Falsche historische Vergleiche, Geschichtsklitterung: Experten beklagen einen wachsenden Trend, die deutsche Geschichte umzudeuten. Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald versucht, gegenzusteuern.
Ein neues Forschungsprojekt soll über Geschichtsrevisionismus in Thüringen aufklären und dessen Thesen als Mythen entlarven. „Das sind Dinge, mit denen wir täglich konfrontiert sind, nicht nur im digitalen Raum“, sagte der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner.
In den vergangenen Jahren seien geschichtsrevisionistische Erzählungen zunehmend in Teile der deutschen Gesellschaft vorgedrungen, in denen sie zuvor nicht vorhanden gewesen seien. Das habe ebenso mit dem Aufstieg der sozialen Medien wie auch der AfD zu tun.
Webseite soll über geschichtsrevisionistische Mythen informieren
Das Forschungsprojekt ist als Kooperation zwischen der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora sowie dem Lehrstuhl für Geschichte in Medien und Öffentlichkeit der Friedrich-Schiller-Universität Jena angelegt. Inhaber des Lehrstuhls ist Wagner. Wesentlicher Teil des Projekts ist eine Webseite, auf der sich Menschen unter anderem über klassische geschichtsrevisionistische Mythen informieren können.
Unter Geschichtsrevisionismus wird in der Forschung eine politisch motivierte Strömung verstanden, die deutsche Geschichte zu einer einzigen großen Erfolgsgeschichte umdeuten will – und dabei versucht, die dunklen Kapitel der deutschen Geschichte wie die Zeit des Nationalsozialismus oder des Kolonialismus zu relativieren. Ein geschichtsrevisionistischer Mythos behauptet beispielsweise, bei der nationalsozialistischen NSDAP habe es sich um eine linke Partei gehandelt. Ein anderer solcher Mythos ist die Behauptung, der alliierte Luftangriff auf Dresden im Februar 1945 habe einen „Bombenholocaust“ dargestellt.
Geschichtsrevisionistische Thesen würden seit Jahren nicht nur von der AfD, sondern auch von anderen extrem rechten Akteuren verwendet, sagte Wagner. Dazu gehörten unter anderem sogenannte Reichsbürger, aber auch Gruppierungen wie „Freies Thüringen„.
Besonders im ländlichen Raum verbreitet
Wagner sagte, insbesondere abseits der größeren Städte seien solche Narrative inzwischen vergleichsweise weit verbreitet. „Das merken wir besonders stark im ländlichen Raum.“ Menschen abseits der eher akademisch ausgebildeten Stadtgesellschaften hätten größere Probleme, geschichtsrevisionistische Chiffren zu erkennen.
Das nun angestoßene Forschungsprojekt läuft nach Angaben Wagners zunächst bis April 2025 und wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft gefördert. Sein Ziel sei es aber, das Projekt auch danach fortzuführen und dafür auch eine Finanzierung unter anderem durch den Freistaat zu bekommen.
Webseite zum Forschungsprojekt