Im Verhör zu Afghanistan: Und dann zitiert Angela Merkel aus ihren Memoiren

Ex-Kanzlerin Angela Merkel muss im Untersuchungsausschuss zum Afghanistan-Debakel aussagen, wirkt befreit, von Selbstkritik keine Spur. Man hätte nur ihr Buch lesen müssen.

Donnerstagnachmittag, im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags. Heute mal kein PR-Auftritt für die ehemalige Bundeskanzlerin, die ja gerade ein Buch geschrieben hat, ihre Memoiren. Angela Merkel muss an diesem Tag vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen. 

Der CDU-Abgeordnete Thomas Röwekamp begrüßt sie mit einem Augenzwinkern: „Ich freue mich jedenfalls, Sie zu sehen, umgekehrt weiß ich das nicht genau!“ Merkel antwortet prompt: „Doch, doch, doch. Ich bin ja noch Mitglied der CDU!“

Im Verhör soll die hektische Evakuierung aus Kabul aufgeklärt werden

Dabei geht es um eine ernste Sache, letztlich: um Menschenleben. Sie ist Mitglied der CDU – und sie war die Kanzlerin, die den Abzug aus Afghanistan verantwortete. Das Gremium soll die hektische deutsche Evakuierung aus Kabul im August 2021 aufklären, die offenkundigen Fehleinschätzungen der damaligen Bundesregierung, das Schicksal der afghanischen Ortskräfte. 

In den letzten Wochen war Angela Merkel vor allem auf Lesereise, um ihre Biografie „Freiheit“ vorzustellen. Sie genießt ihren Ruhestand, nimmt vorwiegend angenehme Termine wahr. Doch heute kehrt sie zurück an ihre alte Wirkungsstätte – nicht als mächtigste Frau der Republik, sondern als Zeugin.

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Merkel wirkt gelassen, als ihre Vernehmung um 15 Uhr beginnt, bestens vorbereitet. Ihr Eingangsstatement liest sie ruhig und strukturiert vor, es dauert eine halbe Stunde. Sie betont, der Abzug der Bundeswehr sei planmäßig verlaufen: „Ich war darüber sehr erleichtert“, sagt sie in monotoner Tonlage.

„Ich habe versucht, mich zu erinnern und bin hierher gekommen“

Der Vorsitzende des Ausschusses, Ralf Stegner von der SPD, erkundigt sich, wie sie sich auf ihre Aussage vorbereitet habe. Merkel antwortet: „Ich habe Akten gelesen, versucht, mich zu erinnern, das aufgeschrieben und bin hierher gekommen.“ Ihre humorvolle Art bringt den Saal – trotz des ernsten Themas – zum Schmunzeln.

Man hätte schon wissen können, was sie hier sagen wird. Vielleicht auch, dass man nicht allzu viel Selbstkritik erwarten darf. Merkel erklärt vor dem Ausschuss: „Die afghanische Gesellschaft konnte nach der Vertreibung der Taliban 2001 aus sich heraus keine ausreichenden eigenen Kräfte für eine Entwicklung ohne Korruption, Vetternwirtschaft und Rauschgiftanbau mobilisieren.“ 

Dieser Satz findet sich, ja wirklich, wortgleich auf Seite 630 ihrer Biografie „Freiheit“. Auch einige weitere Aussagen hatte sie schon in ihrem Buch festgehalten.

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Merkel legt dann dar, dass die USA ihren eigenen Abzug aus Afghanistan beschlossen hatten und Deutschland folgen musste – wegen „der normativen Kraft des Faktischen“. Sie betont, dass man sich nicht ausschließlich auf Negativszenarien stützen könne. 

Merkel vergleicht den afghanischen Präsidenten mit Selenskyj

Zudem sei unklar gewesen, in welchem Zeitrahmen die Taliban die Kontrolle übernehmen würden. „Es hätte auch sein können, dass meine Amtszeit schon längst vorüber ist, wenn Präsident Ghani das Land verlässt“, bemerkt sie.

Der damalige afghanische Präsident Aschraf Ghani floh im August 2021 überstürzt per Helikopter aus dem Land – kurz bevor die Taliban die Hauptstadt Kabul einnahmen. Merkel zieht einen Vergleich zum ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der nach Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 in seinem Land geblieben sei.

Es ist nicht gelungen, was intendiert war. Damit müssen wir leben.

Auch bei der Frage, ob Deutschland schon früher afghanische Hilfskräfte der Bundeswehr aufnehmen sollte, hat Merkel eine klare Meinung: Das wäre ein schlechtes Signal gewesen, für die Afghanen, die noch für ihr Land kämpften. 

Hätte sich Berlin denn wenigstens früher auf eine Machtübernahme der Taliban vorbereiten sollen? Immerhin warnte der Bundesnachrichtendienst bereits 2020 vor einem solchen Szenario – intern „Emirat 2.0“ genannt. Auch hier hat Angela Merkel wieder eine einfache Erklärung: Man könne nicht nur Aufgrund der negativsten Szenarien handeln. 

Angela Merkel blockt entscheidende Fragen ab

Warum wurde die Bundesregierung trotzdem derart überrumpelt? Warum wurden Warnungen überhört? Warum die Ortskräfte nicht früher ausgeflogen? Merkel blockt ab. Zum Ende sagt sie: „Es ist nicht gelungen, was intendiert war. Damit müssen wir leben.“ Basta.

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In diesem Untersuchungsausschuss kommt sie noch einmal zum Vorschein, die Politikerin, die Angela Merkel war, die 16 Jahre dieses Land regierte: Detailreich schildert sie Ereignisse, wirkt routiniert, zitiert Akten und eben: ihr Buch. 

Immer wieder blitzt ihr Humor durch, die Gelassenheit einer Frau, die abgeschlossen hat mit der Politik. Aber eines bleibt seit 2021 offenbar gleich: Für Angela Merkel trägt Angela Merkel keine Schuld am Desaster in Afghanistan.