Dieselskandal: Ex-VW-Chef Winterkorn: „Ich bin kein Spezialist für Abgasreinigung“

Der Ex-CEO Winterkorn streitet am zweiten Tag seines Prozesses alle Anklagepunkte ab – und behauptet, etwas getan zu haben, wenn er nur davon gewusst hätte

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Fast auf den Tag genau neun Jahre, nachdem die Manipulation von Abgaswerten in Diesel-Fahrzeugen von VW ans Licht gekommen ist, gibt der langjährige Chef des größten deutschen Autobauers in seinem Prozess vor dem Landgericht Braunschweig eine Erklärung ab:

„Ich darf vorausschicken, dass mich diese Hauptverhandlung vor einem Strafgericht sehr betroffen macht“, sagt Martin Winterkorn am zweiten Tag seines Verfahrens im Diesel-Komplex. Er habe nahezu sein „gesamtes Berufsleben dem Volkswagen-Konzern gewidmet“, ihn bis zu seinem Ausscheiden „zu einem der erfolgreichsten Automobilunternehmen der Welt gemacht“. Nun stehe er „gleich in drei Anklagen“ vor Gericht, sagt er – und weist jegliche Vorwürfe zurück. 

Mit einer Zahlung an den VW-Konzern habe er bereits 2021 Verantwortung übernommen. „Ich halte es aber für fernliegend, mir einen strafrechtlichen Vorwurf zu machen, wie es die Staatsanwaltschaft Braunschweig mit ihren Anklagen versucht“, sagt der Ex-VW-Chef. Winterkorn wird mutmaßlicher gewerbsmäßiger Betrug, uneidliche Falschaussage und Marktmanipulation vorgeworfen. Alle stehen in Zusammenhang mit der Manipulation von Abgaswerten von VW-Fahrzeugen in Europa und den USA in den Jahren 2006 und 2007 bis 2015.

Winterkorn hatte „nicht verstanden“, wo die technischen Probleme lagen

Am zweiten Tag des Verfahrens gegen Winterkorn hat sich der Ansturm zwar gelegt, die Zuschauerränge im größten Saal des Landgerichts Braunschweig sind trotzdem gut gefüllt. Winterkorn trägt einen schwarzen Anzug und eine weinrote Krawatte. Er grüßt freundlich einen Justizbeamten, nickt der Staatsanwaltschaft zu, nimmt Papiere aus seiner Mappe. Am Vortag wurden stundenlang die drei Anklagen gegen Winterkorn verlesen.

Sein Statement liest Winterkorn langsam ab, aber betont. Er schildert erst seinen Werdegang, seine Funktionen und die damit verbundenen Aufgaben, auch als Vorstandsvorsitzender von VW in den Jahren 2007 bis 2015. Dabei habe er vor allem strategische Aufgaben zu erfüllen gehabt. Es sei jedoch „nicht Aufgabe eines Vorstandsvorsitzenden, einzelne Herausforderungen an eine technische Entwicklung persönlich zu bewältigen“, erklärt er. „Ein Vorstandsvorsitzender soll sich auch nicht um ein technisches Problem kümmern, das an einigen Fahrzeugen auftritt, die teils schon vor Jahren in einem räumlich abgrenzbaren Markt verkauft worden waren“, sagt Winterkorn.

STERN C Winterkorn Prozess 18:37

Er geht dann auf die komplexen Strukturen des VW-Konzerns ein, die das Ziel hätten, Alltagsfragen vom Vorstand fernzuhalten. Es bestehe jedoch die „Verpflichtung zu einer umfassenden und wahrheitsgemäßen Berichterstattung gegenüber den Vorgesetzten, insbesondere gegenüber dem Vorstand“. Nur dann sei dieser auch dazu in der Lage „korrekt und angemessen zu entscheiden“. Winterkorn versucht sich an Erklärungen, warum ihn die Informationen über manipulierte Abgaswerte tatsächlich nicht so früh erreicht haben könnten, wie die Staatsanwaltschaft es ihm vorwirft. 

