Karlsruhe-Entscheidung: Wahlrecht teilweise verfassungswidrig – was das für die Bundestagswahl 2025 bedeutet

Die Verfassungsrichter haben Teile der Wahlrechtsreform der Ampel beanstandet. Trotzdem zeigen sich SPD, Grüne und FDP erleichtert. Woran das liegt.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Wahlrechtsreform der Ampel am Dienstag in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Gleichzeitig aber haben die acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats einen Weg vorgegeben, der SPD, Grüne und FDP nicht in allzu große Nöte stürzt – und Klarheit für die im kommenden Jahr anstehende Bundestagswahl gibt.

Die grundsätzliche Neuregelung der Ampel, die zu einer Begrenzung der Größe des Bundestags führt, ist rechtens, so die Entscheidung des Gerichts. Der Bundestag war in den vergangenen Jahren immer größer und damit auch teurer geworden. Die Ampel-Reform begrenzt die Sitze im Bundestag nun auf 630, etwa hundert weniger als derzeit. Dazu bekommt die Zweitstimme auf dem Wahlzettel, mit welchem die Landesliste der Partei gewählt wird, in Zukunft größeres Gewicht. Die bisherigen sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandate entfallen. 

In der Praxis kann dies künftig dazu führen, dass ein Kandidat nicht in den Bundestag einzieht, obwohl er die Mehrheit der Stimmen in seinem Wahlkreis bekommt. Vor allem die CSU hatte dagegen geklagt, doch ist die Regelung laut den Richterinnen und Richtern mit der Verfassung vereinbar. „Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat heute entschieden, dass das Zweitstimmendeckungsverfahren im neuen Bundeswahlgesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist“, erklärte Vizepräsidentin Doris König in Karlsruhe. 

Wahlrecht: „Herzstück der Reform bestätigt“

Das Gericht habe das „Herzstück der Wahlrechtsreform bestätigt“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle dem stern. „In der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestags bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz.“ Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion: „Der Kern ist bestätigt und die Reform ist mutig gewesen“, sagte Sebastian Hartmann dem stern. „Erstmalig in der Geschichte des Bundeswahlrechts gibt es eine feste Größe des Bundestages“. 

Kommentar 11.51

Allerdings haben SPD, Grüne und FDP im Zuge der Reform auch die sogenannte Grundmandatsklausel abgeschafft. Diese besagt, dass eine Partei unter einer bestimmten Bedingung auch dann in den Bundestag einziehen darf, wenn sie es nicht über die Fünfprozent-Hürde schafft. Nämlich dann, wenn sie mindestens drei Wahlkreise direkt gewinnt. Die Fünfprozent-Sperrklausel auf diese Art abzuändern verstoße „derzeit gegen den Grundsatz der Wahlgleichheit und den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien“, erklärte Richterin König. 

Keine Neuregelung noch vor der Wahl nötig

In Verzweiflung stürzt das die Ampel nicht. Denn das Gericht hat denkbar praktisch geurteilt. Das Urteil sieht nicht vor, dass das Parlament noch vor der kommenden Wahl eine Neuregelung finden muss. Das hätte zeitlich knapp werden können, schließlich findet die Bundestagswahl bereits im September kommenden Jahres statt. Das Gericht hat festgelegt, dass die Grundmandatsklausel so lange wieder eingesetzt ist, bis der Gesetzgeber das Recht ändert. 

Stand jetzt gilt für die kommende Bundestagswahl im September 2025 also: 

Jeder Wähler hat wie bislang zwei Stimmen, die Erststimme für die Wahl eines Wahlkreiskandidaten, die Zweitstimme für die Landesliste einer ParteiDie Größe des Bundestags ist begrenzt auf 630 SitzeDiese Begrenzung bedeutet auch, dass es zu Situationen kommen kann, in welchen ein Kandidat nicht in den Bundestag einzieht, obwohl er in seinem Wahlkreis die meisten Stimmen gewinnen konnteDie Fünfprozent-Hürde gilt weiterhin mit der Ausnahme der Grundmandatsklausel: Gewinnt eine Partei mindestens drei Wahlkreise, zieht sie in den Bundestag ein, auch wenn sie insgesamt auf weniger als fünf Prozent der Stimmen kommt 

Grüne: „Von Schnellschüssen vor der nächsten Wahl raten wir ab“

Zumindest mittelfristig aber muss sich der Gesetzgeber noch einmal mit dem Thema beschäftigen. Das Thema Grundmandatsklausel sollte man sich nun in Ruhe anschauen, sagte Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. „Von Schnellschüssen vor der nächsten Bundestagswahl raten wir ab.“

Möglich wäre, dass das Parlament sich dazu entscheidet, die Grundmandatsklausel wieder einzusetzen. Theoretisch könnte der Gesetzgeber aber auch einen anderen Weg gehen, um dem Urteil des Gerichts zu entsprechen. Beispielsweise könnte die Fünfprozent-Hürde abgesenkt werden, etwa auf drei oder vier Prozent. Dies gilt allerdings als eher unwahrscheinlich. 

Alternativ könnte der Bundestag auch eine Regelung finden, die die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und der kleinen Schwester CSU, die nur in Bayern antritt, auf besondere Weise berücksichtigt. Die Urteilsbegründung des Gerichts war besonders auf diesen Aspekt zugeschnitten, und betonte „eine auf Dauer angelegte enge Kooperation der beiden Parteien“, welche das Recht berücksichtigen müsse. 

Nicht nur bei der Ampel, auch bei Linkspartei und CSU, die gegen die Reform geklagt hatten, sorgt das Urteil für Erleichterung. Die Linkspartei konnte bei der vergangenen Bundestagswahl nur durch die Ausnahmeregelung der Grundmandatsklausel in den Bundestag einziehen. Die CSU kam bei der Wahl 2021 bundesweit gerechnet auf 5,2 Prozent der Stimmen, und damit nur denkbar knapp über die Fünfprozent-Hürde. Sollte sie diese bei der nächsten Wahl reißen, wäre auch sie auf die – nun durch das Gericht wieder eingesetzte – Grundmandatsklausel angewiesen.