Pfarrer aus Indonesien: „Wir Katholiken sollten es als Geschenk begreifen, wieder Minderheit zu werden“

Der Münchner Pfarrer Devis Don Wadin kam einst als Missionar nach Deutschland. Hier erzählt er, warum der Papst-Besuch in seiner indonesischen Heimat so wichtig ist.

Herr Pfarrer Don Wadin, Sie stammen von der indonesischen Insel Sumba und leiten eine katholische Gemeinde in München. Was erwarten Sie sich von der Papst-Reise nach Indonesien, Osttimor, Papua-Neuguinea und Singapur?
Papst Franziskus steht für eine Weltkirche, die nicht mehr eurozentrisch ausgerichtet ist. Er gilt als Brückenbauer, als dieser wird er sich in meiner indonesischen Heimat erweisen. Er hat europäische Vorfahren, stammt von einem amerikanischen Kontinent, war Bischof von Argentinien. All das führt zu einem größeren Verständnis der Multikultur, die unsere katholische Kirche ausmacht. Das Wichtigste aber ist das Signal an alle anderen Religionen.

Papst Franziskus I. trifft auf seiner Indonesien-Reise Vertreter anderer Religionen
© IPA/ABACA

Welches Signal soll das sein?
Ein Zeichen für das interreligiöse Miteinander. Wie ich aus Indonesien gehört habe, freuen sich sehr viele Menschen, auch jene, die nicht christlichen Glaubens sind, dass diese bedeutende spirituelle Persönlichkeit in ihre Länder kommt. Auch Muslime und Menschen anderen Glaubens beten, dass dieser Besuch ein Segen für das Land und seine Vielfalt wird.

Alle fünf Weltreligionen sind in Indonesien präsent, 87 Prozent der Bevölkerung Muslime, zehn Prozent Christen. Trotz der Koexistenz kommt es immer wieder zu Konflikten. Was kann man aus so einer Gesellschaft lernen?
Die Unterschiede der Religionen gehören zu unserem Charakter, zu unserer nationalen Identität. Es gibt wie überall Konflikte, aber wir lernen schon in den Schulen, dass uns das Überwinden dieser Konflikte ausmacht. Ich komme von der Insel Sumba, die nicht muslimisch geprägt ist, sondern evangelisch. Das ist das Erbe der Niederländer. Mein Vater war Polizist, ich bin in der Polizeikaserne mit vielen anderen Polizistenkindern aufgewachsen. Als Katholiken waren wir immer eine Minderheit, aber das war nie Teil meines Bewusstseins. In meiner Schulklasse waren muslimische, evangelische, katholische, hinduistische Kinder, zu Beginn der Schule beteten wir gemeinsam im Klassenzimmer, jeder nach seiner Religion.

Zur Person Wadin

Das klingt nach einem Idyll, das es laut Amnesty International nicht ist. 
Für mich war es das. Ich habe als Kind keine Probleme zwischen den Religionen kennengelernt. Vielfalt ist keine Gefahr, sondern eine Riesenchance, das eigene Leben oder das Leben des anderen zu bereichern. So steht es in den fünf Prinzipien unseres Staates, der „Pancasila“: Ein-Gott-Glaube, Humanismus, die Einheit Indonesiens, Demokratie, soziale Gerechtigkeit. Es gibt beispielsweise interreligiöse Hochzeiten, und es ist kein Problem. Die Liebe spielt eine größere Rolle, als die Religionszugehörigkeit. Die Schwester meiner eigenen Schwägerin ist mit einem Muslim verheiratet, ich spreche also aus eigener familiärer Erfahrung. Ich bin selbst Sohn eines Katholiken und einer Protestantin. Wir haben das stets als Bereicherung erlebt, und mein Schwager denkt auch so. Auf lokaler Ebene kommt es zu Auseinandersetzungen, aber es sind wie überall radikale Minderheiten.

