Geschlechtsdebatte bei Olympia: Intersexualität: Ist eine eigene Startklasse im Sport denkbar?

Mann, Frau, divers: Intersexualität darf im Sport nicht zum Ausschluss von Athlet:innen führen. Sinnvoll wäre eine Kategorie für Intersexualität.

Mann, Frau oder divers? Schon seit langem bewegt die Frage nach dem Geschlecht auch den Leistungssport. Insbesondere bei Frauen-Wettbewerben in der Leichtathletik oder in den Kampfsportarten, weil bekannt ist, dass das männliche Geschlechtshormon Testosteron sich positiv auf Kraft, Muskelmasse und Schnelligkeit auswirkt. Dementsprechend wird bei Athlet:innen ein Wettbewerbsvorteil vermutet, die besonders viel davon im Blut haben. Etwa, weil sie auf dem biologischen Spektrum zwischen Frau und Mann in Richtung männlich tendieren, was als intersexuell oder zwischengeschlechtlich bezeichnet wird (und nichts mit Transsexualität zu tun hat, dem Wechsel der Geschlechtsidentität). 

Die Diskussion um besonders „männlich“ wirkende Frauen bei Wettkämpfen ist fast 90 Jahre alt: Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin startete die burschikos wirkende Dora Ratjen als eine der besten Hochspringerinnen der Welt und holte den vierten Platz, 1938 gelangen ihr in Wien bei den Europameisterschaften mehrere Weltrekorde. Aufgrund von Zweifeln an ihrem Geschlecht wurde Ratjen auf der Rückreise verhaftet und im Deutschland der NS-Zeit zwangsuntersucht. Sie wurde als zwischengeschlechtlich eingeordnet, musste den Vornamen ändern in „Heinrich“, die Weltrekorde wurden aberkannt und Ratjen von Frauenwettbewerben ausgeschlossen.

Intersexualität im Leistungssport: Demütigende Geschlechts-Tests

Seit den 1940er Jahren mussten sich Sportlerinnen danach bei vielen internationalen Wettbewerben, insbesondere in der Leichtathletik, Geschlechts-Tests unterziehen: Sie mussten sich nackt ausziehen, vor Ärzten auf und ab gehen oder sich gynäkologisch untersuchen lassen. Nach vielen Protesten von Athletinnen gegen diese demütigenden „nude parades“, also „nackten Paraden“, wurden sie in den 1960er Jahren durch einen Wangenabstrich mit Chromosomenanalyse ersetzt: Der sogenannte „Barr“-Test sollte eigentlich helfen, Frauen mit zwei X-Chromosomen (XX) eindeutig von vermeintlichen „Männern“ oder Intersexuellen mit männlichen XY-Chromosomen zu unterscheiden. 

Doch der Test versagte oft: Menschen mit Klinefelter-Syndrom, einer XXY-Chromosonen-Auffälligkeit, wurden als „Frauen“ eingestuft, Menschen mit Turner-Syndrom, die nur ein X, aber kein Y besitzen, als „Männer“ einsortiert. Viele Formen von Intersexualität, die weniger mit Chromosomen zu tun haben als mit erhöhter Testosteronproduktion im Körper oder einer „Resistenz“ gegen das Geschlechtshormon, erkannte der Test gar nicht. Später wechselten die Sportverbände auf eine andere DNA-Untersuchung.

Neue Probleme durch Testosteronanalysen 

Heute wird in erster Linie das Geschlechtshormon Testosteron im Blut analysiert. Doch diese Testosteron-Tests haben schon wieder neue Probleme geschaffen, wie der würdelose Umgang mit der südafrikanischen Spitzenläuferin und Olympiasiegerin Caster Semenya illustriert. 2009 gewann sie bei der Leichtathletik-WM in Berlin 2009 die Goldmedaille – und musste sich danach – mit gerade 18 Jahren – öffentlichen Diskussionen um ihre hohen Testosteronwerte, Zweifeln an ihrem weiblichen Geschlecht und wilden Spekulationen über ihre Geschlechtsorgane stellen. Inzwischen ist aus Berichten und Interviews von Semenya selbst bekannt, dass sie einen männlichen XY-Chromosomensatz hat, ihr Körper also viel Testosteron produziert, aber aus genetischen Gründen weitgehend dagegen immun ist. Sie selbst sieht sich als Frau, medizinisch gilt sie als intersexuell. 

Inzwischen dürfen intersexuelle Menschen bei Leichtathletik-Wettbewerben und anderen Meisterschaften starten, müssen aber ihren Testosteronwert mit Medikamenten schon Monate vor dem Wettkampf senken. Eine Praxis, gegen die Caster Semenya weitgehend erfolglos klagte und die der Internationale Sportgerichtshof in einem bemerkenswerten Urteil als diskriminierend, aber notwendig für den Erhalt der Fairness im Frauensport bezeichnete. Seit 2019 galt bei den 400 Meter-Läufen der Frauen die Regel, dass nicht mehr als fünf Nanomol Testoron pro Liter Blut nachgewiesen werden dürfen. Inzwischen wurden die Grenzwerte noch weiter auf 2,5 Nanomol gesenkt und gelten für alle internationalen Leichtathletik-Wettbewerbe.

Langzeitwirkungen von Testosteronsenkern sind bei Intersexuellen wenig untersucht

Zum Vergleich: Bei Männern gelten zehn Nanomol und mehr als normal, bei Frauen weniger als drei. Ob die neuen Grenzwerte allerdings Frauen wie Caster Semenya gerecht werden, deren Körper kaum oder gar nicht auf Testosteron reagiert, bleibt fraglich. Zudem sind die Neben- und Langzeitwirkungen testosterensenkender Medikamente speziell bei intersexuellen Menschen kaum erforscht. Sportler:innen werden so im Moment zu Versuchskaninchen in einem Experiment mit unklarem Ausgang. Manche, wie Semenya, wehrten sich bereits gegen die Präparate, wurde dann aber von Wettkämpfen ausgeschlossen.

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Daher ist die Idee vieler Expert:innen zu begrüßen, künftig eine eigene Startkategorie für zwischengeschlechtliche Menschen zu etablieren, etwa in der Leichtathletik. Die Zeit wäre reif dafür: Wenn sich heute immer mehr Menschen outen, die sich nicht klar als Mann oder Frau definieren, sollte auch der Sport reagieren. Längst wird dort über diverse Geschlechtsidentitäten, gendersensible Umkleiden, Waschräume und Toiletten diskutiert. Warum also nicht auch darüber, wie sinnvoll die traditionelle binäre Einteilung in Mann und Frau bei Wettkämpfen heute noch ist. 

Der Welt-Leichtathletik-Verband IAAF erwog diese Idee bereits 2019 in seinem Regelwerk über Frauenwettkämpfe. Auch beim Weltsportverband denkt man über eine intersexuelle Startkategorie nach, im Sinne gleichberechtigter Teilnahme und sportlicher Fairness. Und gerade in der Leichtathletik erscheint es auch nicht abwegig, dafür ausreichend viele Teilnehmende zu finden – vorausgesetzt, die Athlet:innen selbst können sich damit anfreunden: Ein Foto der Siegerehrung nach den 800-Meter-Läufen der Olympiade in Rio zeigte 2016 die Silbermedaillengewinnerin Francine Niyonsaba aus Burundi, Caster Semenya mit Gold und Bronzemedaillistin Margaret Nyairera Wambui aus Kenia. Alle drei mit genetisch bedingt besonders hohen Testosteronwerten.