Deutscher Influencer: Er ist erst 21 und trampt ohne Geld um die Welt. Kann das gutgehen?

Vor acht Monaten brach Influencer Marinus Obermair auf, um die Welt zu erkunden. Ohne einen Cent. Ein Gespräch über das Schnorren in Entwicklungsländern und den Kampf um Klicks.

Ein junger Mann, blonde Surfertolle, in der Hand eine Tetrapackung Kokoswasser, um den Hals eine Perlenkette, dschungelumwachsenes Hostel auf Ko Tao in Thailand. Man könnte nun ein Klischee nach dem anderen abhaken, über die klassische Backpack-Selbstfindungsreise nach Südostasien, aber das wäre dann doch ungerecht. 

Marinus Obermair, 21, kommt nur fürs WLan ins Hostel – er schläft am Strand. Er reiste auch nicht per Flugzeug von Europa nach Thailand – er trampte, ohne Startkapital, durch 23 nicht immer ganz unkritische Länder. Acht Monate ist er schon unterwegs, viele weitere sollen es noch werden. Obermair will einmal um die Welt.

Wenn Menschen früher solche Unternehmungen starteten, druckten sie ihre Erlebnisse in Bücher, die dick waren wie Ziegelsteine. Heute reichen kurze Clips im Internet. Obermair, auf Instagram, Youtube und Tiktok besser bekannt als „movelikeg“, lässt Hunderttausende an seiner Reise teilhaben. Er zählt zu einer neuen Generation digitaler Abenteurer, Influencer, denen die Welt nicht genug zu sein scheint. Immer höher, weiter, schneller muss es gehen. Eine knappe Stunde lang spricht der gebürtige Bayer mit dem stern über den Kampf um Klicks, über Reisetagebücher aus dem Reich der Taliban und darüber, wie es sich anfühlt, mit dem Traum der anderen sein Geld zu verdienen. 

Man erwischt ihn zu einer denkbar ungünstigen Zeit. Am Vortag klaute ihm jemand sein kleines Zelt am Strand. Zum Schlafen bleibt ihm nun eine dünne Hängematte. Gleichzeitig kündigt sich eine Grippe an. Und Tabletten zur Prävention einer Blutvergiftung muss Obermair auch noch schlucken. Er hatte sich seine Hand an einer Koralle aufgeschnitten, bis zum Knochen, als er zu einer Felsinsel namens Shark Island schwimmen wollte. 

Beginnen wir mit einer klassischen Freundschaftsbuchfrage, die bei Ihnen ja wirklich Sinn ergibt: Welche drei Dinge nehmen Sie mit auf eine einsame Insel? 
(lacht) Ein Handy auf jeden Fall, um das Ganze festhalten zu können. Dann einen Filter, um sauberes Wasser zu bekommen. Und Feuerstahl, um Krabben oder Fische grillen zu können. 

Als Sie Anfang Januar Ihren Rucksack packten, nahmen Sie vermutlich etwas mehr mit. Was braucht man alles für eine Weltreise? 
Tatsächlich kaum etwas. Man nimmt ja auf jede Reise zu viele Klamotten mit. Ich habe inzwischen gar nichts mehr: Zwei Shirts, eine kurze Hose, ein Paar Socken. Eigentlich laufe ich den ganzen Tag in Badehose und Birkenstocks rum. Wenn ich in warmen Gebieten bin, gebe ich meine Winterkleidung ab. In kalten Gebieten andersrum. Ich tausche meine Klamotten ständig. Ansonsten trage ich das Übliche bei mir: Aufladekabel, Powerbank, ein Schweizer Taschenmesser, ein Seil, Hängematte oder Zelt. 

Sie wuchsen als Dorfkind im oberbayerischen Flintsbach am Inn auf, haben dort eine Kochausbildung gemacht. Wie kommt man da auf die Idee, Globetrotter zu werden?
Als ich klein war, war für unsere Familie das Höchste der Gefühle ein Wohnwagenurlaub in Kroatien. Ich weiß noch, wie ich einmal im Winter auf der Couch lag und eine Naturdoku auf Youtube sah. Es ging um die Sahara, den Urwald in Peru, die Antarktis, die krassen Gegensätze dieser Erde. Mich hat das unfassbar fasziniert. In diesem Moment habe ich für mich entschieden, eine Weltreise zu machen. Ich war 15. 

Ziemlich ambitioniert, oder? Andere schmieden solche Pläne, wenn die Pension regelmäßig aufs Konto fließt und sie das nötige Kleingeld haben. 
Ich habe Zeitung ausgetragen und habe mir vielleicht 2000 Euro angespart. Meine Mutter schüttelte den Kopf und sagte: „Für eine Weltreise brauchst du wahrscheinlich das Fünffache!“ So hat sich über die Jahre in meinem Kopf immer mehr das Bild einer Weltreise ohne Geld zusammengesetzt. Ich bin gerade 18 geworden, es sollte bald losgehen, da kam Corona. Zur Überbrückung habe ich mir dann überlegt: Welcher handwerkliche Skill könnte dir dabei helfen, ohne Geld zu reisen? Jeder liebt gutes Essen. Ich habe dann eben diese Ausbildung gemacht. Nur wegen der Weltreise. 

