Eigentlich sind US-Parteien kaum mehr als ein Vehikel ihrer Anführer. Die Demokraten jedoch haben sich in den vergangenen Woche ganz anders präsentiert.
Es war der erste gemeinsame Auftritt nach der großen Meuterei. Am Donnerstag gingen Joe Biden und Kamala Harris in Maryland, etwa eine Stunde entfernt von Washington, gemeinsam auf die Bühne und Biden riss ein paar Witze. Nun ja, er versuchte es. Er wisse, dass er wie 40 aussehe, sagte er, tatsächlich sei er aber älter. Biden setzte ein verschmitztes Lächeln auf. „Lange Zeit war ich einfach zu jung, denn ich war erst 29, als ich gewählt wurde. Und jetzt bin ich verdammt noch mal zu alt.“ Es wurde gelacht und gegrölt und geklatscht. Aber Ende skandierte der Saal: „Thank you, Joe.“
Gute Miene, würde man klischeehaft sagen, zum bösen Spiel.
Denn genau das ist es, was der 81-jährige Politveteran Joe Biden erleben musste. Wochenlang hatte es in seiner Partei rumort, wurde der Chor der Stimmen immer lauter, der ihn, den Präsidenten, bedrängte, nicht noch einmal anzutreten. Donald Trump und die Republikaner wirkten nach der historischen Präsidentschaftsdebatte und dem Attentat auf ihren Kandidaten siegesgewiss. Die Szenarien für einen „Landslide“, bei dem Trump erdrutschartig gegen Biden gewonnen hätte, wurden unter Wahlexperten immer häufiger diskutiert. Es waren führende Demokraten, allen voran die langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi, die die Debatte um einen Biden-Rückzug am Leben hielten. Am Ende dann fügte sich der Präsident seinem Schicksal.
Die Demokraten und Shakespeare
Es war ein brutales Manöver, eines, das an Shakespear’sche Dramen erinnert. Eines aber auch, das sich bislang auszuzahlen scheint. In mehreren Umfragen ist Harris an Trump vorbeigezogen. Sogar in manchen Swingstates, in denen die Wahl am 5. November entschieden wird, ist sie in Führung gegangen.
Gute Miene, böses Spiel – großer Sieg?
Auf dem Parteitag in Chicago wird sich ab Montag eine neue Demokratische Partei versammeln. Es dürfte eine große Party werden, offenen Streit dürfte es kaum geben, auch wenn Joe Biden intern noch immer darauf bestehen soll, er hätte gegen Trump gewinnen können.
MEINUNG Trump vermisst Biden 19.50
Doch in diesem Sommer 2024 haben die Demokraten etwas gezeigt, das für amerikanische Parteien ungewöhnlich ist: Korpsgeist und Disziplin. Sie haben ihren eigenen Präsidenten gestürzt, um das große Ziel, Donald Trump zu stoppen, doch noch erreichen zu können. Ausgerechnet die Demokraten. Eine Partei, die viele mit den Worten Idealismus, vielleicht auch mit Chaos verbinden, haben sich als etwas sehr Anderes präsentiert: eine kühl kalkulierende Machtmaschine.
Für gewöhnlich kämpfen alle vier bis acht Jahre Kandidatinnen und Kandidaten erst um die Führung der Partei und dann um die des Landes. Wer es ins Weiße Haus schafft, ist der Anführer der Partei. Es wird mitunter gemurrt und gelästert, aber der Präsident hat am Ende immer recht. Amerikanische Parteien galten lange Zeit als Vehikel und Wahlkampfmaschinen für diejenigen, die sich in den Vorwahlen durchgesetzt haben. Zumindest für die Demokraten gilt das nun vorerst nicht mehr.
Veränderung begann vor acht Jahren
Es ist eine Entwicklung, die sich schon seit einigen Jahren abzeichnet und ohne die Person Donald Trump wohl undenkbar gewesen wäre. Alles geht zurück auf das Jahr 2016, das Jahr des Schocks. Damals hatte sich die Parteielite um Hillary Clinton versammelt. Die Partei war der Meinung, dass nun ihre Zeit gekommen war. Auch Barack Obama, der Clinton acht Jahre zuvor in den Vorwahlen bezwungen hatte, unterstützte seine einstige Konkurrentin und nicht seinen damaligen Vize Joe Biden. Dieser trat erst gar nicht in den Vorwahlen an.
Die Demokraten waren sich sicher, dass Clinton genau die Richtige sei, um Trump zu schlagen. Und hatte sie es sich nicht auch verdient? Sie, die frühere Außenministerin, Senatorin und First Lady, würde einen Sexisten ohne jede politische Erfahrung doch selbstverständlich schlagen – eine kolossale Fehleinschätzung, die sich tief ins Bewusstsein der Partei eingebrannt hat. Die Demokraten im Jahr 2024 sind noch immer ein Produkt von Clintons Niederlage im Jahr 2016.
PAID Harris vs. Biden Politikbereiche 19.59
Vor vier Jahren wollte die Partei die Schmach wieder wett machen. Ihre Analyse war dieses Mal sehr simpel und sehr kühl: Wir bleiben in der Mitte. Ein moderater Kandidat ist am besten geeignet, um Trump aus dem Weißen Haus zu verjagen. Nach einem kurzen Höhenflug von Bernie Sanders zu Anfang der Primaries bescherten die schwarzen Wähler bei der Vorwahl in South Carolina Joe Biden einen haushohen Sieg. Damit war alles klar. Kurz danach beendeten Pete Buttigieg, Amy Klobuchar und Elisabeth Warren ihren Kampagnen und die moderaten Wähler unterstützten fortan Biden.
Die demokratische Partei hat kein gewähltes Führungsgremium, das die großen Entscheidungen in kritischen Phasen trifft. Es gibt keine mächtigen Präsidien oder Vorstände wie in deutschen Parteien. Im Durcheinander des Vorwahlkampfes gibt es vielmehr unterschiedliche Strömungen – von ganz links über moderat bis hin zum konservativeren Flügel – die allesamt um die Richtung der Partei kämpfen. Genau das ist vor vier Jahren passiert, als sich eine kleine Gruppe von Moderaten erst bekämpfte und schließlich auf Biden verständigte, um Bernie Sanders zu stoppen. Sie waren überzeugt, dass ein Kandidat mit linkem Profil Trump nicht bezwingen könnte.
In diesem Jahr war es keine kleine Gruppe, die um die Zukunft der Partei rang. So ziemlich jeder, der in Abgeordnetenhaus und Senat zur Wiederwahl steht, sprach mit. Viele Mandatsträger fürchteten, dass sie mit Biden an der Spitze mit in den Abgrund gezogen worden wären. Lange wurde gemutmaßt, ob womöglich eine Gruppe führender Demokraten ein Gespräch mit Biden führen müsste. Wenn Barack Obama, Nancy Pelosi und noch einige mehr auf den Präsidenten einwirken würden, müsste der verzichten.
Ein solches Gespräch in großer Runde hat es offenbar nicht gegeben. Stattdessen gab es einen wochenlangen Zermürbungskampf, an deren Ende der an Corona erkrankte Biden per Tweet hinschmiss.
Sam Rosenfeld, ein amerikanischer Parteienforscher, sagt, dass die Anti-Trump-Stimmung „der Kitt und Motor für die enorme Wahlbeteiligung im Jahr 2020 war, die die Demokraten an die Macht brachte“. Damit bleibt allerdings die Frage: Was wird aus dieser Machtmaschine, wenn man nun erneut Trump besiegt? Worüber definieren sich die, die sich als die Guten sehen, in einer Zeit ohne den Bösen?