Sigmar Gabriel ist als Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp Steel zurückgetreten. Im Interview erzählt er, wie die Lage derart eskalieren konnte.
Herr Gabriel, warum werfen Sie als Aufsichtsratschef der Stahlsparte von Thyssenkrupp hin?
Es geht nicht mehr. Das Vertrauen zum Vorstandsvorsitzenden der Thyssenkrupp AG Miguel López und zu dessen Aufsichtsrat Siegfried Russwurm ist völlig weg. Auf der Basis können wird nicht weiter zusammenarbeiten. Herr López hat in den vergangenen Wochen permanent direkt in die Stahlsparte eingegriffen, an uns vorbei, ohne uns zu informieren und den dortigen CEO von seiner Arbeit abgehalten. Er hat Zustände wie in einem Gulag (sowjetisches Straf- und Arbeitslager, Anmerkung der Redaktion) herbeiführt. Das ist nicht meine Formulierung, sondern die von Menschen aus dem Unternehmen. Unter diesen Bedingungen können wir nicht das machen, wozu wir von Martina Merz, der Vorgängerin von Herrn López, gebeten worden sind. Wir sollten sicherzustellen, dass in diesem Prozess der Ablösung der Stahlsparte auch die Interessen der Leute vertreten werden und nicht nur der Kapitaleigentümer.
Damit ist die Verselbstständigung der Stahlsparte zum vierten Mal gescheitert. Woran lag es denn jetzt?
Letztlich ist es am Geld gescheitert. Für die Eigenständigkeit braucht die Stahlsparte ein ausreichendes Funding, wir konnten uns nicht auf eine Summe verständigen. Es fehlten zwischen 1,5 und 2,5 Mrd. Euro. Wir wollten, dass der Mutterkonzern diese Summe aufbringt. Herr López war der Ansicht, das könne die Stahlsparte selbst erwirtschaften. Aber das ist schlicht unrealistisch, wie ihm der Stahlvorstand klargemacht hat. Er kann nicht mal eben die Erträge in der jetzigen Phase erhöhen oder die Verkaufszahlen. Und wir können auch nicht einfach Unternehmensbestandteile verkaufen, die in Wahrheit jedes Jahr 85 Mio. Euro Erträge bringen. Und darüber hat López sich so aufgeregt, dass er sehr früh zu mir kam und sagte: „Der ganze Vorschlag muss weg. Die können das nicht.“
Was haben Sie ihm gesagt?
Wenn eine Verselbstständigung immer am gleichen Betrag scheitert und das viermal, dann könnte es sein, dass das nicht an den Vorständen liegt, sondern möglicherweise an den strukturellen Problemen, die das Unternehmen hat. Ich habe ihm geraten, wir lösen jetzt die strukturellen Probleme und dann reden wir über die Verselbstständigung.
Trotzdem ist die Lage eskaliert.
Dabei waren wir weiter als je zuvor. Die Arbeitnehmerseite war bereit, HKM zu verkaufen oder zu schließen. Man war bereit, die Kapazitäten um zwei Millionen auf neun Millionen Tonnen Stahl runterzuschrauben. All das haben wir geschafft, im Einvernehmen.
López wollte die Kapazitäten doch fast halbieren?
Das müssen Sie ihn selber fragen. Das sagt die IG Metall. Er bestreitet das.
Bei der Mitgift hat´s dann geknallt?
Das ist keine Mitgift, sondern ein Funding. Wenn sie die Tochter an die Börse bringen wollen, dann muss sie so ausgestattet sein von ihrer Eigentümerin, dass sie das kann. Herr López aber hat im Kopf, dass er nicht mehr Eigentümer ist, sondern sich gegenüber der Stahl AG verhält wie eine Bank. Das heißt, er will ihr Darlehen geben – und das nicht mal ausreichend. Wir haben uns dann trotzdem mit der Idee im Aufsichtsrat beschäftigt und ein Papier fertig bekommen, mit dem alle einverstanden waren, auch Herr López. Ich war noch nicht zurück zu Hause in Goslar, da hatte Herr López schon eine Pressemitteilung rausgehauen, wo er den Vorstand wieder in Grund und Boden redet. Ich konnte es gar nicht fassen, weil wir gerade das Gegenteil verabredet hatten.
