Dietmar Woidke führt die SPD in Brandenburg zum Sieg, die Bundespartei übt sich in Bescheidenheit – und der Kanzler? Kann seine Freude im fernen New York nicht zurückhalten.
Olaf im Glück: So lässt sich die erste Wortmeldung des Kanzlers zusammenfassen, die kurz nach dem Wahlkrimi von Brandenburg die Öffentlichkeit erreicht. „Wir arbeiten zusammen – nach wie vor. Wir haben Vertrauen zueinander – nach wie vor“, schreibt Scholz um 18.49 Uhr auf „X“. Das klingt, für seine Verhältnisse, fast schon pathetisch.
Und wieso auch nicht: Die erste Hochrechnung für die Landtagswahl ist da. Und seine SPD, die in Umfragen über viele Monate klar hinter der AfD lag, hat doch wieder gewonnen. Es ist gerade nochmal gut gegangen für die Kanzlerpartei, wieder einmal.
Allerdings sind Scholz‘ liebevolle Worte gar nicht dem siegreichen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke gewidmet, obwohl er doch den Kanzler mit seiner bemerkenswerte Aufholjagd vor einer mittelschweren Katastrophe bewahrt hat. Sie richten sich auch nicht an seine Bundespartei, die bang gen Potsdam geblickt hatte.
Nein, der Kanzler, der gerade in New York weilt, belobigt den sogenannten Zukunftspakt, den er bei den Vereinten Nationen ins Werk gesetzt hat. Zu Brandenburg sagt Scholz am Sonntagabend: erst einmal gar nichts. Zwar sei der Kanzler „durchaus zufrieden“, verlautet aus seinem Umfeld. Aber er werde die Lage öffentlich erst am Montag bewerten.
Blitzanalyse Brandenburg 19.06
Jetzt bloß nicht zu laut freuen: Das ist offenkundig die Devise von Scholz. Auch die Parteiführung in Berlin folgt ihr. Natürlich ist am Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus die Erleichterung deutlich zu spüren. Doch üben sich die Spitzen in bewusster Bescheidenheit. Denn allen ist bewusst: Mit ihnen und dem Kanzler hatte das fulminante Fotofinish eher wenig zu tun.
Ganz im Gegenteil. Dietmar Woidke, der Sieger des Abends, hatte sich ganz allein ins Zentrum des Wahlkampfes gestellt, getreu dem Motto: Entweder ich – oder die AfD. Sein Dekret: Stehe seine SPD am Wahlabend nicht wie jedes Mal seit 1990 ganz vorne, trete er zurück. „Diese Wahl ist auch eine Abstimmung über mich und das, was ich für dieses Land geleistet habe“, sagte er vor einem Monat dem stern.
Es war eine Art Ultimatum an die Wähler, verknüpft mit einer klaren Ansage an seine Bundespartei in Berlin: Hier geht es um Brandenburg – also pfuscht mir ja nicht rein. Woidke verzichtete sogar weitestgehend auf gemeinsame Wahlkampfauftritte mit dem unbeliebten SPD-Kanzler, ging auch zur Ampel-Koalition maximal auf Distanz. Und wurde dafür belohnt.
Ein subtiler Hinweis an den Kanzler
Und so vermeidet die SPD-Führung am Sonntag in ihren ersten Live-Schalten, sich mit dem Ergebnis zu brüsten. „Wir wissen, dass die Bundesebene keinen Rückenwind gegeben hat“, erklärt Co-Chef Lars Klingbeil betont bescheiden. Stattdessen wird Woidke gepriesen für seine „außerordentliche“, „furiose“ oder „grandiose“ Aufholjagd.
Die Dankbarkeit der Funktionäre wirkt echt. Schließlich erspart ihnen der Sieg des Ministerpräsidenten die finale Debatte über das Ende der Koalition und die Sinnfälligkeit eines Kanzlerkandidaten Scholz. Bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hatte man sie noch abwenden können. Die SPD hielt sich – auf mickrige einstellige Werte zusammengestutzt – in den Landtagen. Aber wäre Brandenburg verloren gegangen, die rote Hochburg: Dann hätte wohl endgültig eine Debatte an Fahrt aufgenommen, die aus Rücksicht auf den Wahlkampf noch zurückgestellt wurde. Kann sich der unbeliebte Olaf Scholz als Kanzler(kandidat) halten, wenn die Brandenburger SPD hinter der AfD landet?
Selbst Woidke zweifelt bis zuletzt. Am Nachmittag, als die ersten internen Umfragen der ARD und der Forschungsgruppe Wahlen unter Politikern und Journalisten herumgereicht werden, führt die AfD noch vor der SPD. Entsprechend gedrückt soll die Stimmung gewesen sein. Erst kurz vor 18 Uhr, bevor die offizielle Prognose auf den Bildschirmen erscheint, schiebt sich die Regierungspartei auf Platz 1. Der Ministerpräsident hat es noch einmal geschafft.
Meldung SPD Abwrackprämie 13.28
Woidke hat erkennbar feuchte Augen, als er kurz darauf bei der Wahlparty der Landes-SPD in der Nähe des Potsdamer Landtags auftaucht. Er bahnt sich den Weg durch die Kameras und Umstehenden zu der kleinen Bühne. Dort steht er nun neben seiner Frau und ruft ins Mikrofon: „Wir haben eine Aufholjagd hingelegt, wie es sie in der Geschichte unseres Landes noch niemals gegeben hat.“ Einmal mehr habe sich die Sozialdemokratie den Extremisten erfolgreich in den Weg gestellt.
Fragt sich nur: Was folgt daraus für die Bundes-SPD und ihren Kanzler?
Man kann die erste Wahlanalyse von SPD-Co-Chef Klingbeil als subtilen Hinweis an Scholz verstehen, wenn er im Fernsehinterview sagt, dass Woidke mit Klartext und Konsequenz für sozialdemokratische Themen gepunktet habe. „Diese Konsequenz brauchen wir jetzt auch“, meint Klingbeil, der bei seiner Partei und dessen Spitzenpersonal offenkundig noch Luft nach oben sieht. Nun müsse man vollen Fokus auf den Erhalt von Industriearbeitsplätzen geben.
In der SPD ist man schwer irritiert, warum nicht der Kanzler zu einem Auto-Gipfel eingeladen hat, sondern sein Vize Robert Habeck von den Grünen. Überhaupt wird bemängelt, dass Scholz zu wenig Kampfgeist zeige, um der drohenden Rezession und der Misere in der Autoindustrie entgegenzuwirken. Partei der Arbeiter, war da nicht was? Die SPD-Fraktion drängt nun auf rasche Maßnahmen, um ein Signal der Entschlossenheit zu senden – wenn es schon der Kanzler nicht tut, schwingt da mit. So soll es beispielsweise eine „Abwrackprämie 2.0“ für Verbraucher geben, die von ihrem Verbrenner auf ein E-Auto umsteigen.
Ein Kanzler in New York
Vor Scholz dürften also turbulente Tage liegen, auch trotz Woidkes Sieg. Aber erst einmal ist der noch in New York, auf dem Zukunftsgipfel der Vereinten Nationen. Dort ist Scholz nicht nur geografisch besonders weit entfernt vom märkischen Sand, sondern auch thematisch.
Es geht nicht bloß um ein Bundesland, es geht um die Welt. Nachdem Scholz am Sonntagmorgen eine Rede hielt, beschließt die UN-Generalversammlung ein Papier, an dem Diplomaten unter deutschem und namibischem Vorsitz fast zwei Jahre lang gearbeitet haben. Den Zukunftspakt.
Es ist eine Sammlung von Grundsätzen zur Entwicklungspolitik, zum Klimaschutz und seiner Finanzierung. Es geht um Sicherheitspolitik, Krieg und Frieden, aber auch um Digitalisierung, eine bessere Einbindung der Jugend in die Politik der Vereinten Nationen und um deren Reform. Denn vor allem der UN-Sicherheitsrat mit seinen fünf Veto-Mächten, repräsentiert aus deutscher Sicht eine Welt, die es so nicht mehr gibt. Es sind sehr allgemeine Grundsätze, aber der Erfolg besteht schon darin, dass am Ende außer den Russen keiner der 193 UN-Mitgliedsstaaten noch etwas auszusetzen hat.
Olaf Scholz: „Ist doch super“
Nach diesem diplomatischen Großereignis trifft Scholz nacheinanderncoh allerlei Staatsmänner von verschiedenen Kontinenten. Es wirkt wie ein Schnelldurchlauf durch die größten globalen Konflikte und Krisen. Doch am späten Vormittag Ortszeit bleibt dem Kanzler nichts anderes mehr übrig, als sich mit der kleinen Welt zuhause zu befassen, mit der Landtagswahl, ihren Folgen für die SPD – und für ihn.
Im Deutschen Haus in New York, der diplomatischen Vertretung schräg gegenüber vom UN-Gebäude, hat man einen Aufenthaltsraum im 21. Stock in eine Art Büro umfunktioniert. Wie Eingeweihte mit Zugang zu den oberen Etagen zu berichten wissen, markiert an der Tür ein eigens angebrachtes Schild mit der Aufschrift „Olaf Scholz, Bundeskanzler“ den Ort, an dem sich Scholz gegen 17.15 Uhr telefonisch in die Beratung der SPD-Spitze zuschaltet. Thema, unter anderem: die ersten Prognosen.
Auf die Frage nach der Stimmung in der Schalte ist dem Kanzler im Vorbeigehen nicht mehr als ein „gut, natürlich“ zu entlocken. Dann, am späten Abend deutscher Zeit, kommt Scholz ins Foyer des Deutschen Hauses. Er wollte sich ja eigentlich erst am Montag äußern, doch das Ergebnis ist so erfreulich, dass er seinen Vorsatz bricht. „Ist doch super, dass wir gewonnen haben“, sagt er mit breitem Grinsen. Ob er das so erwartet habe? „Ich hab gespürt, dass da was passiert.“
Na klar doch, der Kanzler hat es wieder einmal besser gewusst.