Fußball-EM: Wolfsgruß-Wirbel überschattet türkisches Fußballfest

Der sportliche Erfolg? Fast eine Randnotiz. Die Folgen des Torjubels von Demiral und der auch politisch motivierte Besuch von Erdogan bestimmen die Schlagzeilen vor dem Duell gegen die Niederlande.

Die riesige türkische Gemeinde in Berlin hofft auf ein Fußballfest, das Überraschungsteam auf den größten Erfolg seit 16 Jahren – doch die Wolfsgruß-Debatte wirft einen tiefen Schatten auf den Sport. Der spontane Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die drohende Sperre für Merih Demiral und ein brisanter Aufruf der türkischen Ultras heizen das laut Polizei „Nonplusultra-Hochrisikospiel“ im EM-Viertelfinale am Samstag (21.00 Uhr/RTL und MagentaTV) zwischen der Türkei und den Niederlanden zusätzlich an. 

Statt des phänomenalen Abschneidens des türkischen Teams um Kapitän Hakan Calhanoglu oder der Vorfreude unter den rund 200.000 in Berlin lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln, dominiert die politische Debatte in der Öffentlichkeit. Das sei „wirklich sehr bedauerlich“, sagte Vorstandssprecher Safter Çinar vom Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg (TBB) der Deutschen Presse-Agentur. Er kritisierte deswegen auch Demiral: „Was der Junge gemacht hat, ist natürlich Unsinn, der wird auch sicherlich sanktioniert.“ 

Zeitung vermeldet harte Strafe für Demiral

Laut „Bild“ kassiert der Abwehrspieler von der UEFA eine Zwei-Spiele-Sperre und fehlt dem Team gegen die Niederlande und in einem möglichen Halbfinale. Der türkische Verband nannte dies eine Falschmeldung, da noch Unterlagen zur Verteidigung eingereicht werden konnten. Mit einem offiziellen Urteilsspruch ist im Laufe des Tages zu rechnen. 

Der 26 Jahre alte Demiral hatte beim 2:1 im Achtelfinale gegen Österreich nach seinem zweiten Tor in Leipzig mit beiden Händen das Handzeichen und Symbol der „Grauen Wölfe“ geformt und damit für viel Empörung gesorgt. Als „Graue Wölfe“ werden die Anhänger der rechtsextremistischen „Ülkücü-Bewegung“ bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Ultras fordern Fans zum Wolfsgruß auf

Das türkische Außenministerium hatte allein schon die UEFA-Untersuchung gegen Demiral als inakzeptabel bezeichnet. Nicht jede Person, die das Zeichen der Grauen Wölfe zeige, könne als rechtsextremistisch bezeichnet werden. Ähnlich argumentieren nun türkische Fußball-Ultras, die auf der Plattform X die Fans im Berliner Olympiastadion zum Zeigen des Wolfsgrußes während der Nationalhymne aufgefordert haben. 

Die Augen werden dann auch auf Erdogan gerichtet sein, der seine geplante Reise nach Aserbaidschan eigens für den EM-Besuch abgesagt hat. Berichten zufolge ist dies auch eine Reaktion auf die Debatte in Deutschland, in der ein Verbot der „Grauen Wölfe“ gefordert wurde. Ein Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist nach Angaben aus dem Kanzleramt nicht geplant.

Polizei ist gewappnet

Der Erdogan-Besuch ändere wenig am Polizei-Aufkommen, sagte Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin: „Wir rufen eh schon alles in den Dienst, was laufen kann.“ Das Viertelfinale nannte er ein „Nonplusultra-Hochrisikospiel“, rund 3000 Beamte dürften im Einsatz sein.

Bei einem Sieg werden die Fans des von Vincenzo Montella trainierten Teams wieder zu Tausenden den Breitscheidplatz, den Ku’damm sowie große Straßen in Kreuzberg und Neukölln stürmen und den ersten EM-Halbfinaleinzug seit 2008 mit Hupkonzerten und Feuerwerk feiern. In Berlin sei die Unterstützung „noch eine Nummer größer“, sagte Kapitän Calhanoglu. Er könne die vielen Deutschtürken im EM-Gastgeberland sehr gut verstehen, „weil ich selbst hier geboren und aufgewachsen bin“.

Türkisches Heimspiel oder Oranje-Party?

Schon beim Länderspiel im vergangenen November gegen Deutschland (3:2) hatten türkische Fans im Olympiastadion eine Heimspiel-Atmosphäre verbreitet. „Hoffentlich gewinnen wir wieder und machen unsere Leute und unser Land glücklich. Das ist unser größter Traum“, sagte Calhanoglu, der nach abgesessener Gelbsperre ins Team zurückkehrt.

Auch die Niederlande werden mit tausenden feierfreudigen Fans in Berlin erwartet. Nach dem dominanten Auftritt im Achtelfinale gegen Rumänien (3:0) wollen Cody Gakpo, Xavi Simons und Co. dafür sorgen, dass sich die Oranje-Party in Deutschland fortsetzt. „Solche Leistungen brauchen wir, um eine Chance zu haben, weiterzukommen“, sagte Trainer Ronald Koeman, der beim EM-Titel 1988 in Deutschland als Spieler dabei war.