Fried – Blick aus Berlin: Das Woidke-Prinzip: Was die Kanzlerkandidaten lernen sollten

Der harte Kurs, den Dietmar Woidke für die Brandenburger Landtagswahlen einschlug, zeigte Wirkung. Aber wäre diese Herangehensweise auch für die Kanzlerkandidaten geeignet?

Der Einfluss von Dietmar Woidke reicht womöglich weiter, als er selbst geglaubt haben mag. Kaum hatten die Hochrechnungen Brandenburgs Ministerpräsidenten zum Sieger erklärt, meldete sich Donald Trump. Der Präsidentschaftskandidat hat womöglich in den sozialen Medien den Erfolg von Woidkes Ansage verfolgt, er werde gehen, sollte die SPD hinter der AfD landen. Prompt verkündete Trump, 2028 nicht mehr anzutreten, falls er in diesem Jahr verlieren sollte. Dem Wähler Druck machen – Woidke wirkt.

Kleiner Scherz.

Woidke ist „all in“ gegangen

Aber richtig ist schon: Woidke ist ins Risiko gegangen, „all in“, wie das heute gern genannt wird. Mit dem Kopf durch die Wand. Nun bedarf es, soll sich so ein Risiko lohnen, einer Persönlichkeit, von der sich Menschen beeindrucken lassen, sonst ergäbe die Warnung vor Konsequenzen ja keinen Sinn. Würde also – um das unvermeidliche Beispiel gleich abzuräumen – Olaf Scholz vorgezogene Neuwahlen mit der Ankündigung verbinden, er trete ab, falls er hinter Friedrich Merz lande, dann, nun ja, würden das eventuell nicht alle Wählerinnen und Wähler derzeit als Drohung verstehen.

Persönlichkeit in der Politik ist wichtig. Die CDU hat das stets mit dem Versprechen konservativer Kontinuität verbunden, von Adenauer („Keine Experimente“) bis Merkel („Sie kennen mich“). Bei der SPD stand Persönlichkeit hingegen für politischen Aufbruch („Willy wählen“). Zum sozialdemokratischen Erfahrungsschatz gehört aber auch, dass Persönlichkeit allein nicht immer reicht, um die gewünschte Mobilisierung zu bewirken. Gerhard Schröder, der größte Zocker unter allen SPD-Kanzlern, versuchte die vorgezogenen Neuwahlen 2005 zu einer Art persönlichem Plebiszit zu machen und hörte damit bekanntermaßen auch nach Schließung der Wahllokale in der Fernsehrunde der Spitzenkandidaten nicht auf. „Die Deutschen haben doch in der Kandidatenfrage eindeutig votiert“, wollte Schröder noch einen Sieg über Angela Merkel herbeireden, als er längst verloren hatte.

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Die Konkurrenz hätte wohl bessere Chancen

Was aber lernen wir aus alldem für die nächste Bundestagswahl? Weder Friedrich Merz noch Olaf Scholz dürfen nach heutigem Stand ihrer Persönlichkeit eine besondere Werbewirksamkeit beimessen. Man kann nur vermuten, dass sich in ihren Albträumen stets dieselben schwankenden Gestalten nähern, die in dem einen Fall Boris Pistorius, im anderen Hendrik Wüst und Markus Söder heißen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der Herausforderer daran aus eigenem Antrieb etwas zu ändern gedenkt, schließlich geht es für Merz darum, den gegenwärtigen Vorsprung nicht zu gefährden. Er muss den Provokationen der politischen Konkurrenz widerstehen, in ihm den aufbrausenden Charakter wieder anzufachen, dessen Glut er seit einiger Zeit erfolgreich gelöscht hat.

Bei Scholz sieht die Sache anders aus. Mag sein, dass ihm als Kanzler noch etwas gelingt, das seine Persönlichkeit in neuem Licht erscheinen lässt, bestenfalls ein Verhandlungserfolg im Ukrainekrieg. Denkbar wäre aber auch, dass es nach vier Jahren nahezu ununterbrochener Kritik und andauerndem Zweifel manche Deutsche plötzlich bemerkenswert finden, wie er das nur durchgestanden hat. Aus Mitleid werden sie ihn allerdings nicht wählen.

Nur wenn die Wähler den Stoizismus, der Scholz distanziert und abgehoben erscheinen lässt, als eigene Qualität betrachteten, würden sie seine Persönlichkeit womöglich neu bewerten. Und nur dann könnte auch der Kanzler „all in“ gehen.