Arroganz und Gemütlichkeit haben VW in eine Talfahrt geführt. Die Verwunderung darüber ist kaum zu ertragen.
Der Bibelvers für diese Woche findet sich im Buch der Sprüche, Kapitel 11, Vers 2: „Wo Hochmut ist, da ist auch Schande; aber Weisheit ist bei den Demütigen.“
Die Liste ist lang. Kodak ist wohl die prominenteste Marke. Dicht gefolgt von Nokia. Dahinter befinden sich deutsche Traditionsunternehmen wie Grundig, Neckermann, Hertie und Quelle. Sie alle waren Marktführer, manche sogar Weltmarktführer mit vielen tausenden Arbeitsplätzen. Doch irgendwann verschliefen sie mehrere Innovationszyklen, wurden gemütlich und träge. Nicht selten arrogant.
Wenn man mittendrin steckt, bemerkt man manchmal nur im Augenwinkel, wie die Wettbewerber aufholen, wie man Marktanteile verliert, abgehängt wird. Aber irgendwann ist es unübersehbar. Und gleichzeitig schon zu spät. Der Weg in den Bankrott ist kurz, 100 Jahre Firmengeschichte hin oder her. Oder wie man im Rheinland zu sagen pflegt: Was weg ist, ist weg.
Und so muss ich an all diese ehemals ruhmreichen Traditionsmarken denken, wenn ich die Hiobsbotschaften zur wirtschaftlichen Situation bei VW höre. Zumal sie kein Ende zu nehmen scheinen: Gewinneinbruch im dritten Quartal 2024 um 64 Prozent. Verkaufsrückgang in China, dem weltweit größten Absatzmarkt für Autos. Bei der Elektromobilität und Nutzererfahrung hinkt der gesamte Volkswagen-Konzern weit abgeschlagen seinen Wettbewerbern hinterher. Die attraktivsten Elektro-Autos baut das US-amerikanische Unternehmen „Tesla“, die günstigsten Elektro-Autos kommen von chinesischen Herstellern wie „BYD“. Irgendwo dazwischen befindet sich VW. Nicht sonderlich attraktiv, dafür aber teuer.
Volkswagen, so heißt es laut „Business Insider“ vom Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume bei einer Betriebsversammlung, sei ein „Sanierungsfall“. Man müsse nun mindestens drei Produktionsstätten in Deutschland schließen. Das Unternehmen werde sich auf einen harten Sparkurs einstellen müssen. Nach einem Bericht des „Spiegel“ klafft im Finanzplan der Marken VW und VW Nutzfahrzeuge aktuell eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro. Wie der Zufall es will, betrug die Dividende, die Volkswagen für das Geschäftsjahr 2023 seinen Aktionären ausschüttete, exakt 4,5 Milliarden Euro. Na sowas.
Liegt es am Ende doch … am Produkt, VW?
Dass man an der Größe der Automodelle, der Qualität der Fahrzeuge, der Nutzererfahrung, der digitalen Vernetzung, der Antriebstechnologie, dem Verbrauch, ja Herrgottnocheins, irgendetwas an einem Auto, das unironisch Volkswagen heißt, verbessern könnte, kommt dem Vorstand allerdings nicht in den Sinn. Bei einer Betriebsversammlung im September sagt der Finanzchef Arno Antlitz: „Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Und das hat nichts mit unseren Produkten zu tun oder schlechter Leistung des Vertriebs. Der Markt ist schlicht nicht mehr da.“
Das hat nichts mit unseren Produkten zu tun? Der Markt ist schlicht nicht mehr da? Der weltweite Verkauf von Automobilen befindet sich auf dem höchsten Niveau seit Corona und steigt zum zweiten Jahr in Folge. Tatsächlich aber stimmt eines: Die Zahl der Verbrenner sinkt seit 2018 kontinuierlich und befindet sich auf dem tiefsten Stand seit 15 Jahren, während die Zahl der Elektrofahrzeuge seit zehn Jahren exponentiell ansteigt.
Kommentar VW Volkswagen Manager Gehälter 15:13
In diesen kleinen Details steckt eine Menge Wahrheit. Volkswagen hätte seit Jahren und Jahrzehnten an alternativen, vor allem an sauberen, Antriebstechnologien arbeiten können. Stattdessen zog man es in Wolfsburg vor, die Abgaswerte der eigenen Autos zu manipulieren und sowohl Kunden als auch Umwelt nachhaltig zu schaden. Irreführung statt Innovation, so schien es, war lange Zeit das Motto des größten Automobilherstellers der Welt.