Als es später um die konkreten Vorwürfe geht, erklärt der Diplom-Ingenieur gar: „Ich hatte damals nicht verstanden, worin die technischen Probleme lagen.“ Er sei schließlich „kein Motorenentwickler, ich bin kein Spezialist für Abgasreinigung und auch kein Softwareexperte, der sich mit der Steuerung von Motoren und Abgasreinigungssystemen befasst hat“. Dazu hätte es Erläuterungen der Techniker in Bezug auf die Funktionsweise dieser Software bedurft, die er damals nicht gehabt habe. 

Martin Winterkorn (Mitte), ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, mit seinen Rechtsbeiständen
© dpa / Moritz Frankenberg

Deutschland seit 2020 nicht mehr verlassen

Winterkorn trägt das alles recht nüchtern vor, nimmt zwischendurch mal einen Schluck Wasser, muss sich räuspern, liest aber insgesamt mit fester Stimme. Dennoch setzt er dem Anschein nach auf Betroffenheit, etwa als es um seine Anklage in den USA geht. 2020 haben die Behörden dort einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. „Das hat mich sehr getroffen, weil ich bisher keine Chance sehe, mich aus Deutschland heraus erfolgreich gegen die dort erhobenen Vorwürfe zu verteidigen“, sagt Winterkorn. Das hätte er nur vor einem US-Gericht tun können. „Ich habe Deutschland seitdem nicht mehr verlassen.“

Auch als es um die Anschuldigungen von Aktionären geht, die sich durch ihn getäuscht sehen, setzt er auf Betroffenheit: „Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, ich hätte in meiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzender gebotene Handlungen unterlassen, Kunden und Aktionäre getäuscht und geschädigt und mich damit strafbar gemacht, trifft mich – am Ende meines beruflichen Weges – ganz erheblich“, sagt Winterkorn. Das sei nicht die Haltung, die er als Chef von Audi und VW eingenommen habe. Hätte er rechtzeitig Kenntnis von den Ereignissen gehabt, „hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge selbst direkt anzugehen und aufzuklären“.

Auch die Vorwürfe der Marktmanipulation und Falschaussage weist Winterkorn zurück. Darüber, wie er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags behandelt wurde, zeigt Winterkorn sich empört. „Ich bin fast zwei Stunden befragt worden“, sagt Winterkorn. „Man hat mehrfach versucht, mich zu Punkten zu befragen, zu denen ich von Anfang an erklärt hatte, dass ich dazu schweigen möchte.“ Dabei hätte er seine Aussage auch verweigern können, tat dies aber nicht, weil es sich aus seiner Sicht nicht gehöre. 

Winterkorns Pflichtverteidigerin Caroline Hey und sein Anwalt Kersten von Schenck lösen ihren Mandanten zwischendurch mit dem Sprechen ab. Für den letzten Teil übernimmt Winterkorn wieder selbst. Dann blickt er hoch zur Richterbank und beendet sein Statement nach einer Stunde und 15 Minuten. Zu weiteren Einzelfragen will er sich „zu gegebener Zeit“ äußern.

VW Prozess mit Winterkorn Kommentar   20.15

Verständigungsgespräch ohne Erfolg

Vor Winterkorns Einlassungen gaben auch seine Verteidiger eine Erklärung ab, in der sie den Anklagesatz als „hochverwirrend und dramatisch zugleich“ bezeichneten und vor allem kritisierten, dass die Staatsanwaltschaft darin so gut wie keine Belege für ihre Behauptungen vorgelegt habe. Der Richter erklärte zu Beginn, dass es im Anschluss an den ersten Prozesstag noch einmal Gespräche über einen möglichen Deal gegeben habe, der jedoch nicht zustande kam. 

Die Verhandlung soll am 12. September fortgesetzt werden. Vorgesehen ist dann die Vernehmung von Bernd Gottweis, früherer Leiter des Ausschusses für Produkt-Sicherheit (APS) bei VW. Insgesamt sind 89 Verhandlungstage angesetzt. Bei einer Verurteilung droht Winterkorn schlimmstenfalls eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren.