Hat Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger ihre Staatssekretärin geopfert, um von sich selbst abzulenken? Dem stern liegen Unterlagen aus ihrem Haus vor, die diesen Verdacht nähren.
Es war ein Abgang mit Paukenschlag. Am Sonntag um 20.35 Uhr – im Fernsehen lief gerade der „Polizeiruf“ aus Rostock – setzte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Sabine Döring, einen Tweet ab: „So wird nun dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn ein jähes Ende finden. Stay tuned.“
Nur ein Bauernopfer? Die in den einstweiligen Ruhestand versetzte Staatssekretärin Sabine Döring.
Noch am selben Abend veröffentlichte das Ministerium eine Erklärung von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), sie habe Bundeskanzler Olaf Scholz gebeten, ihre Staatssekretärin in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Das Handeln von Döring habe zu einem Eindruck beigetragen, der geeignet sei, „das Vertrauen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das Bundesministerium für Bildung und Forschung nachhaltig zu beschädigen“.
Auslöser ist ein am 8. Mai entstandener Offener Brief einer Gruppe von zunächst rund 100 Berliner Hochschuldozenten und -dozentinnen, indem sich diese mit pro-palästinensischen Studierenden solidarisierten. Dem Präsidium der Freien Universität werden heftige Vorwürfe gemacht, weil es die Räumung eines Protestcamps durch die Polizei ohne „Gesprächsangebot“ zuließ. Studierende dürften „in keinem Fall Polizeigewalt“ ausgeliefert werden. Die Hamas-Anschläge vom 7. Oktober werden in dem Brief mit keiner Silbe erwähnt.
Der Brief hatte massive Kritik ausgelöst. Auch Stark-Watzinger hatte sich sofort gegen die Professoren gestellt und den Brief noch am Tag der Veröffentlichung heftig kritisiert. „Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos“, sagte sie am 8. Mai der „Bild“-Zeitung und rückte die Lehrenden in die Nähe von Verfassungsfeinden. Gerade Professoren und Dozenten müssten „auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“.Gaza Unis 19:42
Vergangene Woche dann berichtete der NDR, die Hausleitung des Ministeriums habe prüfen lassen, ob man den kritischen Wissenschaftlern Fördergelder entziehen könne. Belegt wurde dies mit Auszügen aus internen E-Mails der Arbeitsebene.
Die offizielle Version, die auch Stark-Watzinger mittlerweile selbst vertritt: Ihre Staatssekretärin Sabine Döring soll den Prüfauftrag ohne Rücksprache mit den übrigen Leitungsmitgliedern erteilt haben. Doch daran gibt es Zweifel, wie interne Unterlagen, die dem stern vorliegen, nahe legen.
Heikler Auftrag zu einer Namensliste
So soll bereits am 10. Mai, kurz nach Bekanntwerden des offenen Briefes, im Ministerium der Auftrag ergangen sein, eine Liste mit Namen derjenigen Dozenten und Dozentinnen zu erstellen, die den Brief unterzeichnet hatten und Fördergelder vom Ministerium erhalten hatten. Auftraggeber soll aber dem Vernehmen nach nicht Döring, sondern das Pressereferat und ein Abteilungsleiter gewesen sein. Intern soll der Auftrag damit begründet worden sein, man wolle auf Anfragen der Presse vorbereitet sein.
Am 13. Mai soll Staatssekretärin Döring dann ihrerseits intern den Auftrag gegeben haben, den offenen Brief verfassungsrechtlich zu prüfen. Zugleich wurde offenbar auch eine zuwendungsrechtliche Prüfung gestartet.
Aus Dörings Umfeld heißt es, die Staatssekretärin habe lediglich prüfen lassen wollen, ob die Forderung der Dozenten nach einer „polizeifreien“ Uni verfassungskonform sei. Eine Überprüfung der Zuwendungen habe sie nie beabsichtigt.
So stellt es auch Döring selbst in einer internen E-Mail an alle Mitarbeiter des BMBF vom 14. Juni dar. „Bei der Erteilung des Auftrages hatte ich mich offensichtlich missverständlich ausgedrückt“, heißt es in der E-Mail, die dem stern vorliegt: „Förderrechtliche Konsequenzen für die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes prüfen zu lassen, war von mir nicht gemeint — mein Auftrag war aber wohl so zu verstehen.“
Döring schreibt auch, dass die „Unklarheit“ zeitnah in einem weiteren Telefonat „ausgeräumt“ worden sei und es infolge der Klarstellung keine weitere Prüfung von Fördermitteln gegeben habe. 17: StarkWatzinger lehnt Rücktritt in FördergeldAffäre ab – d0b89bcdf094bb36
Für diese Version spricht, dass laut der Unterlagen, die dem stern vorliegen, die zuwendungsrechtliche Prüfung noch im Verlauf derselben Woche gestoppt wurde, nachdem Döring intern klarmachte, dass sie eine solche Prüfung nie beabsichtigt hatte. Die verfassungsrechtliche Prüfung lief weiter. Sie soll zu dem Schluss gekommen sein, dass der offene Brief zu den Vorgängen an der Freien Universität verfassungskonform ist.