Als der ehemalige Vorstandsvorsitzende von VW, Matthias Müller, während einer Veranstaltung 2017 zu Tesla befragt wurde, zählte er auf, was für ein irrelevanter Konkurrent das US-Unternehmen sei. Tesla würde weniger Autos verkaufen als VW, weniger Umsatz machen als VW, seine Mitarbeiter schlechter behandeln als VW, man solle wirklich mal die Kirche im Dorf lassen. Es gibt ein Video von diesem Statement. Man sollte es sich ansehen. Die Arroganz und Überheblichkeit sind schlichtweg bemerkenswert.
Als Müllers Nachfolger Herbert Diess am Rande einer Automesse von einem Journalisten der BBC über mögliche Zwangsarbeit in chinesischen Uiguren-Umerziehungslagern befragt wird, tut Diess allen Ernstes so, als hätte er die Frage nicht verstanden. Auch davon gibt es ein Video. Es ist nur schwer zu ertragen.
Jenseits aller Skandale, derer es nun wahrlich nicht wenige gibt, tut sich Volkswagen auch an anderer Stelle schwer: seinem Kernprodukt. Dem Auto.
Elektromobilität dann eben aus China
Um die Digitalisierung in seinen Fahrzeugen voranzutreiben, wurde bei Volkswagen die Software-Entwicklung in dem Unternehmen „Cariad“ gebündelt. Über ebenjenes Cariad weiß das „Manager Magazin“ zu berichten, dass es VW-intern als „untragbares Risiko“ und als „Fass ohne Boden“ gehandelt wird. Ein Mitglied der Konzernspitze soll gar gesagt haben, Cariad sei die „größte Bombe“, die der Konzern je getragen habe. Diese Einschätzung passt zu der verheerenden Qualität der Software in den VW-Fahrzeugen. Auf der Social-Media-Plattform „Reddit“ versuchen VW-Besitzer ehrlich und ernsthaft zu verstehen, warum die VW-Software im Vergleich zu anderen Autos so schlecht ist. Diskutiert wird die Stromversorgung, die Hardware, die Fahrzeuginfrastruktur und der Code. Auf der Plattform „X“ zeigt ein Nutzer, wie sein brandneuer VW ID.7 alle Einstellungen zu Klima, Fahrprofil, Navigation zurücksetzt, nachdem das Auto neu gestartet wird. Medien wie „Forbes“ und „The Verge“ beteiligen sich an der Problemsuche und beschreiben mögliche Lösungen. Die Häme über VWs Unfähigkeit ist unlängst Mitleid gewichen. Man weiß kaum, was schlimmer ist.
Als auf der diesjährigen Automesse in Shanghai eine Besucherin gefragt wird, ob sie eine deutsche Automarke kaufen würde, lacht diese verlegen. Sie sagt anschließend Worte, die sich in Wolfsburg wie Peitschenhiebe anfühlen müssen: „Ich glaube nicht. Das ist eher etwas für die Generation meines Vaters.“
Wie gut die chinesischen Hersteller im Bereich der Elektromobilität sind, zeigt sich an einer symbolhaften Nachricht: Die „Bogestra“, die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG, kaufte in diesem Jahr zwei Dutzend Elektro-Busse des chinesischen Herstellers BYD. Im Herzen des Ruhrgebiets, der ehemaligen Heimat von Kohle und Stahl, versorgen nun chinesische E-Busse die Bevölkerung mit dem öffentlichen Personennahverkehr.
Es wird schmerzhaft werden, vor allem für die VW-Mitarbeiter
Die Zeche für die Mutlosigkeit, das Managementversagen und die fehlende Weitsicht tragen die Mitarbeiter, die nun um ihren Arbeitsplatz fürchten müssen. Die vom rechten Rand des politischen Spektrums eingeforderte „Eigenverantwortung“ trifft diejenigen, die am wenigsten für die gesamte Misere verantwortlich sind. „Der Markt regelt“, heißt es oft bar jeder Ahnung, was das eigentlich bedeutet. Nur sind dem Markt, das hat man nur viel zu lange nicht wahrhaben wollen, Arbeitsplatzgarantien und Sozialpläne herzlich egal.
Volkswagen wird, wenn sie nicht so enden wollen wie Kodak, Nokia, Grundig, Neckermann, Hertie und Quelle, nichts anderes übrig bleiben als sich gesund zu schrumpfen, neu aufzustellen, zu sparen und gleichzeitig zu investieren. Es wird schmerzhaft werden, insbesondere für die Belegschaft, aber anders wird es nicht gehen.
Vor allem sollte Volkswagen aufhören, sich an die Verantwortlichen in Politik und Medien heranzuwanzen und ihnen nach dem Mund zu reden. Jens Spahn, dessen Wirtschaftskenntnisse mit „niedrig“ noch deutlich zu hoch eingeschätzt sind, erklärt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ allen Ernstes, VW sei deshalb in die Krise geraten, weil man dort „alles auf die Elektroauto-Karte“ gesetzt habe. Es ist dermaßen falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig ist.