Die AfD triumphiert in Thüringen, doch im Wahlkreis Greiz wurde Björn Höcke besiegt. Wie hat der CDU-Politiker Christian Tischner das geschafft?
Auf der Leinwand in Erfurt schnellt der blaue Balken in die Höhe, Björn Höcke reißt die Arme nach oben, die Umstehenden skandieren seinen Namen. Die Thüringer AfD feiert ihren Spitzenkandidaten. Die Partei wird am Sonntag stärkste Kraft bei der Landtagswahl, sie kommt bei den Wählern dort so gut an wie noch nie.
Höcke ist der Gewinner des Abends. Oder?
Nicht ganz, denn eineinhalb Autostunden von Erfurt entfernt zeichnet sich ein anderes Bild. In Greiz kandidierte der Rechtsextremist für das Direktmandat. Das wollte er unbedingt gewinnen. Und so all jenen in seiner Partei etwas entgegnen, die hinter vorgehaltener Hand sagen: Vielleicht wäre die AfD ohne Höcke besser dran. Vielleicht könnte sie so noch mehr bürgerliche Wähler erreichen.
Björn Höckes AfD wurde stärkste Kraft im Thüringer Landtag – Höcke feierte in Erfurt
© Jens Schlueter/Getty
Doch Höckes Plan ging nicht auf. In Greiz wurde der AfD-Mann vom CDU-Politiker Christian Tischner besiegt. Höcke zieht über die Landesliste zwar trotzdem in den Erfurter Landtag ein. Doch es ist eine empfindliche Niederlage für den Landeschef. Wie konnte es soweit kommen?
Björn Höcke dachte wohl, in Greiz habe er ein einfaches Spiel
Höcke wohnt nicht in Greiz, sondern im Eichsfeld, auf der anderen Seite Thüringens. Doch im erzkatholischen Eichsfeld hatte Höcke nie eine Chance auf das Direktmandat, den Wahlkreis haben seit der Wiedervereinigung ausnahmslos CDU-Kandidaten gewonnen. Zweimal probierte er es dort erfolglos.
Also musste ein anderer Wahlkreis her: Höcke wählte Greiz II aus „wahltaktischen Gründen“, hieß es aus dem AfD-Landesvorstand. Er dachte wohl, in Greiz habe er ein einfaches Spiel.
Ganz unberechtigt war seine Annahme nicht. Am Sonntag gaben hier 37 Prozent ihre Zweitstimme der AfD, deutlich mehr als der CDU. Mit dem Direktmandat klappte es für Höcke trotzdem nicht.
Hat Tischner ein Anti-Höcke-Rezept?
Fragt man Wahlkreisgewinner Christian Tischner am Tag nach der Wahl, ob er ein Anti-Höcke-Rezept gefunden habe, muss er nicht lang überlegen: „Neee“, antwortet er am Telefon. Aber dafür eins, „wie man Politik macht für die Leut'“.
Es scheint den CDU-Politiker zu stören, dass es in Greiz im Wahlkampf plötzlich nur noch um Höcke ging: „Über Thüringer Themen konnte ich kaum noch sprechen.“ Wie zum Trotz nennt er Höcke im ganzen Gespräch nicht einmal beim Namen.
Der Mann, der Höcke bezwang, verfolgte die Wahlergebnisse mit ein paar Vertrauten in der Kneipe „Holzwurm“, wo es Greizer Bier, eine Dartscheibe und zwei Fernseher gibt. Es ist fast ein Sinnbild für den ganzen Wahlkampf: Tischner war in Greiz, Höcke anderswo.
Zwei Tage vor der Wahl lud der Rechtsaußen dann doch noch zu einer großen Moped-Tour, mit ein paar Dutzend Simsons im Schlepptau knatterte er durch die Dörfer in seinem Wahlkreis. Aber nur für eine Weile. Bis zur Abschlusskundgebung hielt er nicht durch, sondern bog vorher aus dem Tross ab. Schnell wieder weg.
Christian Tischner 2019 im Landtag
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Tischner hingegen stand unter seinem CDU-Sonnenschirm vor dem Supermarkt, auf dem Marktplatz, in der Fußgängerzone. Immer dabei: Thüringer Senf, über 1000 Gläser davon hat er nach eigenen Angaben im Wahlkampf verteilt.
Immer dabei auch ein paar Beispiele dafür, was der Bildungspolitiker für seinen Wahlkreis schon erkämpft hat – 200.000 Euro für die Sanierung der Schwimmhalle, 100.000 für das Dach einer Turnhalle, 1000 Euro für eine Tischtennisplatte in einer Grundschule.
„Die Leute wollen jemanden haben, der ihnen zuhört und sich vor Ort kümmert“, sagt Tischner. „Wenn die in Berlin das auch häufiger mal machen würden, hätten wir auch kein Problem mit vielen Protestwählern für die AfD.“
Wenn es stimmt, was der Höcke-Bezwinger sagt, wäre das eine gute Nachricht für die einstigen Volksparteien. Ein bisschen mehr Bürgernähe, dann klappt es auch wieder gegen die Rechtsextremen.
Aber ist es so einfach?
Einen zweiten Grund nennt Tischner noch. Spätestens seit dem Solingen-Attentat sei es an seinem Wahlkampfstand nur noch um das Thema Migration gegangen. Und Tischner ließ Höcke keinen Fußbreit, sich bei diesem Thema zu profilieren. „Wir haben den Leuten nicht zu erklären, was ein Problem ist, und was nicht“, sagt der CDU-Mann. „Wir Politiker sind für die Menschen da, nicht für uns selbst.“
Tischners Eltern haben ihr ganzes Leben lang geschuftet, die Mutter als Reinigungskraft, der Vater auf dem Bau. Und so sagt er heute: Vor allem Bürgern mit kleiner Rente könne man kaum vermitteln, „warum Migranten zu uns kommen und gleich Sozialleistungen beziehen dürfen.“ Wenn sich dann auch noch ein paar Jungs mit Migrationshintergrund im Freibad daneben benähmen, sei es bei vielen vorbei mit dem Verständnis. Das müsse man als Politiker ernst nehmen, sonst würden die Leute einen wählen, der das tut.
Bei der Wahlnachlese war Höcke nicht dabei
In der Biographie von Tischner und Höcke findet sich eine Gemeinsamkeit: Beide waren einmal Geschichtslehrer. Und gerade damit begründet Tischner den wichtigsten Unterschied zwischen ihm und Höcke. „Mit seinen völkischen Reden kann ich als Geschichtslehrer nichts anfangen.“ Das habe er schon 2014 gemerkt, als er zum ersten Mal mit Höcke in den Landtag einzog. Es dauerte nicht lange, bis Höcke über einen „afrikanischen Ausbreitungstyp“ schwadronierte oder das Berliner Holocaust-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“ nannte.
STERN PAID 27_24 Höckes Erben 18.00
Es sind Aussagen wie diese, die Höcke nun auch in seiner Partei zunehmend isolieren. Längst wartet eine jüngere Generation AfD-Politiker darauf, Höcke in die zweite Reihe zu verbannen und die Partei bürgerlich aufzupolieren.
Als Signal für Höckes schwindende Macht werteten manche Beobachter die Wahlnachlese der AfD am Montagvormittag. In der AfD-Zentrale ordnete nicht etwa der Thüringer Landeschef die Wahlergebnisse ein, sondern sein Stellvertreter Stefan Möller. Der hat das Direktmandat in seinem Wahlkreis übrigens gewonnen.