STERN PAID 33_24 Titel Influencer

Laut Ihres Couchsurfing-Profils ist Ihr Lieblingsfilm „The Great Escape“. Darin versucht Steve McQueen, aus einem deutschen Kriegsgefangenenlager auszubrechen. Wovor sind Sie selbst geflohen? 
Ich liebe Gefängnisausbruchsfilme. Die Protagonisten darin haben immer diesen extremen Drang nach Freiheit. Jetzt, wo ich drüber nachdenke: Ich bin schon ein bisschen abgehauen von dieser depressiven Grundhaltung in Deutschland. Statt positiv zu bleiben, sagt dir jeder immer: „Das schaffst du nie!“

Am Anfang Ihrer Weltreise hatten Sie nur 4000 Follower auf Instagram. 
Ich habe mich schon nach meiner Abschlussprüfung ausprobiert, bin nach Sardinien geflogen, habe dort eine Woche in einer Höhle gewohnt und bin nach Korsika geschwommen. Ich bin nach Helsinki getrampt, bin ohne einen einzigen Cent nach Lissabon, war allein auf Sri Lanka. Ich habe schon davor viel in die Richtung gemacht, auch auf Youtube. Nur hat das keinen interessiert. Ich hatte 500 Aufrufe. Die Weltreise war dann mein Durchbruch. Es war volles Risiko. 

Als was würden Sie das, was Sie gerade machen, bezeichnen? Urlaub oder Arbeit? 
Meine Dorffreunde nennen mich den „Urlauber“. Es ist kein Urlaub, aber natürlich auch keine reine Arbeit. Ich investiere schon mehrere Stunden täglich, überlege mir Videoideen, die Route, nehme Bewegtbild selbst auf und schneide dann. 

Lebt den Traum der anderen: Influencer Marinus Obermair in der Unterwasserwelt Thailands
© Marinus Obermair

Anders formuliert: Sie leben den unerreichbaren Traum Ihres Publikums und verdienen damit Geld. 
Absolut. Ganz viele Leute schreiben in meine Kommentare: ‚Hey, du lebst meinen Traum!‘ Ich nehme das schon als großes Geschenk wahr. Aber ich habe mich auch jahrelang darauf vorbereitet. Ich weiß, was es heißt, 15 Kilometer zu schwimmen, wie es ist, drei Wochen nicht zu duschen. Ich habe mir ewig Gedanken gemacht, wie ich einen Spannungsbogen aufbaue, was mein Slogan werden könnte. 

Ihr Slogan lautet: „Ohne einen einzigen Cent um die Welt“. Aber mal ehrlich: Das geht doch nicht, oder? Sie können doch nicht nur schnorren, trampen und couchsurfen?
Es ist Auslegungssache. Für mich ging es immer darum, ohne Geld zu starten, also ohne Startkapital. Viele Kritiker schreiben dann, ich könnte doch nicht meine GoPro-Kamera verkaufen und das Geld dann für ein Zugticket in China verwenden. Aber es ist meine Reise. Die mache ich nach meinen eigenen Regeln. Und die lauten: Was ich unterwegs verdiene, kann ich verwenden. Aber meistens trampe ich tatsächlich. Und gerade in Zentralasien ist die Gastfreundschaft enorm. Im Iran war es quasi unmöglich, Geld auszugeben. Da wirst du jeden Tag zum Essen eingeladen und bekommst dazu noch einen Schlafplatz gestellt. 

Kein schlechtes Gewissen, dass Sie sich als privilegierter Deutscher in Entwicklungsländern durchbetteln?
Der Vorwurf kommt oft. Für mich ist das die deutsche 08/15-Meinung. Warum sollten die Leute einen nicht einladen können, nur, weil sie weniger Geld haben? Ich nehme niemandem was weg, wenn ich auf einer Isomatte auf dem Boden schlafe. Wenn Familien eine Extraportion für mich kochen, ist ihnen das egal. Meist bauen sie ihre Zutaten selbst an. Und ich helfe dann beim Zubereiten.

Wie viel Geld ist aktuell auf dem Reisekonto? 
Boah, ich glaub, ein Fuffi oder so. Nicht so viel. 

Die hohen Werbeeinnahmen aus den sozialen Medien rühren Sie nicht an?
Noch nicht. Aber das wird sich bald ändern. Ich kann leider noch nicht mehr verraten.

