Sommerspiele in Paris: „Unglaublich“: Varfolomeev Gymnastik-Olympiasiegerin

Deutschland hat eine erste Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik. Darja Varfolomeev erfüllt in Paris die hohen Erwartungen. Die Potsdamerin Margarita Kolosov turnt ebenfalls top.

Darja Varfolomeev formte mit den Händen ein Herz und winkte schluchzend ins Publikum. 345 Tage nach ihrem Fünffach-Triumph bei den Weltmeisterschaften hat sich die 17-Jährige zur ersten deutschen Olympiasiegerin in der Rhythmischen Sportgymnastik gekrönt. „Es fühlt sich unglaublich an, dass die ganze Arbeit, der Schweiß, das Weinen, die Schmerzen sich gelohnt haben und ich eine Goldmedaille um den Hals habe“, sagte sie. 

Varfolomeev triumphierte in Paris im Mehrkampf mit Reifen, Ball, Keulen und Band mit 142,850 Punkten und brach nach Bekanntgabe der Wertung in Tränen aus. „Ich bin einfach nur froh, dass ich vier saubere Übungen gezeigt habe und das bis zum Ende durchgezogen habe“, sagte sie. „Dann kamen die Emotionen, dass ich das geschafft habe.“ Für den Deutschen Turner-Bund (DTB) war es zugleich die erste Medaille bei den Spielen in Frankreichs Hauptstadt und die erste Olympia-Plakette in der Gymnastik seit Bronze durch Regina Weber 1984 in Los Angeles.

Zweite wurde Borjana Kaleyn aus Bulgarien mit 140,600 Punkten vor der italienischen Mitfavoritin Sofia Raffaeli (136,300). Die deutsche Mehrkampf-Meisterin Margarita Kolosov aus Potsdam belegte mit 135,250 Punkten den starken vierten Platz.

Unsicherheiten in der Qualifikation verflogen

Noch in der Qualifikation am Vortag hatte Varfolomeev einen wackligen Auftritt hingelegt. Bei der Reifenübung war ihr das Gerät weggesprungen und von der Bodenfläche gerollt, sodass sie mit einem Ersatzreifen zu Ende turnen musste. Und auch ein Knoten im Band, den sie behände lösen konnte, kostete sie wertvolle Punkte. Dennoch war die zweifache Europameisterin Zweite der Ausscheidung hinter Raffaeli und noch vor Kaleyn.

Im Finale war dann von den Unsicherheiten nichts mehr zu sehen. Hochkonzentriert und mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit präsentierte die ausdrucksstarke Gymnastin ihre mit Höchstschwierigkeiten gespickten Übungen. Nach drei Geräten lag sie schon 2,3 Punkte vor der Zweiten. Nach der abschließenden Bandübung schlug sie erleichtert auf den Boden und holte sich dann eine herzliche Umarmung ihrer Trainerin Yuliya Raskina ab. 

Die Rhythmische Sportgymnastik ist seit 1984 in Los Angeles im olympischen Programm. Damals gewann Regina Weber als bislang einzige Deutsche eine Medaille. Die Mutter von Fußball-Nationalspieler Leroy Sané wurde Dritte. 

Dank Großvater nach Deutschland

Mit dem Olympiasieg hat Varfolomeev auch einen außergewöhnlichen Karriereweg vergoldet. Mit drei Jahren hat sie angefangen, wie ihre Mutter Rhythmische Sportgymnastik zu betreiben. Als Zwölfjährige kam sie zunächst ohne Eltern und ohne die Sprache zu sprechen, aus dem westsibirischen Barnaul nach Deutschland. 

Dank eines deutschen Großvaters konnte sie die Staatsbürgerschaft wechseln. Inzwischen lebt sie mit ihrem Vater und ihrer Chihuahua-Hündin in Fellbach unweit von Stuttgart. Ihre Mutter ist weiterhin in Russland, war aber beim Gold-Coup in der Arena Porte de La Chapelle. „Als sie gekommen ist, hatte sie Potenzial, auf jeden Fall“, sagte ihre belarussische Trainerin Raskina, die sie seit ihrer Ankunft in Deutschland in Schmiden betreut. 

Als Juniorin sei sie „okay“ gewesen, urteilte die 42 Jahre alte Olympia-Zweite im Mehrkampf von Sydney 2000. „Wir haben sie langsam aufgebaut, langsam mit ihr gearbeitet ohne Stress“, berichtete die Belarussin, die ihren Schützling als ehrgeizig beschreibt.

Mit ihrer zielstrebigen Einstellung hat sich Varfolomeev vom kleinen Mädchen aus Russland zum Gesicht der deutschen Sportgymnastik gemausert. Vor zwei Jahren gewann sie ihren ersten WM-Titel mit den Keulen, bevor sie im vorigen Jahr in Valencia mit ihrem Fünffach-Erfolg ein Kunststück gelang, das zuvor nur die Russin Jewgenija Kanajewa 2009 und 2011 vollbracht hatte.