Wolfgang Maaß entwickelt mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz Doping-Modelle, die herkömmliche Methoden in den Schatten stellen könnten. Eigentlich hätten sie schon in Paris zum Einsatz kommen können.
Höher, schneller, weiter: Es hat nicht lange gedauert, da wurden die ersten Rekorde gebrochen. Die spektakulären Höchstleistungen bei den Olympischen Spielen lassen jedoch nicht alle Zuschauer staunen. Viele fragen sich: Wie sauber sind die Wettkämpfe wirklich? Und wie gut die Methoden der Dopingfahnder? Der Wirtschaftsinformatiker Wolfgang Maaß arbeitet mit seinem Team daran, Dopingverstöße mit selbstlernenden Computersystemen schneller und einfacher zu entlarven.
Herr Maaß, wie kommt ein Wirtschaftsinformatiker dazu, Dopinganalysen zu entwickeln?
Ich weiß, das klingt merkwürdig. Vor allem, weil ich von Biochemie tatsächlich wenig Ahnung habe. Genau das ist aber gar nicht unbedingt notwendig. Ob eine Künstliche Intelligenz Muster in Blutwerten erkennt oder auf Supermarkt-Bestelllisten ist erst einmal gar kein so großer Unterschied.
Sie haben schon früh an smarten Produkten geforscht. Hat das geholfen?
Absolut. Anfang der 2000 Jahre habe ich an der Universität St. Gallen mit sogenannten RFID-Tags begonnen, diese Etiketten mit Barcodes, die man auf Produkte aufklebt. Irgendwann wollten wir die Technik nutzen, um auch Menschen auszulesen, ihren Puls, ihre Temperatur oder andere Biomarker. Also haben wir Smartwatches entwickelt, lange bevor Apple damit begonnen hat. Weil ich hier am Standort in Saarbrücken viele Leistungssportler kenne, habe ich mich vor einigen Jahren schließlich gefragt, ob man Künstliche Intelligenz nicht auch für die Dopingfahndung nutzen könnte.
Mittlerweile dürfen Sie Ihre Ideen für die WADA, die Weltdopingagentur, entwickeln. Worum geht es dabei?
Angefangen haben wir mit dem KI-Nachweis von EPO, dem Doping mit dem Hormon Erythropoetin. 2016 habe ich dafür das erste Mal Kontakt mit der WADA in Lausanne aufgenommen. Ein Jahr später durften in einer Nacht- und Nebelaktion zwei Leute von uns nach Lausanne kommen, um vor Ort zu zeigen, was eine KI mit einem kleinen anonymisierten EPO-Datensatz der WADA leisten kann. In zwei Tagen haben meine Mitarbeiter die Rechner aufgesetzt, Software installiert, und Algorithmen entwickelt. Mit dem Ergebnis hatten die Verantwortlichen nicht gerechnet. In wenigen Stunden hatten wir eine KI programmiert, die es mit ihren Methoden aufnehmen konnte.
Seit Ende der 80er Jahre wird Erythropoetin als Dopingmittel eingesetzt. Das körpereigene Hormon soll dafür sorgen, dass mehr Sauerstoff in die Muskeln gelangt, um so die Leistung eines Sportlers zu erhöhen. Es gibt unterschiedliche Tests, um genetisch hergestelltes oder rekombinantes EPO nachzuweisen, trotzdem stehen die Nachweismethoden immer wieder in der Kritik. Woran liegt das?
Da kommt viel zusammen. Neben dem im Körper produzierten Hormon gibt es eine Vielzahl von EPO-Präparaten am Markt, welche nicht durch eine einzige Methode mit ausreichender Nachweiskraft bestimmt werden können. Das größte Problem aber ist, dass sich die statistischen Methoden der Dopingfahnder an den einzelnen Sportlern und Sportlerinnen orientieren. Das macht sie fehleranfällig.
Olympia Paris Eröffnungsfeier 2.37
Das müssen Sie erklären.
Man vergleicht die Informationen aus neuen Proben immer mit den schon bekannten Daten des Sportlers oder der Sportlerin. Was aber, wenn er oder sie schon früh angefangen haben zu manipulieren?
Dann haben sie keine verlässliche Basis mehr.
Genau, die Fahnder schauen die Werte eines gedopten Sportlers an und finden nichts Auffälliges.
Was macht die KI anders?
Unsere KI-Modelle nutzen die Daten aller Sportler und Sportlerinnen, die uns mittlerweile zur Verfügung stehen. In all diesen Werten und Biomarkern, die routinemäßig bei jeder Probe erfasst werden, suchen sie nach Zusammenhängen, Mustern und Abweichungen, die auf Doping hindeuten können. Den eigentlichen Betrug nachzuweisen, ist dann Aufgabe von den Biochemikern.
Wie gut klappt das?
Wir sehen eine Genauigkeit von über 90 Prozent. Wir könnten sogar noch mehr potenzielle Dopingsünder ausfindig machen, dann müssten wir jedoch in Kauf nehmen, dass der Algorithmus immer mal wieder auch bei Proben anschlagen würde, die nicht auf Doping beruhen. Weil wir das unbedingt vermeiden wollen, nehmen wir Abstriche bei der Genauigkeit in Kauf.
