Verteidigung: Nato-Generalsekretär: Langfristig mache ich mir Sorgen

Kriegsängste in Europa, Donald Trump, Olaf Scholz und Friedrich Merz: Kurz vor Weihnachten steht der neue Nato-Generalsekretär in einem Interview Rede und Antwort. Deutliche Worte gibt es reichlich.

Der neue Nato-Generalsekretär Mark Rutte sieht derzeit nicht die Gefahr eines russischen Angriffs auf das Bündnisgebiet, blickt aber zugleich sorgenvoll in die Zukunft. „Wenn wir unsere Verteidigungsausgaben nicht erhöhen, werden wir in vier bis fünf Jahren ein ernsthaftes Problem haben“, sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Derzeit müssen wir keine Angst haben. Aber langfristig mache ich mir Sorgen.“

Hintergrund der Einschätzung Ruttes ist der massive Ausbau der Rüstungsproduktion Russlands wegen des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Dem setzen die Nato-Staaten seiner Meinung noch nicht genug entgegen. „Wir müssen die Verteidigungsindustrie stärken und die Produktion ausweiten. Es müssen zusätzliche Produktionslinien und Schichten eingerichtet werden, da wir nicht genug Militärgüter produzieren, um uns langfristig zu schützen“, erklärte der 57-Jährige. „Noch haben wir Zeit uns vorzubereiten und unsere Abschreckung zu stärken, um einen Krieg auf Nato-Territorium zu verhindern. Aber wir müssen jetzt handeln.“

Rutte erwartet neue Forderungen von Trump

Druck in diese Richtung erwartet Rutte auch vom künftigen US-Präsidenten Donald Trump, der in seiner ersten Amtszeit mit einem Austritt der USA aus der Nato gedroht hatte, wenn die Alliierten nicht sofort zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben. „Er wird wollen, dass wir mehr tun, und er hat recht damit. Wir müssen mehr tun“, sagte Rutte. Insgesamt gesehen gäben die europäischen Alliierten derzeit zwei Prozent ihres BIP für Verteidigung aus. Aber man werde in vier bis fünf Jahren ein Problem mit der Abschreckung bekommen, wenn man nicht mehr ausgebe.

Ob er eine Erhöhung des Nato-Ziels für die Verteidigungsausgaben auf drei Prozent des BIP oder noch mehr für sinnvoll hält, sagte Rutte nicht. Eine Entscheidung dazu soll bis zum Nato-Gipfel im kommenden Juni fallen. Zuletzt hatte es Berichte gegeben, dass Trump von den Europäern Ausgaben in Höhe von fünf Prozent fordern könnte. Deutschland wird in diesem Jahr vermutlich bei einer Quote von etwa 2,1 Prozent landen.

Klare Worte zur deutschen Ukraine-Politik

In der Diskussion um das anhaltende Nein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine machte Rutte deutlich, dass er persönlich eine andere Entscheidung treffen und auch keine Einschränkungen bei der Nutzung machen würde. „Ganz allgemein wissen wir, dass solche Fähigkeiten für die Ukraine sehr wichtig sind“, sagte der frühere niederländische Ministerpräsident. Es sei aber nicht an ihm zu entscheiden, was Alliierte liefern sollten.

Grundsätzlich nahm Rutte den Kanzler allerdings gegen Kritik entschieden in Schutz. „Was Olaf Scholz getan hat, ist beeindruckend. Scholz hat mit dafür gesorgt, dass Deutschland nach den USA an zweiter Stelle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine steht, mit 28 Milliarden Euro, in manchen Berechnungen sogar 34 Milliarden. Das ist eine gewaltige Summe, weit vor vielen anderen Ländern, einschließlich großer Volkswirtschaften Europas“, sagte er. Dies sei ein Verdienst, für den auch die Ukraine Scholz dankbar sein könne.

Zu den zum Teil harten Vorwürfen, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gegen Scholz erhob, sagte Rutte: „Ich habe Selenskyj oft gesagt, dass er aufhören soll, Olaf Scholz zu kritisieren, denn ich halte das für unfair.“ Selenskyj hatte Scholz zuletzt unter anderem dafür kritisiert, gegen seinen Willen mit Russlands Präsident Wladimir Putin telefoniert zu haben. Immer wieder äußerte er auch öffentlich Unverständnis für das Nein des Kanzlers zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.

Rutte betonte dabei, dass er sich nicht in den laufenden deutschen Wahlkampf einmischen wolle. „Ich ergreife keine Partei, da ich sowohl mit Olaf Scholz als auch mit Friedrich Merz (CDU) arbeiten kann“, sagte der frühere niederländische Regierungschef. Wichtig sei, dass Deutschland wisse, dass bei der Ukraine-Politik die eigenen Werte und die kollektive Sicherheit auf dem Spiel stünden. „Falls die Ukraine verlieren würde, müssten wir viel, viel mehr für Verteidigung ausgeben, um der russischen Bedrohung etwas entgegenzusetzen“, ergänzte er.

Rutte: Konflikt in der Ukraine wird Problem für USA

Ähnlich argumentiert Rutte nach eigenen Angaben auch im Austausch mit Trump, dem in Europa zugetraut wird, die militärische Unterstützung der Ukraine herunterzufahren – auch wenn dies bedeuten würde, dass sich Russland am Ende als Sieger des Krieges darstellen kann. „Mein Argument ihm gegenüber, und allgemein, ist, dass der Konflikt in der Ukraine ein Problem für die USA wird“, sagte er. Man sehe Russlands Verbindungen zu Nordkorea, dem Iran und China, und durch die Zusammenarbeit dieser vier Akteure werde der gesamte Konflikt auch zu einer Bedrohung für die USA.

Konsequenz daraus muss es nach Ansicht Ruttes sein, die Ukraine vor möglichen Verhandlungen noch einmal erheblich aufzurüsten. „Wir müssen sicherstellen, dass die Ukraine, die sich derzeit in einer schwierigen Lage befindet, in eine starke Position kommt“, sagte er. „Deshalb müssen wir dringend sicherstellen, dass wir zusätzliche militärische Unterstützung für die Ukraine bereitstellen.“ Bis dahin werde er auch nicht über mögliche europäische Friedenstruppen für eine Absicherung eines Waffenstillstandes spekulieren.