Welches Land hat Sie auf Ihrer Reise am meisten überrascht? 
Der Iran. Ich musste mir in Istanbul Gedanken machen, welche Route ich nun nehme Richtung Südostasien. Als ich mich für den Iran entschied, hielten die meisten mich für verrückt. Aber ganz ehrlich – das ist in den Top Drei meiner bisherigen Ziele. Die Natur ist brutal. Im Norden Teeplantagen und Dschungel, im Süden krasse Inseln, im Zentrum der heißeste Punkt der Erde, heißer als das Death Valley – die Lut-Wüste. Und die Gastfreundschaft der Menschen ist unvergleichlich. 

Ihre Follower sehen schöne Natur, fantastisches Essen. Was Sie nicht sehen: ein erbarmungsloses Regime, das seine Bevölkerung unterdrückt. 
Ich habe auch die andere Seite erlebt und in einem Video die Lage im Iran kritisch beäugt. Ich muss aber auch nicht in jedem Land auf Krampf die negative Seite sehen. Ich bin kein Journalist. Es gibt tausende Videos von westlichen Medien über die Schattenseiten des Iran. Deshalb kann ich doch mal als einer der wenigen die schöne Seite zeigen. 

Ist das nicht etwas naiv? Sie reisten auch an einen kristallklaren Bergsee in Afghanistan. Lassen Sie sich damit nicht von den Taliban instrumentalisieren? 
Bei Afghanistan war es tatsächlich so, dass ich Dinge im Netz bewusst nicht gesagt habe, weil ich damit diejenigen gefährdet hätte, bei denen ich gewohnt habe. Ich war mit Leuten unterwegs, die gefoltert wurden von den Taliban. Ich selbst wurde von ihnen gut behandelt. Aber natürlich sehe ich, wie die Lage der Frauen dort ist. Nach einem neuen Sittengesetz dürfen sie nicht einmal mehr in der Öffentlichkeit sprechen. Aber das in kurzweiligen, einminütigen Clips zu thematisieren, wie sie die Generation Tiktok konsumiert, ist schwer, weil ich für den Kontext ausholen müsste. 

Im Sittengesetz der Taliban, das vor wenigen Wochen in Kraft trat, steht auch: Die Produktion von Videos, die „lebende Kreaturen“ zeigen, ist verboten. Ihr Job als Influencer ist in Afghanistan inzwischen also illegal. 
Krass. Das habe ich nicht gewusst. Ich habe dort nie wirklich gesagt, dass ich Videos drehe, sondern immer nur, dass ich als Tourist da bin. Die meisten Taliban haben kein Handy und wissen auch nicht, was Instagram ist.

Interview_Shikira Babori

Afghanistan liegt bei Influencern im Trend. Es scheint nur noch darum zu gehen: Wer macht das Krasseste? Wer setzt noch einen drauf?
Natürlich vergleicht man sich unterbewusst mit den anderen. Ich sehe mich auf jeden Fall auch in diesem Strudel. Ich bin noch nicht mal richtig in Thailand angekommen und habe mir schon überlegt, was ich Krasses in Malaysia machen könnte. Ist es gut oder schlecht, die eigenen Limits zu pushen? Natürlich muss es immer ein kalkuliertes Risiko sein.

Was vermissen Sie an Flintsbach am Inn?
Als Erstes: immer im gleichen Bett zu schlafen. Für den Kopf ist das sehr entspannend. Dann: deutsche Supermärkte. Diese Auswahl, europäische Produkte – das ist schon richtiger Luxus, den man viel zu wenig schätzt. Als Drittes: die frische Herbstluft in den bayerischen Bergen. Hier auf Ko Tao riecht es gerade wieder nach Plastik wegen der Brandrodung. Und natürlich: Freunde und Familie.

Sie sind nun seit acht Monaten durchgehend unterwegs. Wann ist eigentlich Endstation? Und wo?
Nach anderthalb Monaten in Thailand starte ich jetzt nach Malaysia, dann nach Singapur und Indonesien, wo ich von Java nach Bali schwimmen will, das sind drei Kilometer. Dort treffe ich viele Freunde wieder, die zu Besuch kommen. Und dann? Keine Ahnung. Ich überlege, ob ich das Ganze ohne Flugzeug bis Australien durchziehen kann. Das wäre Wahnsinn! Theoretisch kommt man bis Ost-Timor. Aber dann gibt es, soweit ich weiß, keine kommerzielle Schifffahrt mehr, sondern nur noch Containerschiffe, die einen nicht mitnehmen dürfen. Mein Ziel ist nach wie vor, jeden Kontinent zu bereisen und von Westen her im nächsten Jahr heimzukommen. Es fehlen also noch Ozeanien, Nord- und Südamerika. Und dann, wenn ich wieder zu Hause bin, will ich auf jeden Fall ein Buch schreiben.

Ein Influencer plant die altmodischste Sache der Welt – ein Buch zu schreiben?
Es ist ein großes Ziel von mir. Da kann ich mehr Kontext geben und die Dinge einmal richtig ausführlich erzählen und erklären. Nicht so wie auf Social Media.