Wie geht die Regierung Indonesiens damit um?
Wir haben ein Ministerium für interreligiösen Dialog. Das sollten sich andere Länder zum Vorbild nehmen. Die Regierung nimmt die Vertreter der Religionen sehr ernst. 

Wie wurden Sie Priester?
Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich in einer ganz normalen Schule. Nach der neunten Klasse verließ ich zum ersten Mal meine Heimatinsel, kam auf der Insel Flores, die portugiesisch geprägt ist, ins Internat. 95 Prozent der Einwohner dort sind katholisch. Nach dem Abitur kam mir die Idee, Priester zu werden. Ich wollte aber nicht auf meiner Heimatinsel leben, sondern als Missionar. Das bedeutete international zu arbeiten. Mein Noviziat verbrachte ich auf Java, das Theologiestudium absolvierte ich in Sankt Augustin bei Bonn. Dass ich nach der Priesterweihe in Deutschland bleiben könnte, kam mir dabei nie in den Sinn. Ich spiele leidenschaftlich gern Fußball, also träumte ich von Argentinien oder Brasilien.

Mit Verlaub, Deutschland ist auch kein übles Fußball-Land.
In Südamerika ist Fußball ein wunderbarer Weg, um auf die Jugend zuzugehen und die Religion zu vermitteln. Doch Deutschland braucht junge Priester, also blieb ich hier.

Sie missionieren also in Deutschland?
Weniger mit Fußball. Ich kenne seit meiner Kindheit Deutsche, ein Hamburger Priester arbeitete in unserer Gemeinde, und er beeindruckte mich, weil er die Nähe zu allem Menschen suchte, sehr offen und kommunikativ war. Nun bin ich in München.

Was war Ihr persönlicher Grund, sich für das Priestertum zu entscheiden?
Es war auch ein bisschen Schicksal.  Mein Vater hatte mir oft von einer Sache aus seiner Kindheit erzählt, die mit dem ausgeprägten Stammesdenken Indonesiens zu tun hat. Er dachte, dass wir gewissermaßen verflucht wären, weil in den Fünfzigerjahren ein katholischer Priester von einem Mitglied unseres Stammes ermordet worden war. Als ich im Jahr 2000 zum Priester geweiht worden war, sagte er zu mir, dass er das Gefühl habe, die Sache sei damit bereinigt. Wir feierten zusammen eine Messe und ein Versöhnungsfest auf seiner Heimatinsel. Der Dorfälteste war überglücklich und sagte, es sein ein großer Moment für den ganzen Stamm.

Für westliche Begriffe klingt das fremd.
Auch der Begriff des Missionierens hat hier einen negativen Beigeschmack, ich weiß. Sie müssen die Geschichte beachten, in der Zeit von Augustinus ist die theologisch falsche Auffassung entstanden, dass Ungetaufte nicht in den Himmel kommen. Aber das hat mit der heutigen Missionierung nichts mehr zu tun, ich habe nie erlebt, dass irgendwo jemand gezwungen worden wäre, Christ zu werden. Man muss sagen, dass diese Kirche Menschen sehr lange vorbereitet. Es ist ein langer Weg, nie ein Zwang. 

Was bedeutet Missionierung heute?
Es geht nicht mehr darum, Menschen zur Kirche zu bekehren, sondern darum, die christliche Botschaft und deren Werte zu vermitteln, also die Lehre Jesu. Mir macht das eine große Freude.

Unterscheidet sich Ihr Begriff von dieser Lehre, von jener, die europäische Priester haben?
Durchaus. Der Glauben wird hier oft wie eine heimliche Liebesaffäre begriffen, man behält es für sich. Meine Auffassung vom Glauben ist wie eine große Liebe, die man zeigt, von der man allen erzählen will. Viele Europäer schämen sich beinahe, zu ihrem Glauben zu stehen. Diese Angst will ich nehmen.