Sie arbeiten nicht nur an EPO. Wofür nutzen Sie die KI noch?
Vor etwa fünf Jahren habe ich die Kollegen der WADA gefragt: Was würde Euch sonst noch wirklich helfen? So kamen wir zu dem Problem der vertauschten Urinproben. 2014 bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi wurden viele Dutzend schmutzige Urinproben russischer Sportler und Sportlerinnen durch saubere ausgetauscht. Der McLaren Report hat das von Russland betriebene Staatsdoping später aufgedeckt und publik gemacht. So ein Urinaustausch ist aber nicht nur ein Problem von Sotschi oder von bestimmten Sportarten. Die Gruppe von Mario Thevis an Sporthochschule Köln war die erste weltweit, die eine Methodik entwickelt hat, wie man den Austausch von Proben biochemisch erkennen könnte. Wir haben dann versucht, mit diesem Wissen einen Algorithmus zu kreieren.
Wie haben die Kollegen darauf reagiert?
Sie haben die Hände über den Köpfen zusammengeschlagen und gesagt, das klappt nie. Aber es hat funktioniert.
Der Austausch einer Probe ist doch aber eine andere Fragestellung als bei Doping. Welche Daten brauchen Sie für vertauschte Urinproben?
Das stimmt. In diesem Fall ist es eher eine forensische Aufgabenstellung. Unser Algorithmus vergleicht die Steroidwerte von je drei Urinproben eines Sportlers, das sind insgesamt elf verschiedene Biomarker. Mit diesen Informationen versucht er herauszufinden, ob eine Probe von ihrem Profil her nicht zu anderen passt.
Das erinnert mich an die Rätselbücher meiner Tochter im Kindergarten, in der man immer die Form finden muss, die nicht in die Reihe gehört.
Das ist das gleiche Prinzip.
Es gibt doch aber kaum nachgewiesene Fälle von vertauschten Proben, womit trainiert man den Algorithmus?
Stimmt, wir haben nicht genügend positive Fälle zum Füttern der KI. Deswegen nehmen wir reguläre Probenreihen von einem Athleten und tauschen eine aus.
Wären Ihre Methoden schon jetzt einsatzbereit?
Absolut. Ich war eigentlich auch davon ausgegangen, dass man sie in Paris schon einsetzt.
Warum glauben Sie ist das nicht passiert?
Das müssen Sie die Verantwortlichen fragen. Ich weiß es nicht. Aber die WADA ist eine große Organisation, da dauert es oft quälend lange, bis Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden. Im Sinne eines fairen Sports ist es für mich jedoch nicht wirklich nachvollziehbar, warum man das nicht schneller in die Anwendung bringt. Spätestens bei den nächsten Winterspielen kommen unsere KIs dann hoffentlich zum Einsatz.
STERN PAID Doping Fitnessstudio19.45
Eine Frage des Geldes ist es wahrscheinlich eher nicht, oder?
Nein, die WADA ist zwar chronisch klamm, weil sie unterfinanziert ist. Aber unsere Technik kostet fast nichts. Die Daten sind da, die Algorithmen sind da. Das Einzige, was man braucht, sind Rechner. Wir finanzieren unsere Arbeit selbst und machen das an unserem Lehrstuhl nebenher. Für mich ist das ein absolutes Negativgeschäft. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Druck auf die WADA, ihre Nachweismethoden zu verbessern, nicht gerade groß ist.
Wie meinen Sie das?
Wer hat denn wirklich Interesse daran, dass Dopingsünder auffliegen? Die betroffenen Sportverbände nicht, die Sportler, die dopen, nicht, die Politik nicht, die Sponsoren nicht, also die ganze Wirtschaft hinter dieser Sportindustrie nicht. Niemand möchte, dass zu viel hochkommt. Die großen Nationen wollen Goldmedaillen. In dieses Ziel werden gigantische Summen gepumpt.
Überraschen Sie die Doping-Vorwürfe um das chinesische Schwimmteam und der Umgang damit?
Es überrascht mich leider nicht, dass immer wieder einzelne Verdachtsfälle ans Licht kommen. Nach wie vor besteht eine hohe Intransparenz im Umgang mit solchen Fällen, was zu Vertrauensverlust in die Anti-Doping-Verfahren und letztendlich in den Sport insgesamt führt. Anti-Doping ist ein Kampf um Fairness, Glaubwürdigkeit und Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen.
Könnte man mit KI in der Dopinganalyse noch mehr erreichen?
Natürlich, das Schöne an KI ist, dass sich die Algorithmen relativ leicht an neue Fragestellungen anpassen lassen. Was es braucht, sind die Daten. Die Proben der Sportler, die Informationen über ihren Stoffwechsel und ihren Lebensstil. Dann könnte man noch viel mehr herausfinden und dafür sorgen, dass sportliche Wettkämpfe sauber und fair bleiben. Aber das muss man eben auch wollen.