Fridays for Future rüttelte das Land auf wie kaum eine andere Protestgruppe. Doch bei der Demonstration in Hamburg können Junge nichts mehr damit anfangen. Und Ältere zweifeln.
Die Willy-Brandt-Straße ist abgeriegelt, kein Auto überquert die sonst viel befahrene Straße, aber an der Ampel warten Passanten trotzdem geduldig auf Grün. An die Veranstaltung, keine 500 Meter weiter am Mahnmal Sankt Nikolai, denkt offenbar niemand. Das Bild steht symptomatisch für eine ganze Bewegung, die vor einigen Jahren noch gefeiert wurde, nun aber um Aufmerksamkeit kämpft.
Es ist Globaler Klimastreik – aber kaum einer geht hin. Gut anderthalb Stunden vor Beginn der groß angekündigten Demonstration in Hamburg schlagen um die 20 Klimaaktivisten von Parents for Future ihre Zelte vor der Kirchenruine auf. Etwas weiter klebt Margret Plakate an eine Brücke. Eigentlich ist sie Mitglied bei der Letzten Generation, aber zum 16. Globalen Klimastreik kommen Aktivisten aller Gruppierungen. Seit ihre Partnerin an Krebs gestorben ist, ist Margret aktive Klimaaktivistin, „klebt seitdem noch fester am Leben“, wie sie sagt. Ihr Protest soll die Lebensgrundlagen der Menschheit retten. Aber sie könne auch diejenigen verstehen, die sich der Bewegung nicht anschließen.PAID Interview FFF-Klimaaktivistin Pauline Brünger 18.54
Eine Gruppe 17-jähriger Mädchen kommt vorbei und stürzt sich für ein Foto auf die Aktivistin. Dass sie hier sind, verdanken sie ihren Lehrern. Für ein Projekt sind sie nun beim Globalen Klimastreik. Ansonsten wüssten sie gar nicht, dass Fridays for Future noch durch die Städte marschiert. „Das ist in den letzten drei Jahren völlig untergegangen“, sagt eine Schülerin.
Zwei junge Klimaaktivistinnen mit eigenen Plakaten beim 16. Globalen Klimastreik
© Christine Leitner / stern
Dass die Fridays-for-Future-Generation zufällig beim 16. Klimastreik aufschlägt, zeigt, wie sehr sich die Klimabewegung seit 2019 verändert hat. Eine Million Menschen gingen beim ersten Globalen Klimastreik 2019 auf die Straßen, Klima-Ikone Greta Thunberg reiste extra nach Deutschland. Der 16. Klimastreik sollte wieder ein Großereignis werden: Demonstrationen von Spitzbergen bis nach Ägypten und Bangladesch begleitet von Forderungen nach einem vorgezogenem Kohleausstieg und 100-prozentiger Versorgung mit erneuerbaren Energien spätestens ab 2035. In Deutschland kündigten die Aktivisten Märsche in mehr als 100 Städten an. In Hamburg erwarteten die Organisatoren bis zu 12.000 Teilnehmer.
Kann die Gen Z noch etwas mit dem Klimaschutz anfangen?
Doch schon beim letzten Klimastreik im Mai blieb die Zahl der Mitstreiter überschaubar. Von den 18.000 erwarteten kamen nach Polizeiangaben 1800. FFF sprach von 4700 Demonstranten – beides nichts im Vergleich zu den 10.000, die noch vor einigen Jahren mehr Klimaschutz in Hamburg forderten.
Heute sind Clara und Elisa dabei. Die beiden 16-Jährigen sitzen auf einem Bordstein und warten darauf, dass der Protestzug losgeht. Vor anderthalb Jahren stießen sie bei Fridays for Future dazu, erzählen sie. In ihrer Klasse sind sie die einzigen. Klimaschutz, das „ist nicht mehr so cool wie 2019“, sagt Elise. „Die meisten interessieren sich nicht mehr dafür“, meint Clara.
Das merkt man dem Klimastreik in Hamburg an. Aus der einstigen Schülertruppe ist eine Oldie-Veranstaltung geworden. Vereinzelt tauchen Jugendliche in der mittlerweile 2500-köpfigen Menge vor der Bühne auf, manche von ihnen mit Thainudeln in Einwegbechern in den Händen. Ansonsten ziehen vor allem die Generationen der 68er und Anti-Atomkraftbewegung durch die Straßen Hamburgs. Sind die als klimaskeptisch kritisierten Nachkriegskinder und Babyboomer klimabewusster als die klassischen Fridays for Futures?