Wie machen Sie das?
Ich versuche das Religiöse aus den kirchlichen Räumen zu befreien. Es kann auch zu Hause stattfinden. Eine Heilige Messe kann auch im Wohnzimmer stattfinden. Ich versuche, die Kirche wieder in die Häuser zu tragen, hier in München etwa Häuser zu weihen, bei den Menschen daheim Gottesdienste abzuhalten. Kürzlich war ich bei jungen Studenten und habe deren WG geweiht. Es war deren Idee und ich habe mich gefreut, das bei ihnen zu tun. Damit sind wir wieder bei den Anfängen der christlichen Kirche. Und so wird es auch in Zukunft sein, denn hier in Europa müssen wir uns darauf vorbereiten, wieder eine Minderheit zu sein.

Was auch Papst Benedikt so ähnlich prophezeit hat?
Absolut. Wir müssen es als Geschenk begreifen, wieder eine Minderheit zu werden und so unsere eigene Identität zu finden. Wir werden eine kleine Kirche werden. Das ist unser Schicksal, aber so finden wir auch aus der Masse heraus.

Die Katholiken in Deutschland versuchen zurzeit, sich als Volkskirche zu retten, etwa durch den synodalen Weg. Wie stehen Sie dazu?
Ich komme aus einer anderen Realität und habe einen anderen Blick darauf. Wir brauchen eine Erneuerung, aber ich habe den Eindruck, dass die Themen des Synodalen Weges auch die einer Elite sind. Die Kirche muss von unten erneuert werden. Wir brauchen Freude am Gottesdienst, keine politischen Positionen. Das wichtigste aber ist, den Weg zurück zur Seelsorge zu finden, die sehr vernachlässigt wurde. Es ist aber das Wesentliche.

Zurück zur Papstreise: Was sollte Franziskus I. als Botschaft senden?
Wie ich bereits sagte, würde ich mir ein Bekenntnis zum interreligiösen Austausch wünschen. Dieses Bekenntnis verdeutlicht sich auch darin, dass der Papst die größte Moschee in Südostasien Istiqlal besucht. Die katholische Kathedrale von Jakarta liegt gegenüber dieser Moschee und 2023 wurde ein unterirdischer Tunnel, welche die beiden Gotteshäuser verbindet, gebaut. Das ist ein wichtiges Zeichen für den Willen zum interreligiösen Dialog. Außerdem hat Franziskus ein solches gemeinsam mit Großimam Nasaruddin Umar beim Unterzeichnen der Erklärung von Istiqlal bereits gesetzt, und das hoffentlich international Einfluss haben wird. Ebenso sein Zeichen zur Einfachheit. Franziskus ist nicht im Privatjet, sondern per Linienflug angereist, er wohnt nicht im Luxushotel, fährt in einem einfachen Auto. Er betont die Bodenständigkeit, mit der er sein Pontifikat begonnen hat. Das beeindruckt die Bevölkerung in Indonesien sehr.

Der erste südamerikanische Papst auf seiner 45. Reise mit Indoiensiens Präsident Joko Widodo, säkularer Muslim. Im Vordergrund eine Buddha-Statue im Garten des Präsidentenpalastes von Jakarta.
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Hat das Prinzip einer einheitlichen Weltkirche Zukunft?
Ich glaube schon. Die deutschen Christen müssen aber anfangen, sich den Brüdern und Schwestern in Afrika oder Asien mehr zu öffnen. Sie können von ihnen viel lernen. Die Kirche darf sich nicht an politische Strömungen anpassen, sie muss eine moralische Instanz bleiben. Das wichtigste Prinzip der Missionierung bleibt Bildung, bleibt die Idee, Schulen zu bauen. Aber die Kirche selbst, die Lehre Jesu will, dass wir das Prinzip Familie stärken, die Zugewandtheit zu den Abgeschriebenen, den Armen, all jenen, die an den Rand gedrängt sind. Auf diesen Kern müssen wir uns besinnen.