Sie sagen, López sei das Problem. Wie erklären Sie sich, dass er den Rückhalt der Eigentümer und des Thyssenkrupp Aufsichtsrat hat?
Ich vermute, dass denen der Geduldsfaden gerissen ist. Die versuchen seit 20 Jahren den Stahl loszuwerden und keiner schafft es. Und es gibt da auch ein paar, die die Schuld bei der IG Metall sehen und wollen, dass die einer beibiegt. Vor drei Tagen gab es eine volle Breitseite gegen die Arbeitnehmer und die Gewerkschaften, die Angst um ihre Jobs haben. Die hatten da eine Mahnwache organisiert und mal für zwei Stunden ein Aggregat stillgelegt.
Wo liegen denn aus Ihrer Sicht die Fehler?
Im Management. Die haben 17 Mrd. Euro für ein Stahlwerk im Sumpf von Brasilien versenkt. Die IG Metall kann nichts dafür, dass der Mutterkonzern der Stahl AG verboten hat, sich mit CO2-Zertifikaten einzudecken. Andere Unternehmen in Deutschland sind bis zum Hals voll damit. Wir müssen uns die ständig bei wachsenden Preisen kaufen. Die Gewerkschaft kann nichts dafür, dass dem Stahlvorstand verboten wurde, Energie-Hedging zu machen. Die IG Metall kann nichts dafür, dass bei dem Unternehmen über Jahre hinweg die Modernisierungsinvestitionen unterblieben sind, weil man immer hoffte, dass ein potenzieller Käufer das machen würde. Das ist die Geschichte. Der Laden hat so viele Altlasten. Diese Altlasten muss man erst aufräumen.
Auch die Krupp-Stiftung steht offensichtlich voll hinter López. Macht Sie das wütend?
Ich bin nicht wütend. Aber die haben es einfach nicht verstanden. Dieses Management hier hat endlich die Arbeit angepackt. Die schmeißen eine Technikvorständin raus, die seit anderthalb Jahren am Werk ist und durch deren Maßnahmen sich die wirklich schlechte Performance des Unternehmens deutlich verbessert hat.
Was ist durch ein neues Management gewonnen?
Nichts. Das Unternehmen verliert nur Zeit und Geld. Die Probleme bleiben. Kritisch ist außerdem: Der Wechsel findet in einer Phase statt, wo im Stahlkonzern gigantische Großprojekte laufen. Sie errichten dort neue Stahlanlagen, eine DRI-Anlage für die Produktion von grünem Stahl und sie bauen eine Gieß-Walzanlage im laufenden Betrieb um. Das hat noch keiner auf der Welt gemacht. Geht das schief, steht die deutsche Autoindustrie still. Das ist doch alles nicht rational. Es mangelt an kühlem Blut. Der ganze Konflikt ist nach meiner Überzeugung vollständig unsinnig. Und das Kernproblem wird damit gar nicht erst angepackt.
Das da wäre?
Das Unternehmen leidet immer noch an der Fusion Thyssenkrupp. Andere Stahlwerke haben einen Standort. Dort optimieren sie ihre Prozessketten. Wir haben 14 Standorte mit 35 Aggregaten. Da müssen wir ran. Da haben wir noch gar nicht angefangen, mit den Gewerkschaften zu verhandeln. Da reden wir über Personalabbau und lange Zeiträume, denn Sie können so ein Aggregat nicht einfach stilllegen und woanders neu bauen. Aber das wird alles wiederkommen.
Die Stahlsparte von Thyssenkrupp bekommt viel Staatsgeld für die Transformation zu grünem Stahl. Ist diese Transformation jetzt in Gefahr?
Nicht durch das, was jetzt passiert ist. Aber es gibt Hinweise dafür, dass es am Ende zu teuer ist trotz der Förderung. Und am Ende kein marktfähiger grüner Stahl herauskommt. Es wird nochmal eine Debatte um die Förderung und die Produktion für Grünstahl geben. Aber klar ist auch, ohne Thyssenkrupp wird es kein Wasserstoffnetz geben. Wir sind der wichtigste Abnehmer.