Gemischtes Publikum: Ungefähr 2500 Teilnehmer zählte die Polizei bei der FFF-Demonstration in Hamburg
Einige Jugendliche können mit der Veranstaltung zumindest nichts anfangen. Auf die Frage, warum sie hier seien, antwortet ein 17-Jähriger voreilig: „Das wüssten wir selbst gern.“ Seine Klassenkameraden grinsen vielsagend, die Mädchen lächeln leicht beschämt. In ihrer Schule fände gerade eine Projektwoche statt, die Schüler sollen sich mit dem Klima beschäftigen und von der Demo Fotos mitbringen, erklärt eine von ihnen. Aber auch sie findet: „Wir brauchen die Klimabewegung schon, aber das ganze Thema ist schwer zu greifen, wenn es nicht vor der eigenen Haustür stattfindet.“
Die Klimapioniere verlieren ihren Kampfgeist
Auf der Bühne bemühen sich die Organisatoren derweil um den Kampfgeist von einst. Die „Erfolge der letzten Jahre gegen die Rechten verteidigen“, „wieder über die Themen sprechen, die die Menschen bewegen“, schallt es von dort ins Publikum. Hin und wieder gibt es Applaus. So richtig bewegt wirkt in der Menge aber niemand.
Inzwischen gibt es zahlreiche Studien zum Thema Klimabewusstsein. Demnach wissen die Deutschen um die prekäre Lage, auf die der Planet zusteuert. Nur vom persönlichen Umweltschutz halten sie wenig – und von der Klimabewegung noch viel weniger. Frauke und Volker wundert das nicht. Das Ehepaar, selbst erklärte Klimaaktivisten, lauscht den Reden abseits der Bühne und findet: „Die Protestform hat sich selbst überholt.“ Greta Thunberg habe dazu beigetragen und die Leute abgeschreckt, Stichwort Pro-Palästina-Demos. „Aber auch die Grünen machen es nicht mehr“, klagt Frauke. Ein Tempolimit, „ach es wäre so einfach“. Ihr Mann sieht das etwas anders. Gerade in Sachen Energiewende habe sich viel getan in Deutschland. Doch beide sind sich einig: Der richtig große Reißer sind die Fridays for Future-Demos nicht mehr. PAID Wissenschaftler und Klimaaktivisten – geht das? 08.17
Egal, wen man an diesem Tag auf der Demo in Hamburg fragt: Das Fazit unterscheidet sich kaum. Christa, Nachkriegskind, ehemals Grünen-Fan und Mitstreiterin der Anti-Atomkraftbewegung marschiert heute unter dem Motto: „Dabei sein ist alles“. Ob die Demonstrationen wirklich etwas bringen, fragt sie sich längst nicht mehr: „Es geht einfach nur darum, etwas zu tun.“ Besser als nichts, findet sie.
Wären es nur Aussagen von Passanten, die mit dem Klimaschutz wenig zu tun haben – es wäre ein ernüchterndes Fazit. Dass nun aber selbst die eigenen Leute so auf die Bewegung blicken, die den Klimaschutz erst richtig groß gemacht hat, ist tragisch für die Aktivisten. Keine Gruppe war bisher so erfolgreich wie die aufmüpfigen Schüler. Sie schwänzten im Namen der Umwelt die Schule. Zusammen mit Juristen erstritten sie das erste deutsche Klimaschutzgesetz. Und nun pochen sie erneut vor Gericht auf strengere Maßnahmen. Für den kämpferischen Rest dürfte es so nur schwieriger werden, neuen Schwung in die Bewegung zu bringen.
Manche haben noch nie etwas von Fridays for Future gehört
Durch die Hamburger Innenstadt zieht die Demonstration, als wäre sie das Normalste der Welt. Passanten gehen geschäftig ihrem Alltag nach. Viele haben für die Klimaaktivisten nicht einmal einen Seitenblick übrig. Ein vorbei spazierendes Ehepaar bezeichnet die Bewegung als „äußerst schleppend“. „Das war mal ein Trend, nicht fliegen, weniger Autofahren“, doch der sei längst vorbei.
Vor der Europapassage lässt sich ein französisches Pärchen von der Demonstration ablenken. Auf die Frage, was sie davon halten, schütteln beide nur ungläubig den Kopf. Fridays for Future? Nein, das sagt ihnen gar nichts. Die Bewegung von Greta Thunberg? Doch, den Namen haben sie schon einmal gehört. Ob in Frankreich keine Protestaktionen zum Globalen Klimastreik stattfinden? Fragende Blicke, dann verabschieden sich beide höflich. Mit dem grünen Rambazamba können sie nichts anfangen.
Die Klimabewegung hat sich ausmarschiert, so wirkt es am 16. Globalen Klimastreik in Hamburg. Es braucht wohl ein neues Format. Die Letzte Generation wollte im Frühjahr zeigen, wie es geht. Doch bis heute trudelt die Klimagruppe eher in der Bedeutungslosigkeit, als die Klimapolitik mitzubestimmen. Die Suche nach einer Antwort geht weiter.