Die Misere der privaten Altersvorsorge in Deutschland gehört zu den großen sozialpolitischen Tabus. Lindners Idee, dass jeder bis zu einer bestimmten Grenze steuerfrei für den Ruhestand sparen kann, ist überzeugend – könnte aber leider scheitern.
Seit einigen Wochen schon geistert ein Plan durch die Hauptstadt, den es zumindest einmal kurz festzuhalten gilt – gleichsam als Zeugnis, dass es durchaus noch gute und sinnvolle Reformideen gibt, sogar in dieser oft und zurecht kritisierten Ampelkoalition. Das gilt umso mehr für den nicht unwahrscheinlichen Fall, dass es der Plan am Ende doch nicht durch Kabinett und Bundestag schafft. Die Rede ist vom Altersvorsorgedepot.
Seit vielen Jahren schon gehört die Misere der privaten Altersvorsorge in Deutschland zu den großen sozialpolitischen Tabus im Land. Alle wissen darum, aber niemand tut etwas. Allen voran die SPD, die offenbar nicht noch einmal – nach Einführung der Riester-Rente vor bald 25 Jahren – in den Ruf geraten möchte, sich zur Handlangerin der Finanzindustrie gemacht zu haben. Das Ergebnis sind Milliarden an staatlichen Subventionen, die jedes Jahr weiter in überteuerte Versicherungsprodukte fließen und rund 15 Millionen Riester-Verträge, von denen ein Großteil gar nicht mehr bespart wird – sie lohnen sich für viele Menschen einfach nicht.
Dieser Missstand ist seit vielen Jahren bekannt – aber geändert hat sich nichts. Seit einigen Wochen aber trägt insbesondere der FDP-Vorsitzende, der praktischerweise zugleich der zuständige Finanzminister ist, Christian Lindner, eine Idee zur Reform der privaten Altersvorsorge vor sich her, die so einfach und überzeugend ist, dass man sie in diesem überregulierten Land kaum glauben mag: Der Staat erlaubt ein Altersvorsorgedepot, in dem jede und jeder bis zu einer bestimmten Grenze steuerfrei für den späteren Ruhestand sparen kann. Wie genau, wäre jedem und jeder weitgehend selbst überlassen – ob mit einer Fondspolice, mit einer Versicherung, mit Einzelaktien oder ganz simpel mit einem passiven Indexfonds.
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Altersvorsorge: K401-Konto in den USA macht Aktiensparen leicht
Die USA haben so eine Lösung schon seit vielen Jahren mit dem berühmten K401-Konto. Dort beteiligt sich häufig auch der Arbeitgeber an den Einzahlungen. Man kann die sozialen Sicherungssysteme der USA mit guten Gründen kritisieren – das K401 gehört nicht dazu. Dass US-Amerikaner im Schnitt (!) über ein vielfach höheres Geldvermögen verfügen als wir Deutsche, liegt einerseits an einer Verzerrung durch den atemberaubenden Reichtum einiger weniger in den USA, zum anderen aber auch an der weit verbreiteten Altersvorsorge über die Börse – dank diesem Modell.
Nur in Deutschland erklären Politiker (vor allem aus der SPD) zu gern, sie legten ihr Geld am ehesten auf dem Sparbuch an, schließlich seien ihnen Spekulationen an der Börse zu riskant. Börse = Spekulation, so verläuft seit Jahren in Deutschland die Debatte über eine sinnvolle private Altersvorsorge – allen Erfahrungen in zig Ländern um uns herum zum Trotz. Eine solche Ignoranz muss man sich leisten können – kann man aber eigentlich nur, wenn die eigene Rente vom Steuerzahler kommt.
Die Pläne, die Lindner gerade ausarbeiten lässt und die er in diesen Wochen gerne hier und da erwähnt (es stehen schließlich Wahlen an), sind jedoch sinnvoll und überfällig: Rund 2100 Euro pro Jahr könnten Vorsorgesparer künftig in dem neuen steuerbefreiten Depot anlegen, Menschen mit geringeren Einkommen sollen wie bei Riester-Policen einen staatlichen Zuschuss beantragen können. Im Alter müssen dann die Auszahlungen versteuert werden.
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Für den kommenden September hat Lindner einen Gesetzentwurf angekündigt, und er tut zumindest so, als habe er dafür auch seine Koalitionspartner SPD und Grüne hinter sich. Das aber mag man kaum glauben: Denn neben der Ideologie sprechen aus Sicht mindestens der SPD wohl die zu erwartenden Steuerausfälle gegen den Plan – und sie wären auch kaum vereinbar mit Lindners eigenen Vorgaben in der Haushaltspolitik. Wohlweißlich vermeidet es Lindner, die Kosten seines Vorhabens zu beziffern.
Dabei wäre der Moment für einen breiteren Einstieg in die Aktienanlage nicht nur lange überfällig, er käme zu einem durchaus sinnvollen Zeitpunkt. Erstmals seit Jahren kündigte die Europäische Zentralbank in dieser Woche an, die Zinsen zu senken. Banken werden daher ihre zuletzt sehr attraktiven Zinskonditionen auf dem Girokonto wieder reduzieren. Der Neobroker Trade Republic hat dies schon angekündigt. Auch wenn die weitere Entwicklung unsicher ist und die Zinsen noch länger höher bleiben können, so werden Aktienanlagen doch wieder an Attraktivität gewinnen.
In diesem Umfeld wäre das steuerfreie Altersvorsorgedepot ein echter Durchbruch in der ansonsten so vermurksten Rentenpolitik der Regierung. Dass Lindner für sein Vorhaben eine Mehrheit in dieser Koalition bekommt, ist ungewiss – aber man soll die Hoffnung ja nicht aufgeben.