Explodierende Pager: Angriff auf Hisbollah-Milizionäre: Der Tod kam aus der Hosentasche

Tausende Hisbollah-Kader werden bei der mysteriösen massenhaften Explosion von Pagern im Libanon verwundet. Die Miliz hatte die Geräte erst jüngst ausgeteilt. Nun steht sie blamiert da.

„Ich dachte, jemand hätte auf ihn geschossen“, sagt Ahmad Ahmad, Inhaber eines Krämerladens im Beiruter Viertel Basta einer stern-Mitarbeiterin vor Ort kurz nach dem Vorfall vor seinem Geschäft. Er habe einen Knall gehört. Dann sei der Mann auf der Straße vom Mofa gefallen. 

Was er da noch nicht ahnte: Zeitgleich trugen sich ähnlich mysteriöse Szenen tausendfach im Libanon zu. Von Tyros im Süden bis nach Hermel im Norden, von der Mittelmeermetropole Beirut bis nach Baalbek in der Bekaa-Hochebene an der Grenze zu Syrien. Aufnahmen von Überwachungskameras, die in den sozialen Medien kursieren, dokumentieren einige der bizarren Szenen: Ein Video zeigt einen Mann in einem Obstladen, der Birnen in eine Plastiktüte packt. Plötzlich beginnt seine Hose zu qualmen. Dann knallt es und er geht um Hilfe schreiend zu Boden. Ein anderes zeigt eine Person an einer Supermarktkasse. Plötzlich fällt sie um. Die Kassiererin, vollverschleiert im Tschador, flüchtet verschreckt in ein Hinterzimmer.

Knapp 4000 Verletzte, 500 schweben in Lebensgefahr

Am frühen Abend gab der libanesische Gesundheitsminister die vorläufige Bilanz der Attacke bekannt: Acht Tote – darunter auch der minderjährige Sohn eines Parlamentsabgeordneten der Schiiten-Miliz – und 2750 Verletzte, unter ihnen der Botschafter Irans im Libanon. Der libanesische TV-Sender „al-Hadath“ nannte später die Zahl von 3900 Verwundeten, mindestens 500 sollen demnach lebensgefährlich verletzt sein.

Krankenwagen mit Verwundeten kommen in der völlig überfüllten Notaufnahme eines Krankenhauses in Beirut an
© Marwan Naamani

Niemand hat sich bisher zu dem Angriff bekannt. Doch der Verdacht, dass Israels Geheimdienste dahinterstecken, ist für nahezu alle im Libanon Gewissheit. Seit fast einem Jahr bekämpfen Israels Armee und die Hisbollah einander entlang der israelisch-libanesischen Grenze. Zehntausende Zivilisten sind aus Dörfern und Städten auf beiden Seiten der Grenze geflohen. Bei gezielten Angriffen hat Israel Hunderte Hisbollah-Kader liquidiert. Mit spektakulären Drohnenflügen durch Israels Luftraum hat die Hisbollah mehrfach Schwachstellen der israelischen Luftabwehr offen gelegt.

Interview Miri Eisin 12:06

Mit dem massenhaften mutmaßlichen Cyberangriff aus Hosentaschen und Handyhaltern von Hisbollah-Milizionären hat der Konflikt nun eine neue Stufe erreicht. Aufnahmen aus Krankenhäusern in Beirut zeigten blutende Verwundete, manche mit offenbar schweren Gesichts- und Handverletzungen, andere mit klaffenden Fleischwunden am Bauch. Ein Hospital in der Hisbollah-Hochburg Baalbek war so überlastet, dass Patienten auf dem Parkplatz behandelt werden mussten. Auch durch die Straße von Beirut hallten bis in den Abend hinein die Sirenen der Krankenwagen.

Hisbollah-Pager „made in Taiwan“?

Es sollen Mini-Mobilfunkgeräte, sogenannte Pager gewesen sein, die ihren Benutzern zum Verhängnis wurden. Ob die Batterien der Geräte explodierten oder ob kleinste Sprengladungen verbaut waren, ist bisher unklar. Zumindest einige der Geräte stammten offenbar vom taiwanesischen Hersteller „Apollo Gold“. Auf ihrer Webseite bewirbt die Firma die kleinen Geräte als hilfreiche Kommunikationstools für Ärzte, Sanitäter, Feuerwehren und andere Katastrophenhelfer. Die Hisbollah soll die Pager erst kürzlich an ihre Kader ausgegeben haben, wohl als Sicherheitsmaßnahme gegen digitale Infiltration durch ausländische Geheimdienste. Als Vorsichtsmaßnahme gegen israelische Angriffe hatte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah die eigenen Milizionäre schon vor Monaten ermahnt, keine Handys mehr mit sich zu führen. 

Explodierende Hisbollah-Pager: Ein Verletzter wird ins al-Zahraa-Krankenhaus im Süden der libanesischen Hauptstadt Beirut eingeliefert.
© Hussein Malla/AP/dpa

Für die mächtige Miliz, die wegen ihrer Raketen- und Drohnenrüstung als schlagkräftigster nicht-staatlicher Akteur der Welt gilt, ist der tausendfache Angriff eine Blamage von nie dagewesenem Ausmaß. „Das ist die größte Niederlage seit Kerbala“, sagte ein Hisbollah-kritischer Beobachter aus Beirut am Abend zum stern. Bei der Schlacht von Kerbala im Jahr 680 nach Christus war eine Gruppe Rebellen um den Propheten-Enkel Hussein im blutigen Kampf gegen den Umajjaden-Kalifen Yazid unterlegen. Die Niederlage wurde zum Gründungsmythos der Schiiten. Der Märtyrer Hussein ist bis heute Idol schiitischer Kämpfer, auch der der Hisbollah.

Auftakt zu neuer Eskalation in Nahost?

Im Libanon und in Israel stellen sich derweil viele die bange Frage, ob der Angriff zum Auftakt zu einer neuerlichen Eskalation in Nahost werden könnte. Seit Tagen gibt es in Israel Gerüchte, Premier Benjamin Netanjahu wolle Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen und durch seinen Parteifreund Gideon Saar ersetzen – in Vorbereitung zu einer möglichen Militäraktion im Libanon. Erst diese Woche hatte die Regierung Netanjahu die Rückkehr der binnenvertriebenen israelischen Bürger aus dem Grenzgebiet zum Libanon offiziell zum Kriegsziel erhoben.

ReportageSüdlibanon 16.01

„Was ist der Sinn dieser Operation?“, fragte der israelische Geheimdienstexperte Yossi Melman in einem Post auf X. „Hätte man sich dieses Geheimdienst-Asset nicht besser aufgehoben für den Tag, an dem ein großer Krieg ausbricht und Israel in den Libanon einmarschiert?“ Viele Libanesen und Israelis fürchten indes, dass genau dieser Tag nun nicht mehr weit sein könnte.

Ein Nebeneffekt der Attacke: enttarnte Hisbollah-Kader

Ein Nebeneffekt des Angriffs scheint schon jetzt gewiss. Viele Hisbollah-Kader fliegen dadurch auf, dass sie nun gezwungen sind, ärztliche Hilfe zu suchen. Ein Beobachter aus dem Libanon schrieb auf X: „Viele bei uns werden verwundert feststellen, dass ihr Nachbar, Cousin oder Bruder zum geheimen Netzwerk der Hisbollah gehört.“ 

Der Mann dürfte Recht behalten.