Aserbaidschan erwartet niemand bahnbrechende Entscheidungen mehr. Die Regierungschefs wichtiger Staaten haben ihre Reise nach Baku ganz abgesagt, auch der selbsternannte Klimakanzler Olaf Scholz. Das hart erkämpfte und gefeierte Klimaschutzgesetz hat die Ampel-Regierung erfolgreich verwässert. Und die wichtigste Volkswirtschaft der Welt hat vor gut einer Woche einen Präsidenten gewählt, der Klimaentscheidungen so gut es geht rückgängig machen und abschaffen möchte.
Als wäre das nicht genug, endete kurz vor dem Prozessbeginn in Itzehoe ein wichtiges Verfahren in den Haag. Aktivisten hatten gefordert, dass der Mineralölkonzern Shell seine Emissionen drastisch senken muss. Die Richter wiesen die Forderung nun zurück und sprachen Shell frei. Eine weitere Schlappe für den globalen Klimaschutz – und ein Vorbote für das, was in den kommenden Tagen in Itzehoe droht?Hat die Klimakonferenz als Format ausgedient? 21.55
Niemand hofft es, bangen tun sie dennoch alle. Gomez sagt, sie „habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, dass wir noch schlimmere Konsequenzen verhindern können“. Auch Regina Stefan gesteht der Richterin, dass sie weiterhin an Klimaprotesten teilnehmen werde, „so lange, wie es geht“. Fragt sich nur, ob das nach dem Gerichtsurteil, das am Freitag erwartet wird, noch so einfach möglich ist.