inside charité: Charité-Vorstand soll sich öffentlich zu stern-Recherchen äußern

stern und RTL haben Missstände in Deutschlands berühmtester Klinik aufgedeckt. Im Berliner Abgeordnetenhaus soll sich der Charité-Vorstand den Vorwürfen stellen. Ärzte rufen zum Streik auf.

Ein blutender, kaum noch ansprechbarer Patient mit hohem Fieber, der stundenlang auf eine Fachärztin warten muss. Eine Pflegerin, die einem Baby versehentlich eine Überdosis verabreicht. Eine Ärztin, die offen ausspricht, was viele zu denken scheinen: „Ich bin kurz vorm Zusammenbrechen.“

Es sind nur drei Beispiele für die Missstände, die ein Reporterteam von stern und RTL in Deutschlands berühmtester Klinik aufgedeckt hat, der Charité. Drei Journalistinnen arbeiteten mit versteckter Kamera als Pflegepraktikantinnen in der Klinik und zeigten einen ungeschönten Einblick: organisatorische Mängel, überlastete Ärzte und Fehler, die Menschen gefährden. Die Recherchen, die in den vergangenen Tagen im stern und auf RTL veröffentlicht wurden, haben eine breite Diskussion ausgelöst.

Politiker forderten Aufklärung

Etliche Medien haben die Berichterstattung aufgegriffen. Politiker fast aller Parteien forderten Aufklärung. Ein Sprecher von Berlins Gesundheitssenatsverwaltung sagte dem stern, die erhobenen Vorwürfe würden „sorgfältig geprüft und müssen restlos ausgeräumt werden“. Dazu stehe man „mit der Charité selbstverständlich in engem Austausch“. Die Gesundheitssenatorin von Berlin, Ina Czyborra (SPD), ist zugleich die Aufsichtsratsvorsitzende der Charité.

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In der kommenden Woche soll sich der Charité-Vorstand im Berliner Abgeordnetenhaus zur Aufarbeitung der Vorwürfe äußern. Das hatte Czyborra am Montag im Gesundheitsausschuss angekündigt. Es sei Aufgabe der Charité, den Vorwürfen nachzugehen und zu prüfen, welcher strukturelle Änderungsbedarf sich mutmaßlich ergeben könne. Patientinnen und Patienten könnten sich aber sehr sicher sein, dass sie in der Charité bestmöglich und auf allerhöchstem Niveau versorgt würden, so Czyborra. „Die Charité-Leitung ist damit sehr intensiv beschäftigt, diese Vorwürfe aufzuklären“, sagte sie.

Charité sprach von generalisierten Vorwürfen

Die Charité selbst hatte die Vorwürfe im Vorfeld der Veröffentlichungen auf Anfrage von stern und RTL zurückgewiesen. Danach reagierte sie mit zwei Stellungnahmen im Internet, in denen sie von generalisierten Vorwürfen gegen die Charité sprach, „die in wesentlichen Punkten ungerechtfertigt sind“. Allerdings schrieb sie auch, die Filmaufnahmen der Undercover-Reporterinnen hätten betroffen gemacht. Die Bilder würden „die Einhaltung unserer hohen Qualitätsstandards in Einzelfällen in Frage stellen.“ 

Den stern erreichten zahlreiche Anrufe und Zuschriften von Medizinern, Pflegern und Patienten, die sich für die Recherchen bedankten oder von ähnlichen Erfahrungen berichteten, in der Charité sowie in anderen Kliniken in Deutschland. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Viele beschriebene Probleme betreffen nicht nur die Charité, sondern zahllose Krankenhäuser des Landes. Für den gestrigen Montag hatte die Ärztegewerkschaft Marburger Bund bundesweit zu einem Warnstreik aufgerufen. An dem beteiligten sich nach Angaben der Gewerkschaft mehrere Tausend Ärztinnen und Ärzte.

Lauterbach plant größte Klinikreform in 20 Jahren

Das deutsche Krankenhauswesen ist dringend reformbedürftig; das hat auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erkannt.

Schon während der Recherchen hatte Lauterbach vor laufender Kamera des Reporterteams gesagt, er könne sich zwar „nicht einmischen in die Personalpolitik der Charité“. Allerdings sei die generelle Lage der deutschen Kliniken schwierig. Deutschland habe nicht genug Ärztinnen und Ärzte für die 1700 vorhandenen Krankenhäuser: „Die Qualität ist da nicht gut genug. Wir können so nicht weitermachen.“

Tatsächlich hat die Berichterstattung die Aufmerksamkeit auch auf die von Lauterbach geplante Klinikreform gelenkt. Die Reform fußt auf der Feststellung, dass die Behandlungsqualität in Deutschlands Kliniken insgesamt nicht gut genug ist. Und: dass es zu viele Krankenhäuser gibt, die zu viel Personal binden, das anderswo fehlt. Anfang 2025 soll die Reform in Kraft treten.