Wer stoppte den Vorgang?
Rätselhaft erscheint, dass Stark-Watzinger von all dem nichts gewusst haben will. Sie selbst war es schließlich, die sich sehr früh öffentlich positionierte, den Urhebern des offenen Briefs ein verfassungsfeindliches Agieren unterstellte und somit das den Fall auch in ihrem eigenen Haus zu einem großen Thema machte. Lösten ihre harschen öffentlichen Statements den Prüfauftrag womöglich überhaupt erst aus? Kaum vorstellbar jedenfalls, dass das Thema in der Leitung nicht intensiv diskutiert wurde.
Das Ministerium hält an seiner bisherigen Darstellung fest. Der Ministerin sei erst am 11. Juni eine E-Mail der Fachebene zur Kenntnis gebracht geworden, „die die Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen für die Unterzeichner eines offenen Briefes thematisiert“, teilte eine Sprecherin dem stern auf Anfrage mit: „Die Ministerin hatte den Auftrag einer solchen Prüfung potentieller förderrechtlicher Konsequenzen weder erteilt noch gewollt.“
Diese Prüfung sei durch eine Prüfbitte von Staatssekretärin Döring ausgelöst worden. Döring habe erklärt, dass eine förderrechtliche Prüfung von ihr „zwar nicht von ihr beabsichtigt gewesen, aber wohl so zu verstehen gewesen sei“, wird aus der E-Mail der Staatssekretärin an die Mitarbeiter zitiert. Auch habe nicht Döring selbst den Vorgang gestoppt. Der Leiter der zuständigen Fachabteilung habe vielmehr bereits am 13. Mai dafür gesorgt, dass „eine Prüfung möglicher förderrechtlicher Konsequenzen nicht weiterverfolgt wird“.
Zur Frage, ob bereits am 10. Mai ohne Dörings Zutun und vor ihrer eigenen Prüfbitte die Erstellung einer Liste von Dozentinnen und Dozenten in Auftrag gegeben wurde, äußerte sich das Ministerium nicht. Auch nicht dazu, ob eine solche Liste existiert.
Bettina Stark-Watzingers wackelige Verteidigung
Die Abläufe sind für die Ministerin unangenehm. Folgt man Stark-Watzinger, hätte sie rund einen Monat lang weder etwas von dem Prüfauftrag mitbekommen noch von dem angeblichen „Missverständnis“, das Dörings Auftrag ausgelöst haben soll. Trifft das zu, müsste sie sich vorwerfen lassen, ihren eigenen Beamtenapparat nicht im Griff zu haben. Sollte sich im weiteren Verlauf der Affäre herausstellen, dass doch auch der Leitungsstab ihres Ministeriums von den „Missverständnissen“ informiert war, würde das ihre bisherige Verteidigungsstrategie durchkreuzen, erst am 11. Juni von den Vorgängen erfahren zu haben.
Diskutiert wurde der offene Brief intern jedenfalls auch in ihrer Anwesenheit schon deutlich vorher. Nach einer Routine-Telefonkonferenz am 17. Mai, an der auch die Ministerin teilgenommen habe, habe der Leiter des Leitungsstabs „auf Anregung von Staatssekretärin Döring eine Einordnung von zu diesem Zeitpunkt auch in der Öffentlichkeit diskutierten Passagen des offenen Briefes per E-Mail gegenüber dem Leiter der Zentralabteilung erbeten“, teilt das Ministerium mit. Was in der Telefonkonferenz besprochen wurde, bleibt offen.Meinung Zivilschutz in der Schule 21.28
Schon jetzt steht Stark-Watzinger massiv in der Kritik. Die Frage der zuwendungsrechtlichen Prüfung in Verbindung mit politischen Äußerungen ist für Stark-Watzinger schon deshalb brisant, weil sie als liberale Ministerin eigentlich besonderen Wert auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit legen müsste.
Döring war erst 2023 ins Ministerium gewechselt
Der Vorfall sorgt seit Tagen schon für heftige politische Debatten. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) bezeichnete Döring als „Bauernopfer“ und kritisierte den Vorgang. Stark-Watzinger lehnt einen Rücktritt selbst ab.
Döring war erst seit Februar 2023 Staatssekretärin im Bildungsministerium. Zuvor hatte die als liberal geltende Philosophin an der Eberhard Karls Universität in Tübingen gelehrt. Ihr Schwerpunkt: Politische Philosophie und die Theorie der Emotionen. Zu ihren Themen zählte auch eine angstfreie Kommunikation im öffentlichen Raum.