Rückkehr zu früheren Stärken und nicht selten langweilig provokant: Der Rapper Eminem hat eigentlich nichts Frisches zu erzählen, das aber macht er ganz gut.
Slim Shady hat es nicht leicht. Er dachte schon, er könne sich zur Ruhe setzen. Auf einer Privatinsel, auf der für immer circa das Jahr 2000 ist. Dort in Frieden MTV und Discovery Channel schauen und seinen Lebensabend genießen. Vielleicht ab und zu eine Schildkröte beschimpfen. Oder eine Möwe. An Sonntagen bisschen vandalieren. In einer Kirche vielleicht. Entspannen.
Aber nein, stattdessen wird er von seinem Alter Ego Eminem für dessen neues Album in die Gegenwart zitiert. Er klettert durch ein Portal, blickt nach rechts und nach links, sieht Selfiesticks sowie einen Typen mit einem Virtual-Reality-Headset und sein ganzer hart erarbeiteter Seelenfrieden ist hin. Er ist auf Ärger aus.
Eminem kehrt zu frühen Stärken zurück
„The Death of Slim Shady (Coup de Grâce)“ ist Eminems 12. Studioalbum, und seine Kernfangemeinde wird sehr glücklich damit sein: Es ist eine Rückkehr zu Eminems frühen Stärken. Natürlich hat der Sound sich verändert, aber der Spirit ist vintage. Das Album klingt eher wie eine direkte Weiterentwicklung von „The Eminem Show“ als eine Fortsetzung der Alben der Jahrzehnte dazwischen. Technisch ist Marshall nicht eingerostet. Wenn man beim ersten Hören des Albums auf „Brand New Dance“ stößt, könnte man denken, es sei ein Track aus den frühen 2000er Alben. (Anscheinend schrieb er es für „Encore“, strich es aber nach Christopher Reeves‘ Tod.)
Eminem 07.23
Im Video zu „Houdini“ versucht der Eminem der Gegenwart, Slim Shady aufzuhalten, bevor er „gecancelt“ wird. Stattdessen verschmelzen die beiden zu einem Über-Eminem-Shady, der bereit ist, die Welt ins Chaos zu stürzen. Dabei infiziert er sich leider mit dem, was man die Chapelle-Krankheit nennen könnte.
„Jesus is gay“ zu schreien findet niemand mehr provokant
Dave Chappelle ist für viele einer der größten Komiker seiner Generation. Seine Witze sind – ähnlich wie Shadys Lyrics – auf Provokation ausgerichtet. Nun haben sich die Zielgruppen der Provokation über die letzten 24 Jahre geändert. Niemand findet es mehr provokant, „JESUS IS GAY“ zu schreien, aber Chappelle will provozieren, also macht er Witze über das, worüber sich die Leute am meisten aufregen: die LGBTQ-Community (oder was Chappelle sich darunter vorstellt). Dies erzeugt einen endlosen Kreislauf.
Chappelle macht einen Witz über Transmenschen, alle regen sich auf, Chappelle regt sich darüber auf, dass alle sich aufregen, und macht aus Prinzip noch mehr Witze über Transmenschen, und nochmal von vorn. Das führt dazu, dass seine Shows inzwischen eher ein Privatkrieg sind: zwischen ihm und dem, was er sich als LGBTQ-Community vorstellt. Für alle anderen ist das ein bisschen öde. Es gibt eine begrenzte Anzahl von Witzen, die man über das immer gleiche Thema machen kann, bis sich alle zu Tode langweilen. Und darin liegt auch die größte Schwäche von „The Death of Slim Shady“.
Wenn Slim Shady, sei es als satirische Figur oder nicht, ungefähr hundertmal Caitlyn Jenner und ihre Genitalien erwähnt, ist das ein wenig öde. Darin ist das Album eher eine Erinnerung an eine Provokation als wirklich provokant. So wie Slim Shady auch nicht wirklich stirbt, sondern nur mit seinem Schöpfer verschmilzt wie eine leckere Käseecke mit einer anderen. Ein nahezu buddhistisches Ende. Guten Appetit.