EM 2024: „Die Uefa sollte Demiral bestrafen und sperren“: Das schreiben deutsche Medien zum Wolfsgruß-Jubel

Der türkische Verteidiger Merih Demiral  bejubelt ein Tor gegen Österreich mit dem rechtsextremen Wolfsgruß. Deutsche Zeitungen kommentieren die Geste und die Debatte um Demiral.

Der Torjubel eines türkischen Fußballspielers bei der Europameisterschaft in Deutschland sorgt für diplomatische Verstimmungen zwischen Berlin und Ankara. Nach Kritik aus der Bundesregierung an der umstrittenen Wolfsgruß-Geste des Verteidigers Merih Demiral im Achtelfinale gegen Österreich hat die Türkei am Mittwoch den deutschen Botschafter einbestellt. Das bestätigte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin der Nachrichtenagentur AFP. Sie kündigte zudem an, der Vorfall werde am Donnerstag mit dem türkischen Botschafter „thematisiert“, nannte aber keine Einzelheiten.

Und auch zahlreiche Medien beschäftigen sich mit der Geste des Fußballers:

Allgemeine Zeitung

„Wie ein Schatten legt sich Demirals Wolfsjubel über diese Europameisterschaft. Es ist nicht der einzige Vorfall rechtsextremistischer Propaganda bei dieser EM – und wird vermutlich auch nicht der letzte bleiben. Rassismus und Rechtsextremismus sind in der europäischen Fußballkultur fest verankert.   (…)  Es ist tragisch, dass diese EM, die in einem solchen Maße Vielfalt und Toleranz demonstriert wie kaum ein anderes internationales Turnier in den letzten Jahren, durch Randgruppierungen und Individuen für ihre rechten Ideologien instrumentalisiert wird – doch es gehört zur traurigen Realität dazu. Die EM rückt Rechtsextremismus vor einem Weltpublikum ins Rampenlicht – wenn auch ungewollt.“Rangnick – Arnautovic 16.11

Frankfurter Rundschau

„Es ist das Mindeste, dass der europäische Fußballverband Uefa ein Untersuchungsverfahren gegen Merih Demiral eingeleitet hat, nachdem er im EM-Achtelfinale seiner türkischen Nationalmannschaft in Leipzig den ‚Wolfsgruß‚ der rechtsextremen und gewaltverherrlichenden ‚Grauen Wölfe‘ gezeigt hat. Doch Demiral war nicht der Einzige. Bereits bei den Vorrundenspielen der türkischen Mannschaft in Dortmund und Hamburg hatten etliche türkische Fans die Symbole der ‚Grauen Wölfe‘ gezeigt, deren Zeichen in Österreich seit 2019 verboten sind. In Frankreich hatte der Ministerrat die Auflösung der ‚Grauen Wölfe‘ 2020 angeordnet. Am kommenden Samstag spielt die türkische Nationalmannschaft im EM-Viertelfinale gegen die Niederlande. Der Austragungsort ist das Olympiastadion in Berlin, wo die größte türkischstämmige Gemeinde Deutschlands lebt. Dieses Spiel sollte auch ein Anlass sein, um ein Zeichen zu setzen. Gegen die ‚Grauen Wölfe‘.“EM 2024 kompakt Fußball 23.20

Leipziger Volkszeitung

„Was für ein schändlicher Moment, der alle Freude über den sportlichen Erfolg in den Schatten stellt: Der türkische Doppeltorschütze Merih Demiral zeigte im Jubel den Wolfsgruß. Das Handzeichen ist ein Erkennungssymbol türkischer Rechtsextremer, es steht für Vertreibung, Gewalt und Rassismus. Die Uefa sollte Demiral bestrafen und für die nächsten Spiele des Turniers sperren. Bedenklicher als der Wolfsgruß auf dem Platz ist aber, dass dieses Handzeichen auch bei deutsch-türkischen Fanfeiern und den teilweise ausufernden Autokorsos immer wieder gezeigt wird. Wenn es in deutschen Städten keinen Raum für Rechtsextremismus geben soll, dann muss das auch für die Erkennungszeichen türkischer Faschisten gelten.“

Der Spiegel

„Man kann sich bei Fußballern eine gewisse politische Überzeugung wünschen, aber auch hier gilt: Sie lässt sich nicht erzwingen. Fußballer sind genauso links und rechts, unpolitisch und politisch, eloquent und maulfaul, nationalistisch und weltoffen, reflektiert und oberflächlich, wie es andere Menschen in der Gesellschaft sind. Und manchmal leider auch rassistisch und rechtsextrem. Das ist bis zu einer bestimmten Grenze auszuhalten. Was die Geste von Demiral angeht: Sie überschreitet diese Grenze.“Wolfsgruß Kommentar 13.39

Stuttgarter Zeitung

„Die Zeiten, als der britische Schriftsteller George Orwell zum Schluss kam, Länderspiele seien so etwas wie ‚war minus shooting‘ (Krieg ohne Schüsse) sind zum Glück lange vorbei – doch der Furor hat in manchen Köpfen überlebt. Darüber kann auch die Sehnsucht nach einem zweiten Sommermärchen nicht hinwegtäuschen. Doch die Mehrheit der friedlichen Fans, die sich einfach nur am Sport erfreuen wollen, die Spannung des Spiels genießen und Tore  bejubeln, haben ein Anrecht darauf, dass Leute wie Merih Demiral und seine Anhänger die rote Karte gezeigt bekommen.“

Süddeutsche Zeitung

„Merih Demiral hätte für seine Geste keine größere Bühne finden können. Eine, auf die alle in der Türkei schauen, lagerübergreifend. Gegen Mitternacht türkischer Zeit, als das türkische Team gewonnen hatte, jubelten nicht nur Nationalisten. Das ganze Land gab sich euphorisch, und die besonders Euphorischen stahlen den anderen noch stundenlang mit Hupkonzerten den Schlaf. Der Fußball verbindet selbst die sonst so zerstrittene Türkei, unpolitisch allerdings ist der Sport nicht.“

Südkurier

„Fußballrechtlich darf es im Fall Demiral nur eine Folge geben: eine Sperre für die restliche EM. Denn vergleichbare Fälle gibt es genug: Der Kroate Josip Simunic wurde 2013 für die Verwendung des Grußes der faschistischen Ustascha für zehn Spiele gesperrt. Der Franzose Nicolas Anelka 2014 für den Quenelle-Gruß, eine Art umgekehrter Hitlergruß, für fünf Spiele. Und just in der Vorrunde wurde ein albanischer Spieler für serbenfeindliche Gesänge gesperrt. Demirals Graue-Wölfe-Aktion steht dem in nichts nach. Einen Bärendienst erweist Demiral all jenen Deutsch-Türken, die zwar ekstatisch, aber völlig friedlich die Erfolge ihres Heimatlandes feiern. Auf sie darf nun kein Nationalismus-Generalverdacht fallen. Selbstverständlich ist aber, dass gerade in Deutschland kein einziger Auswuchs des Rechtsextremismus ungestraft bleiben darf, sei es deutscher oder ausländischer. Es ist nur zu hoffen, dass die entsprechenden Aussagen der Politik zum Wolfsgruß-Verbot keine Lippenbekenntnisse bleiben.“