Turbulenzen am Aktienmarkt: Börsen-Tornado oder nur Gewitter? – Experten beschwichtigen

Nach dem weltweiten Kursrutsch zeigen sich die Kapitalmärkte wieder stabiler. Doch die Lage bleibt angespannt. Droht ein neuer Einbruch?

An den Aktienmärkten ist etwas Erleichterung spürbar: Der weltweite Kursrutsch infolge neuer Rezessionsängste setzt sich erst einmal nicht fort. So zeigte sich der japanische Aktienmarkt am Dienstag nach dem Einbruch zu Wochenbeginn deutlich erholt. Noch am Montag hatte der Nikkei 225 einen Kurseinbruch von mehr als zwölf Prozent erlitten. An den europäischen Börsen beruhigte sich die Lage ebenfalls. Der Eurostoxx 50 schloss wie der Dax nahezu unverändert. Beim deutschen Leitindex standen zu Handelsende 17.354,32 Punkte auf der Kurstafel, ein Plus von 0,09 Prozent.

Die US-Börsen machten nach Öffnung am Nachmittag deutscher Zeit Boden gut. Der Leitindex Dow Jones Industrial gewann 1,04 Prozent auf 39.105,76 Punkte. Für den marktbreiten S&P 500 ging es um 1,33 Prozent auf 5255,21 Punkte bergauf. Der Auswahlindex Nasdaq 100 legte um 1,20 Prozent auf 18.109,77 Zähler zu. Am spekulativen Markt für Kryptowährungen machte der Bitcoin einen Teil seiner herben Verluste vom Vortag wett.

Allerdings bleibt die Lage an den Kapitalmärkten schwierig; die Belastungsfaktoren sind vielfältig. Für die jüngste Talfahrt gibt es Experten zufolge mehrere Gründe. Neben enttäuschenden Geschäftszahlen großer US-Technologiekonzerne und der abnehmenden Begeisterung für Künstliche Intelligenz (KI) werden auch die Furcht vor einer Eskalation des Krieges im Nahen Osten sowie insbesondere die Geldpolitik der Notenbanken als Ursachen genannt.

Unterschiedliches Vorgehen in der Zinspolitik

Die großen Zentralbanken hatten in den vergangenen Jahren die Leitzinsen stark angehoben, um die hohe Inflation infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges in den Griff zu bekommen. Die Therapie war zwar wirksam, weil die Teuerung stark eingedämmt wurde, aber sie könnte aus Sicht von Experten über das Ziel hinausgeschossen sein – und die Wirtschaft möglicherweise jetzt zu hart treffen.

So wurden am Freitag in den USA überraschend schwache Konjunkturdaten vornehmlich vom Arbeitsmarkt veröffentlicht, die befürchten ließen, dass die US-Notenbank die Leitzinsen zu lange hoch hält. Die Sorge der Anleger ist, dass die hohen Zinsen Investitionen und Kredite so sehr verteuert haben, dass die Vereinigten Staaten als weltgrößte Volkswirtschaft in eine Rezession abgleiten könnten – mit entsprechend negativen Folgen für den Rest der Welt. Damit wetten Investoren bereits auf überraschende oder deutliche Zinssenkungen der Federal Reserve (Fed), um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Die japanische Notenbank (Bank of Japan) hingegen hatte ihre Leitzinsen jüngst überraschend erneut erhöht, auch um den Verfall der Landeswährung Yen zu stoppen. Dieses unterschiedliche Vorgehen von Fed und Bank of Japan ergab zusammen einen gefährlichen Cocktail für die Börsen, denn es wurden auf globaler Ebene in erheblichem Umfang spekulative Geschäfte an den Devisen- und Aktienmärkten aufgelöst.

„Sommergewitter“ oder „Tornado„?

Derartige Spekulationsgeschäfte sind in der Fachwelt unter dem Begriff „Carry Trades“ bekannt. „Ich denke, dass uns gerade die Carry Trades um die Ohren fliegen“, sagt Roman Przibylla, Investmentexperte beim Wertpapierhaus Maverix Securities. Als der Yen vor wenigen Wochen auf den niedrigsten Stand gegenüber dem US-Dollar seit 1986 gefallen war, hätten sich viele Investoren Geld im Niedrigzinsland Japan geliehen und in ein Hochzinsland wie die USA investiert.

Nun aber hat die Bank of Japan die Zinsen angehoben. Gleichzeitig, betont Przibylla, gab es die schwachen US-Wirtschaftsdaten, die für mögliche aggressive Zinssenkungen sprechen. Damit liefen die Spekulationen sowohl in Japan als auch in den USA in die – aus Sicht der Spekulanten – jeweils falsche Richtung, was riesige Löcher in die Portfolios vieler Investoren gerissen habe. Wenn diese Trades Verluste verursachen, müssen dem Experten zufolge Vermögenswerte wie Aktien verkauft werden. Die Verkaufswelle war einer der Auslöser für den Kursrutsch an den Börsen.

Zu große Sorgen allerdings sollte die Auflösung der „Carry Trades“ Przibylla zufolge nicht bereiten: „Die aktuellen Verwerfungen deuten eher darauf hin, dass wir es momentan nur mit einem Sommergewitter und nicht mit einem Tornado zu tun haben.“ Umwälzungen dieser Art dauerten normalerweise mehrere Tage an und sorgten für erhöhte Schwankungen am Aktienmarkt. Anleger können die niedrigeren Kurse nutzen, um bei Aktien hoher Qualität neu einzusteigen oder nachzukaufen.

Risiken durch geopolitische Entwicklungen

Zudem bezweifeln Fachleute, dass die USA wirklich in eine Rezession abgleiten könnten. Die jüngst aufgekommenen Ängste seien übertrieben und es gebe keinen Grund zur Panik, zeigt sich etwa Robert Greil überzeugt, der Chefstratege der Privatbank Merck Finck: „Der Arbeitsmarktbericht für Juli mag auf ein nachlassendes Wachstumstempo hinweisen, war aber aus unserer Sicht auch durch einige Sondereffekte geprägt.“ Andere Indikatoren wie etwa der am Montag veröffentlichte Einkaufsmanagerindex des Institut for Supply Management für den US-Dienstleistungssektor hingegen zeigten sowohl in Sachen Beschäftigung als auch Auftragseingang klar positive Entwicklungen.

Gleichwohl sollten Anleger auch die geopolitischen Risiken weiter im Blick behalten. „Der Konflikt im Nahen Osten nach dem Anschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 belastet auch die Finanzmärkte mit einer hohen Unsicherheit“, mahnt Jan Viebig, Chefanlagestratege der Privatbank Oddo BHF. Die jüngsten Entwicklungen in der Region hätten die Risiken einer Ausweitung des Konflikts steigen lassen. Sollte sich der Iran offen an Kampfhandlungen gegen Israel beteiligen, dürfte dies auch an den Finanzmärkten schwere Verwerfungen zur Folge haben.